Drei baltische Wege. Robert von Lucius
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Die Großfürsten von Litauen, das Gediminiden-Jagiellonen-Geschlecht, regierten zeitweise gleichzeitig Polen. Die Erforscher der Wieder-Schöpfung suchten – da es wenige Abbildungen gibt vom Inneren des ursprünglichen Palasts – Bauvorbilder in anderen Schlössern und Burgen der Jagiellonen, vor allem in der polnischen Königsburg Wawel in Krakau. Polen und Litauen sind nicht nur durch die gemeinsame Dynastie und Geschichte verbunden, sondern auch durch den katholischen Glauben, den barocken Baustil, und durch ähnliche Traditionen. Beim Aufbau nutzten die Handwerker und Architekten polnische Hilfen und Erfahrungen auch beim den Bau erschwerenden Grundwasser, der Burgbereich war von zwei Flüssen umgeben. Absenken kann man es nicht, da der Palast teils auf Eichenpfählen steht, die das Grundwasser brauchen. Die Mauern mussten dem Vorbild angenähert dick ausschauen. So fügte man in das hohle Innere der Außenmauern Klimaanlagen ein und Leitungen.
Die Planer des Palastes orientierten sich an anderen Schlossrekonstruktionen. In wissenschaftlichen Konferenzen und mit wechselseitigen Besuchen beobachteten sie Vorhaben in Warschau und Königsberg, Dresden und München, in Italien und Ungarn. Die Planer des Berliner Stadtschlosses kamen nach Vilnius und interessierten sich für die Einbeziehung authentischer Elemente und die Verwendung von Originalstücken: Berlin wollte von Vilnius lernen. Die Zahl der Bücher zum Palast, zuletzt um die zehn jährlich, ist erstaunlich.
Der vierstöckige Palast ist Mittelpunkt eines ausgedehnten Komplexes, der den Dom, die Oberburg auf dem Hügel, das Nationalmuseum und andere Paläste einbezieht. Die Burg war vom vierzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert die wichtigste Residenz der Großfürsten, deren Namen viele Litauer als Vornamen tragen – Gediminas, Algirdas, Kazimieras (Kasimir), Žygimantas, Vytautas (Vytold). Mehrfach brannte der Palast ab oder wurde geplündert. Nach der Verwüstung durch russische Truppen 1661 wurde er nicht mehr renoviert, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts dann abgebrochen. Nun steht er „fast“ wieder. Vom Innenhof führt eine glasüberdachte Treppe ins unterirdische Foyer, von dem aus man in vier Richtungen gehen kann – zu den historischen Mauern, zu den „historischen“ Sälen, zu Ausstellungsräumen, in denen künftig Wechselausstellungen aus dem Ausland stattfinden sollen, und zur Konzerthalle, nachempfunden dem Theatersaal aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert. Auch hier wollen die Bauherren stets sichtbar machen, was authentisch ist und was Vision.
Klaipeda (Memel) – Stadt, Land, Meer
Als Napoleon 1807 Berlin besetzte, flohen Regierung und Königshof nach Memel und erklärten es zur provisorischen Hauptstadt des preußischen Königreiches. Dort hob Friedrich Wilhelm III. mit einem Edikt die Leibeigenschaft in Preußen auf und empfing zweimal den Zaren. Als Klaipeda als älteste Stadt Litauens seine Gründung vor 750 Jahren feierte, kamen neben vielen Zehntausend Litauern vier Präsidenten aus Ostsee-Anrainern – nicht aber die Staatschefs von Deutschland und Russland, jenen beiden Ländern, die im Memelland herrschten, bevor und nachdem Litauen die Hafenstadt und das Memelland 1923 übernahm. Schon zwei Jahre nach der Gründung der Burg und der Stadt im August 1252 durch einen Vertrag zwischen dem Bischof von Kurland und dem livländischen Orden übernahm Memel von Lübeck das Stadtrecht.
Litauer gehen unbefangener mit der sechs Jahrhunderte währenden deutschen Vergangenheit Memels um als Deutsche. Das schließt den ebenso berühmten wie missbrauchten Gedichtvers Hoffmann von Fallerslebens im „Lied der Deutschen“, der Nationalhymne, ein: „Von der Maas bis an die Memel“. In einer Einführung in seine Geschichte und Literatur weist eine offizielle Broschüre darauf, dass die Grenzregion um das ostpreußische Tilsit und Memel vor dem Zweiten Weltkrieg zu Deutschland zählte. Diese waren zugleich aber Orte, in denen die litauische Nation und Kultur vor 140 Jahren wiedergeboren wurden.
Wechselvoller kann die Geschichte einer Stadt wie Memel, das auch vom Deutschen Orden, von Schweden (1629 bis 1635) und von Franzosen (1920 bis 1924) regiert wurde und Völkerbundsmandat war, kaum sein. Ordensburg – auch hier gibt es Pläne eines Wiederaufbaus – und Stadt wurden im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. Die historische und kulturelle Bedeutung blieb, alte Fachwerkbauten wurden restauriert. Das Wechselhafte gilt auch für die bernsteinreiche Region „Kleinlitauen“, die sich jetzt auf drei Staaten verteilt – das Memelland kam zu Litauen, Teile Ostpreußens zu Polen und Königsberg als Exklave Kaliningrad zu Russland. Staatsgrenzen waren im vorigen Jahrhundert mehrfach – 1919, 1923, 1939 und 1945 – verschoben worden.
Klaipeda ist von der Ostsee abgetrennt durch die Kurische Nehrung, auf der Thomas Mann seinen Zyklus „Joseph und seine Brüder“ in seinem Sommerhaus im nahen Nida (Nidden) schrieb. Die Kurische Nehrung trennt das Kurische Haff von der Ostsee: ein knapp hundert Kilometer langer, allenfalls vier Kilometer breiter Streifen mit Wanderdünen, der zur Hälfte Litauen, zur Hälfte Russland (Kaliningrad/Königsberg) gehört. Zu weiteren großen Söhnen der drittgrößten Stadt Litauens zählen der Barockdichter Simon Dach, Dichter des „Ännchen von Tharau“, der Astronom Friedrich Wilhelm Argelander und der wohl bedeutendste lebende litauische Dichter Tomas Venclova. Fast genau ein Jahrhundert steht vor dem Theater die Figur des Ännchen als Brunnen und zeigt die Wechsel der Geschichte. 1939 wich sie einer Hitler-Büste, dann einem sowjetischen Panzer, bis sie 1989 als Nachguss heimkehrte.
Kaunas – Von Teufeln und Engeln
Teufel gibt es in den drei Stockwerken in allen Farben und Formen: aus Ton, Holz, Bronze oder Plastik, aus China, Kuba oder der Ukraine, als Pfeife, Aschenbecher oder Karnevalsmaske. Das Teufelsmuseum in Kaunas glaubt, die einzige Sammlung dieser Art in Europa zu sein. Gegründet wurde es 1966 – also zu Sowjetzeiten. Die Sowjets sahen die Sammlung als Mittel, die katholische Kirche lächerlich zu machen. Sie gründet auf der Privatsammlung eines Malers und Kunstprofessors. Mittlerweile umfasst sie mehr als 2 000 Teufel dank der Geschenke aus vielen Ländern; in Deutschland scheint es, am Bestand gemessen, wenig Teufel zu geben, vielleicht auch nur wenige Schenkungswillige. Vor allem ein Doppelteufel zieht die Aufmerksamkeit auf sich: eine Karte Litauens, auf der Hitler steht, verzerrt und grob, und hinter ihm eine glatte Stalin-Gestalt, die ihn peitscht. Beide Diktatoren tragen die obligaten Teufelshörner; sie haben das Leben zweier litauischer Generationen zerstört.
Teufelshörner haben beide – Hitler und Stalin
Ist es Zufall, dass das Museum in Litauen steht, dem letzten Staat Europas, der christianisiert wurde – wobei die politisch motivierte Bekehrung des Großfürsten und seiner Untertanen 1387 nicht nur den Schritt zum katholischen Glauben brachte, sondern auch fort vom orthodoxen Glauben seiner Mutter und damit der Einbindung in die osteuropäische Welt. Viele sagen voller Ernst Nein, auch besonnene Gesprächspartner. Sie weisen auf die starke Rolle, die das Übersinnliche im litauischen Volksglauben noch spiele und die späte „Bekehrung“. Dass ein früherer Staatspräsident sich eine Wahrsagerin mit schwammigem Hintergrund als Beraterin und Vertraute hielt, verspotten viele, andere fühlen ihm das nach. Die Christianisierung kam um 1300, der letzte heidnische Priester in Litauen starb im siebzehnten Jahrhundert. Noch immer tragen viele Turmkreuze über den Kirchen