Andere Häfen. Christopher Ecker

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Andere Häfen - Christopher Ecker

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      Niemand beachtete mich. Soeben war ein neuer Schwung Vermieter eingetroffen und wurde von den Anwesenden, es mussten inzwischen mindestens fünfzig oder sechzig sein, lautstark begrüßt.

      „Meine Herren“, rief ich, „der Spiegelschrank im Badezimmer …“

      Jemand rempelte mich an, ich fuhr herum und sah, während ich mich bemühte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, den Arm meiner Frau mitsamt dem Tablett aus dem Leibermeer ragen. Der hochgereckte Arm zitterte, das Tablett neigte sich bedenklich in die Schräge, wieder wurde ich angerempelt. Diesmal von vorn. „Sie stehen uns im Weg“, sagten mehrere Vermieter im Chor. „Machen Sie Platz! Da ist eine Dame, die uns mit Schnittchen milde zu stimmen versucht. Doch uns milde stimmen zu wollen, ist sinnlos. Es bleibt unübersehbar: Die Wohnung ist in einem katastrophalen Zustand!“

      Ich öffnete den Mund, um zu einer Rechtfertigung anzusetzen, doch da nahm mir ein klein gewachsener Herr den Mietvertrag aus der Hand und verschwand damit übertrieben armrudernd in der Menge, wo sich eine schmale Gasse geöffnet hatte, die sich hinter ihm wieder schloss wie ein aufrecht stehendes Lippenpaar. Im Gänsemarsch drängten Neuankömmlinge in die Wohnung. Man begrüßte sie mit Jubelrufen. Hände wurden geschüttelt, Schultern wurden beklopft. Um dem nicht abreißenden Strom der Neuankömmlinge Platz in der bis zum Bersten überfüllten Wohnung zu schaffen, wurden an den merkwürdigsten Stellen Türen zu Räumen geöffnet, die ich nie zuvor gesehen hatte. Jemand hielt meinen Kopf eine Weile von hinten fest, aber aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein Vermieter auf den Rücken eines anderen kletterte, knapp unter der Decke die Tapete löste und ein rechteckiges Loch in der Wand freilegte, worin mehrere mit bräunlicher Flüssigkeit gefüllte Gläser standen.

      „Meine Herren“, rief ich, „meine lieben Herren! Da gibt es einen kleineren Wasserschaden, das gebe ich gerne zu, aber dieses Loch in der Wand ist mir unbekannt. Wir haben, und ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen, mit diesem Loch nichts zu tun!“ Hilfesuchend sah ich mich nach meiner Frau um, doch die Leiberwalze drängte mich, wobei alle Vermieter Zischlaute ausstießen wie Ganter, die ihre Brut beschützen, aus dem Raum in eine hohe Halle, deren Leere jedoch nur für kurze Zeit wohltuend war, hatte sie sich doch in Windeseile mit Vermietern gefüllt. Ich hob den Blick zur stuckverzierten Decke des Saales und dachte halb befremdet, halb belustigt: Deshalb also die horrend hohen Heizkosten für eine Dreizimmerwohnung. An manchen Stellen war der Stuck schwarz von Ruß. Ein Korken glitt in unmittelbarer Nähe aus einem Flaschenhals. Mehr bekümmerte mich jedoch das ferne Hundegebell. Einige Vermieter lachten, Papier wurde zerrissen, jemand trug eine Wanne auf dem Kopf vorüber, aus der eine trübe, zähe, teigähnliche Masse auf den Boden schwappte.

      „Die Dielen im Wohnzimmer“, insistierte ich, die Arme schwenkend wie ein Fluglotse, „waren im Fensterbereich schon beim Einzug abgewetzt und verkratzt. Der Boden müsste an dieser Stelle bloß abgeschliffen werden.“ Jemand rammte mir etwas in den Rücken. Ich drehte mich um, wollte den Rüpel zur Rede stellen, wurde aber zugleich von vielen Händen gepackt und zu Boden gezogen. Das Gesicht auf den Dielen, roch ich feuchtes, vermodertes Holz.

      „Meine Herren“, schrie ich, „das ist doch keine Art!“ Ein Fuß setzte sich mir ins Genick, übte gleichmäßig anwachsenden Druck aus. Meine Schneidezähne gruben sich in butterweiche Bodendielen. Wirbel knackten, als ich mich dem Druck widersetzte. Schließlich gelang es mir, den Kopf in eine halbwegs erträgliche Lage zu bringen. Den Geräuschen nach zu schließen, traf gerade ein weiterer Schwung Vermieter ein. Lackierte Schuhe, Hosenbeine mit Bügelfalte, mehr sah ich nicht. Und als die Schuhe von allen Seiten immer näher auf mich zurückten, begriff ich, wie ich enden würde: auf dem verrotteten Boden eines mir gänzlich unbekannten Raums meiner verwüsteten Wohnung, zertrampelt von meinen eigenen Vermietern.

      FÜR EIN LESEBUCH DER OBERSTUFE

      In ihrem angeborenen Bedürfnis, sich nützlich zu machen, stößt man bisweilen auf die alten Götter. Einmal sah ich Prometheus, der auf dem Bahnsteig der Untergrundbahn für Ordnung sorgte. Etwas größer als ein Normalsterblicher ermahnte er Jugendliche, keine Zigarettenkippen auf die Gleise zu werfen, oder warnte eine Gruppe Rucksackreisender, sich nicht zu nahe an die Bahnsteigkante zu stellen. Hatte er das getan, drückte er sich mit katzenhaft gewölbtem Rücken an die gekachelte Wand, mit der er sogleich zu verschmelzen schien, als wäre die helfende Tätigkeit weit unter seiner Würde und schlimmer, als in Ketten am kaukasischen Fels auf die Wiederkehr des Adlers zu warten.

      Dies oder Ähnliches erzählte ich gerade, wie ich mit leichtem Erstaunen feststellte, der jungen Frau, die sich an meinen Tisch gesetzt hatte, da alle übrigen Plätze in dem Café belegt waren. Draußen regnete es in Strömen.

      „In Paris“, hörte ich mich weitersprechen, „flüchtete ich einmal vor einem Wolkenbruch unter die Markise eines Cafés und wie ich da zusammen mit anderen Passanten stand und in den Regen starrte, kam auf einmal ein Kellner mit einem Tablett aus dem Inneren des Cafés und servierte uns Gläser gekühlten Eiswassers.“

      „Das war bestimmt einer der neuen Götter“, warf die junge Frau lächelnd ein.

      „Oh, nein!“, sagte ich und berührte mit unendlicher Wehmut ihren bloßen Unterarm. „Dies war nur ein Kellner, der es gut mit uns meinte.“

      Sie wollte etwas entgegnen, unterließ es aber, als sie sah, dass ich mit den Tränen kämpfte. Wir starrten beide aus dem Fenster in den Regen, der seit Tagen fiel, ein kühler Regen, als wäre es schon Herbst. Über uns drehten sich die Ventilatoren.

      Unter den Gästen machte sich erst Unruhe breit, als ich aufstand und betont langsamen Schrittes das Café verließ. Und noch in der Drehtür wusste ich, dass mein größter Fehler der war, sie nicht gefragt zu haben, weshalb sie keine Angst vor mir hatte, oder sich, sofern sie Angst hatte, diese nicht anmerken ließ wie ein Kind, das sich mit einem Stöckchen einem schlafenden Hund nähert.

      ALS WER WIR ERWACHEN

      Es ist jedes Mal ungewiss, als wer wir erwachen. Erwacht Mama als Mama, Papa als Papa und Pauli als Pauli? Oder erwacht Mama als Papa oder Pauli? Oder ist der erwachte Papa in Wahrheit Mama oder Pauli? Und wer ist Pauli beim Erwachen, wenn er nicht er selbst ist? Gerne erwacht Pauli als Mama und lässt sich, wenn Papa und Pauli aus dem Haus sind, ein Schaumbad ein. Manchmal jedoch ist es auf Papas Arbeit auch spannend, vor allem, wenn etwas schiefgeht und alle ausgeschimpft werden müssen. Doch am liebsten erwacht Pauli als Pauli, obwohl er dann zur Schule muss und nie sicher sein kann, ob derjenige, der am Vortag als Pauli erwacht ist, die Hausaufgaben gemacht hat. Seltsam ist es, wenn zwei der drei als Mama und Papa erwachen, bevor Pauli zur Welt kam. Einer von beiden geht dann stets ins Kinderzimmer, um Pauli zu wecken, doch dort steht nur Mamas Hometrainer. Ist Pauli als einer der beiden erwacht, ist ihm die ganze Sache immer ein wenig unangenehm. An solchen Tagen meldet man sich als Papa am besten krank und bleibt bei Mama. Vielleicht lässt man sich gemeinsam ein Schaumbad ein und tut danach etwas, was es Monate später notwendig macht, den Hometrainer in den Keller zu verbannen. Einige Mal wurde Pauli als Mama wach und spürte in sich einen Pauli, der Papa war und sich hin und her warf. „Was hast du?“, fragte Papa, der Mama war. – „Nichts“, sagte Mama, die Pauli war, „das Kind strampelt wie verrückt.“ – „Du nennst es immer das Kind“, beschwerte sich Papa, „das ist doch unser kleiner Pauli!“ Dann füllte er den Flachmann und ging zur Arbeit. Eine Sache gibt es jedoch, die schlimmer als alles ist, nämlich, wenn einer der drei als Pauli erwacht und Mama und Papa sind schon lange tot und derjenige, der heute Pauli ist, schleppt sich ans Fenster und wartet auf den Kleinbus vom Fahrbaren Mittagstisch. Freitags gibt es Fisch, an den anderen Tagen bloß die übliche lauwarme Schonkost. Also ist es ein wenig Glück im Unglück, wenn man als alter Pauli an einem Freitag erwacht und das Essen rechtzeitig kommt, bevor man stirbt.

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