Emsgrab. Wolfgang Santjer
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Elzinga legte den Hörer auf. So ein Mist … Ausgerechnet Kalle Lubinus hatte als Wachhabender alle Gespräche über die gemeinsame Funkfrequenz mitgehört. Hoffentlich konnte der ausnahmsweise mal die Klappe halten, wenn die Vertreter der Presse wegen weiteren Einzelheiten zum Steinwurf anriefen.
Onno verriegelte die Türen, setzte sich in seinen Privatwagen und fuhr nach Hause.
Am nächsten Morgen traute Onno seinen Augen nicht, als er die kostenlose Sonntagszeitung aufschlug. Auf der ersten Seite wurde bereits über den Vorfall berichtet. Es wurde vermutet, dass Jugendliche aus Langeweile die Steine von der Brücke geworfen hatten.
Onno lief rot an und raufte sich die Haare. Da hatte doch ganz offensichtlich ein Kollege noch in der Nacht ohne Rücksprache Informationen gemischt mit Vermutungen an diese Wochenzeitung weitergegeben. Plappermaul Kalle wahrscheinlich, er hatte es ja geahnt …!
5.
Nördliches Rheiderland
Jugendliche … – Langeweile … !!
Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Diese Ignoranten! Konnten sie nicht erkennen, dass dies ein Teil seines berechtigten Protestes war? Die Planung und das Warten auf den günstigen Moment … Der Nebel, der ihn unsichtbar machte … Die Steine aus der Uferbefestigung …
Bei den nächsten Aktionen muss ich ein Zeichen hinterlassen, dachte er.
Ich werde mir etwas Passendes ausdenken.
6.
Polizeigebäude und WSP-Station Leer
»Fingerabdrücke auf Steinen?« Der Beamte vom Erkennungsdienst schüttelte den Kopf. »Das kannst du vergessen. Was hast du außerdem am Tatort unternommen?«
Onno erklärte seine Tatortarbeit.
»Na gut … Das Einzige, was jetzt noch Sinn hat, ist eine Suche nach Spuren am Flussufer in Nähe der Brücke.«
Onno ärgerte sich ein wenig, darauf hätte er auch selbst kommen können.
Aber außer schmutzigen Stiefeln brachte die Suche am Flussufer nichts.
Zurück auf der Station griff Onno zum Telefon. Der Tatort konnte freigegeben werden und Elzinga informierte den Beauftragten der Baggerfirma, Gerd Peters, dass mit den Reparaturarbeiten an Bord des Baggers begonnen werden konnte.
Elzinga sah auf, als sein neuer Kollege Hans Schulz hereinkam. Der Berliner versah erst seit einigen Wochen auf der Station Dienst. Schulz ist unglaublich dünn und groß, dachte Onno. Der wird sich noch oft die Birne stoßen.
Hans Schulz plapperte munter drauflos. »Hallo, Onno. Schön, dass du zurück bist. Was meinten die Kollegen von der Kripo?«
»Ich hatte den Eindruck, die waren leicht genervt«, sagte Elzinga. »Kein Wunder – Frühdienst nach einem Wochenende! Du weißt doch, was da los war.«
»Das ist mein Stichwort, Onno – wir beide müssen zum Sielhafen. Dort ist in der Nacht ein Kutter halb abgesoffen. Die Feuerwehr ist schon unterwegs.«
Im Sielhafen angekommen, stellten die beiden WSP-Beamten erstaunt fest, dass nicht einer der alten Holzkutter teilweise untergegangen war, sondern einer der neuen, modernen Fischkutter.
»Wie haren düchtig Glück und hem dat Water rutkregen, bevör he komplet ofsopen is«, sagte der Einsatzleiter der Feuerwehr.
Hans Schulz sah Onno Elzinga an. »Was hat er gesagt?«
Elzinga grinste, im Sielhafen wurde nur Platt gesprochen und Hans Schulz hatte seine Probleme damit. »Er meinte, dass sie Glück hatten und das Wasser abpumpen konnten, ehe der Kahn komplett abgesoffen ist.«
Im Gespräch mit Jan Brons, dem Eigentümer des Kutters, und den Feuerwehrkräften fand Elzinga schnell heraus, was passiert war. In der Nacht hatten Spaziergänger ein Alarmsignal auf einem Kutter gehört. Eingedrungenes Wasser hatte den automatischen Bilgenalarm ausgelöst.
Im Dorf kannte jeder jeden, und so waren der Eigner und die Feuerwehr sofort informiert worden. Jan Brons hatte erstaunt festgestellt, dass die Eingangstür des Kutters nicht abgeschlossen war. Noch größer war sein Erstaunen gewesen, als er die Ursache für den Wassereinbruch gesehen hatte: ein geöffnetes Seeventil. Er hatte bereits bis zum Bauch im Wasser gestanden, als es ihm endlich gelungen war, dass Ventil zu schließen.
Die freiwillige Feuerwehr Ditzum hatte das eingedrungene Wasser zwar schnell abpumpen können, trotzdem war der Schaden bereits erheblich gewesen.
»Dor het en bi west, man ick was dat net!«
»Was hat er gesagt?«, fragte Schulz.
»Es war kein Unfall. Jemand hat sich am Seeventil zu schaffen gemacht.«
»Ich kann mir vorstellen, was passiert ist«, sagte Hans Schulz. »Auch wenn ich kein Platt spreche, ist mir bekannt, dass die teilweise Finanzierung der neuen Kutter durch die große Werft das Dorf praktisch in zwei Lager gespalten hat.«
Onno Elzinga schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen, dass hier einer so weit gehen sollte. Ich ruf erst mal wieder bei unseren Kollegen von der Kripo an. Die werden sich freuen.«
Elzinga merkte, dass Schulz ihn beobachtete, als er über Handy mit den Kollegen der Kripo sprach, um die Spurensicherung anzufordern. Und er ahnte schon nach kurzer Zeit, warum. Zunächst entstanden Falten auf seiner Stirn, dann wurde ihm heiß, und das bedeutete wahrscheinlich, dass ihm Röte vom Hals aufwärts in Richtung Gesicht stieg. Gott sei Dank ist mein Hemdkragen offen, sonst würde der gleich platzen, dachte Elzinga und sah Schulz mühsam ein Grinsen unterdrücken.
Das Gespräch verlief ganz und gar nicht so, wie Elzinga es erwartet hatte. Und das hatte Schulz, obwohl er der Jüngere war, natürlich mal wieder gewusst. Hatte Elzinga denn wirklich erwartet, dass die Kollegen bei dem Wust an Arbeit begeistert auf die Bitte der Wasserschutz-Kollegen um Unterstützung reagieren würden?
»Sie können nicht kommen«, sagte Elzinga. »Wir sollen uns selber helfen.«
Hans Schulz schüttelte den Kopf über ihn. »Was erwartest du eigentlich? Dass sie Hurra rufen? Die Reformen setzen die Kollegen doch nur unter Druck. Immer weniger Leute arbeiten immer mehr, das ist neuerdings die Devise. Die müssen entscheiden, was wirklich wichtig ist und dabei fallen wir leider oft hinten runter. Ich kann das gut verstehen.«
Inzwischen hatte die Feuerwehr ihre Ausrüstung eingepackt. Eine um den Kutter gelegte Ölsperre blieb zurück. Das mit nach außenbords gepumpte Öl aus der Bilge hatte sich darin gesammelt und sollte später entsorgt werden.
»Hans, wir befragen den Eigner noch mal und machen Fotos an Bord. Kannst du die Taschenlampe und die Fototasche mitnehmen? Ich nehme den Spurensicherungskoffer.«
Der Fischer saß niedergeschlagen auf dem Steuerstuhl und sah den beiden Beamten entgegen. Als Elzinga sein Gesicht sah, wusste er, dass Jan Brons auf keinen Fall seinen Kutter selbst hatte versenken wollen.