Die Angst der Schweigenden. Nienke Jos

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Die Angst der Schweigenden - Nienke Jos

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reichte Igor das Pesto.

      »Dann wollen wir mal«, sagte er fröhlich.

      Dann wollen wir mal.

      Sie tischten auf und setzten sich, Igor kaute erwartungsvoll.

      Fragen. Sie musste ihn ablenken. »Wie war Ihr Wochenende?«, fragte sie.

      »Mein Wochenende?« Igor schüttelte verständnislos den Kopf. »Wieso denn …«

      »Oder Ihre Kindheit? Wir können uns auch über Ihre Kindheit unterhalten.«

      Er hob seine Augenbrauen. »Sie stellen komische Fragen.« Igor schob sich eine Gabel Spaghetti in den Mund und kaute. »Ich habe zwei Brüder«, erklärte er mit vollem Mund. »Aber das wissen Sie ja schon.«

      »Ja. David ist gestorben. Letztes Jahr. Victor baut Kohl an.«

      »Wollen Sie denn gar nicht wissen, woran mein Bruder gestorben ist?«

      »Nein.«

      »Er hatte einen Unfall. Er hat sich mit einer Kreissäge die Hauptschlagader am Oberschenkel …« Igor räusperte sich. »Er ist verblutet.«

      »Okay.«

      »Okay? Ist das alles, was Ihnen dazu einfällt?«

      »Ja.«

      »Ja«, wiederholte Igor, zeigte auf ihren Teller. »Essen Sie denn nichts?«

      Inna schluckte trocken. »Ich habe keinen Hunger.«

      »Weil Sie Angst haben.«

      Inna presste ihre Lippen aufeinander. »Schon den ganzen Tag«, nickte Inna.

      »Vor mir?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte schon Angst, da war ich noch zu Hause. Ich bin aufgestanden und habe es rascheln hören.«

      Igors Blick drückte vollkommenes Unverständnis aus. »Es hat geraschelt?«

      »Eine Intuition. Irgendetwas hat mir am Morgen schon gesagt, dass heute etwas Unheilvolles passiert.«

      »Sind Sie spirituell?«

      »Nein.«

      »Und das Rascheln? Was soll das gewesen sein? Irgendein Wink des Universums?« Er machte eine abwertende Geste. »Das passt überhaupt nicht zu Ihnen.«

      »Unheilvoll.« Inna machte eine Pause. »Etwas Unheilvolles hat sich angekündigt.«

      »Der Schneesturm.«

      »Nein.« Inna hob ihren Kopf. »Sie.«

      Igor legte sein Besteck ab. »Grunewald hat es mir schon gesagt.«

      »Was gesagt?«

      »Dass Sie nicht ganz dicht sind.« Er verschränkte seine Arme.

      Da sah sie ihn wieder, den blauen Schatten um seine Handgelenke. Inna schloss ihre Augen.

      »Was, wenn wir uns einfach weiter unterhalten?«, schlug Igor vor. »Vielleicht legt sich Ihre Angst.« Er zuckte mit den Schultern. »Sie müssen ja nicht über das sprechen, was vorgestern passiert ist.«

      »Und über was dann?«, fragte sie.

      Igor überlegte. »Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit. Sie sind Geschwister. Sie und Jenke. Und Ihr Vater heißt Henri. Sie sind in einer Burg aufgewachsen. Was ist mit Ihrer Mutter? Lebt Sie noch?«

      »Ich darf nicht über meine Mutter sprechen.«

      Igor rollte mit den Augen. »Dann erzählen Sie mir eben etwas über Ihre Kindheit, ohne dass Sie Ihre Mutter dabei erwähnen.«

      Inna nickte ernst. »Sich in einer Höhle verstecken. Ist das Kindheit?«

      *

      Sie sah das dicke Edchen. Edchen, die ihre Hände an der Schürze abwischte und sorgenvoll eine Dose Kekse aus dem Schrank zog. »Möchtet ihr noch heißen Kakao?«

      »Wir nehmen alles«, sagte Inna. »Alles. Oder, Jenke?«

      Jenke schnippte ungeduldig mit den Fingern. »Können wir jetzt los?«

      »Aber nur bis zu den Steinriesen«, warnte Edchen. »Ich komme sonst um vor Sorge.«

      »Wissen wir.« Jenke schnappte sich die Tasche mit dem Kakao und den Keksen.

      »Und es ist kalt. Und nass.« Edchen zeigte aus dem Fenster. »Seht ihr?«

      »Sind wir aus Zucker?«

      Edchen seufzte. »Nicht zum Felsenmeer!«

      »Hat Henri aber erlaubt«, erwiderte Jenke. Er griff nach Innas Hand und stürmte los. Aus der großen Küche über den langen dunklen Korridor.

      »Euer Vater wird trotzdem mit mir schimpfen, wenn ihr nass und verfroren zurückkehrt!«, rief Edchen hinterher.

      Sie rannten. Durch die nasse Kälte, durch den schweren Nebel. Jenke vorweg. Inna hatte Bauchschmerzen, aber das hatte sie immer. Vor Angst. Vor Angst, dass ihre Mutter wieder tagelang weg sein würde. Sie kannte keine einzige andere Mutter auf der Welt, die ganze Nächte lang fort war, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

      »Ich kann nicht mehr!«, rief Inna und schnappte nach Luft.

      »Henri hat mir etwas gezeigt, weit hinten im Felsenmeer.« Jenkes Augen blitzten. »Eine Höhle. Komm!«, forderte Jenke sie auf, mit verengten Augen, um sie vor dem Nieselregen zu schützen.

      Sie erreichten den Wald, waren die Einzigen weit und breit. In den Pfützen schimmerten Millionen kleine Diamanten wie glänzende Perlen auf der Wasseroberfläche. Sie balancierten über bemooste Schienen. Rostige Venen, die in der Erde verschwanden und wieder auftauchten.

      »Hier entlang!«, rief Jenke.

      »Weiter will ich nicht.« Inna blieb stehen. »Komm zurück!«

      »Angsthase.« Er zog sie hinter sich her, vorbei an den Steinleichen, den drei Riesen. Die Felsenköpfe lauerten still. Bereit, wenn sie nur einen Schritt zu nahe kamen.

      Sie liefen, bis das Moos von der nassen Erde verschluckt wurde. Sie kletterten einen Abhang hinunter, stiegen über entwurzelte Bäume, immer tiefer in den Wald hinein. Inna war noch nie so weit von zu Hause fort gewesen. Sie schaute sich um. Keine Steinriesen mehr, keine Schienen. Stattdessen der graue Himmel, Regen, der die Sicht auf die Burg durch seine milchigen Vorhänge verschleierte. Kleine Steine wurden zu größeren, bis sie als riesige Felsen das ganze Tal auskleideten. Inna zog sich Schürfwunden zu, hangelte sich mit klammen Fingern die Felsen hinauf. Kekse, Kakao. Sie verschlangen ihren Proviant gierig. Schon nach wenigen Minuten sprang Jenke ungeduldig auf. »Wir müssen uns beeilen, es darf nicht dunkel werden.«

      Irgendwann gelangten sie zu einer schmalen Spalte, umschlossen von bemoosten Felsen, die weit über das Tal ragten.

      »Hier

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