LebensLichtSpuren. Nanaja Meropis

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LebensLichtSpuren - Nanaja Meropis

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Ich kannte meinen Cousin, er würde langsam nach Haus gehen, bis es Zeit zum Abendessen wäre.

      „Geh und wasch deine Hände!“, würde seine Mutter sagen. Er säße zum Abendessen am Tisch und erst, nachdem jemand gefragt hätte, wo ich sei, würde er sagen, dass ich auf einer kaputten Brücke wäre, ohne vorwärts oder rückwärts gehen zu können.“ „Welche Brücke, Junge? Erklär die Dinge richtig!“ Und nach einer wirren Erklärung würden meine Eltern und meine Onkel zu meiner Rettung kommen. Wie lange musste ich hierbleiben? Ich richtete meinen Blick auf das Betonfundament, berechnete genau, wo meine Füße aufkommen würden. Ich musste springen, ich konzentrierte mich. Und ich sprang, mit einem Fuß voran und balancierend mit dem anderen, und mit ausgestreckten Armen fand ich mein Gleichgewicht. Ich sah nur auf den Horizont vor mir, nicht nach unten. Nur auf die schmale Betonwand. Ich musste mit ausgestreckten Armen gehen, einen Fuß nach dem anderen und mit maximaler Konzentration. Endlich gelangte ich an das Ufer. Ich war in Sicherheit, rannte glücklich mit offenen Armen den menschenleeren Weg hinunter und spürte, wie der Wind mein Gesicht streichelte. Den salzigen Geruch des Waldes zog ich genussvoll durch die Nase und erblickte vor mir die dunkle Silhouette der Unermesslichkeit des Meeres.

       AUSWANDERN FÜR IMMER

      Unser Klassenlehrer hatte es uns vor kurzem mitgeteilt, und der Tag X rückte immer näher. Vielleicht wollten seine Eltern ihm bessere Chancen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten bieten, ohne Stress, mit einer völlig anderen Art des Lebens. Solch ein einschneidender Schritt sollte sorgfältig geplant werden, besonders wenn man ihn mit Kindern gehen will. Wie wäre es gewesen, wenn mich das alles betroffen hätte? Immer wieder dachte ich seit dieser Zeit über das Auswandern nach. Ein schöneres Leben mit mehr Sonnenschein und unter Palmen? Davon träumten damals viele, Aufbruch in neue Abenteuer … Aber ob das auch für mich interessant wäre?

      Dann kam der Tag, an dem unser Lehrer mitteilte, dass unser Schulfreund seinen letzten Schultag hier hätte und schon in wenigen Tagen nach Kanada übersiedeln würde. Ein großes Händeschütteln begann, und dann war das aufregende Ereignis auch schon fast vorüber … Am frühen Nachmittag kam ich nach Hause und eilte weinend zu meiner Mutter, die in der Küche das Essen zubereitete.

      „Heute war unser Mitschüler zum letzten Mal in der Schule, wir werden ihn nie mehr sehen. … Oft habe ich ihn gehänselt … und manchmal haben wir nicht nett über ihn gesprochen … Jetzt können wir das alles nicht mehr gut machen, Mama! Eigentlich habe ich ihm noch so viel sagen wollen … Das ist sehr traurig!“, und ich weinte bitterlich wie kaum je zuvor. Meine Mutter nahm mich in die Arme und tröstete mich: „Schau jeden Abend auf den Abendstern, er geht überall auf, ganz egal auf welchem Erdteil du lebst. Durch ihn bist du immer mit ihm verbunden und kannst ihm alles sagen, was dich bedrückt!“ Nach diesem Gespräch war ich sehr erleichtert und fühlte mich an so manchen Abenden mit jenem Mitschüler verbunden.

       HAHNSCHLAGEN

      Dorffeste gehören für uns Kinder zu den bewegenden und prägenden Erlebnissen unseres Daseins, auch wenn der Dorfalltag allein schon voller kleiner Abenteuer ist. Auf das Dorffest spare ich das ganze Jahr, kann es kaum erwarten, mein Geld für Süßigkeiten und die Schießbude auszugeben. In unserem Dorf gibt es eine besondere Tradition, das „Hahnschlagen“, dem ich jedes Jahr aufgeregt entgegenfiebere. Einer der Bauern im Dorf spendiert einen geschlachteten Hahn, den er in einem Leinensack dem Bürgermeister übergibt. Auf einer Wiese wird nach seiner Anweisung ein Loch ausgegraben und der Sack nebst Hahn darin vergraben. Um die Grabstelle herum wird mit einem Seil ein Quadrat mit einer Seitenlänge von ungefähr zehn Metern abgesteckt. Vorher schon werden den 16-jährigen Jungen die Augen verbunden.

      In diesem Jahr stehen nun sechs „künstlich erblindete“ Jungen vor der Absperrung, alle bewaffnet mit einem Dreschflegel. Wir Kleinen liegen bäuchlings auf der Wiese, beobachten das Spektakel. Ein Junge nach dem anderen wird auf das markierte Quadrat geführt, und jeder versucht nun, mit den Füßen die Stelle zu erspüren, an der der Hahn vergraben liegt. Wer glaubt, die richtige Stelle gefunden zu haben, tritt einen Schritt zurück und schlägt mit dem Dreschflegel auf den Boden. Drei haben sich schon vertan, jetzt ist der Sohn unseres Nachbarn dran. Mit dem rechten Fuß tastet er die Erde nach einer weichen Stelle ab und wird fündig. Sein Hahnenschlag sitzt. Seiner Augenbinde entledigt, wird er auf den Schultern seiner Freunde durchs Dorf getragen. Abends wird der Hahn für ihn in der Dorfgaststätte zubereitet und er erhält für die ganze Dauer des Dorffestes seine Getränke im Festzelt umsonst. In den Augen der Dorfmädchen ist er für zwei Tage ein Held. Ich bin ein wenig neidisch.

       DIE MAUER

      Meine Mutter hatte eine sanfte Stimme und viel Geduld. Sie verbrachte den Tag mit der Hausarbeit: Kochen, Putzen, Essen, Wäsche, und immer, wenn ich gerade etwas Neues ausprobieren oder etwas erfinden wollte, sagte sie mir: „Tu das nicht!“ Und ich tat es doch. Und dann war da noch diese Mauer in unserem Garten, und meine Mutter wusste nicht, dass eine Mauer für ein Kind nur gemacht ist, um herauszufinden, was auf der anderen Seite ist. Die Holzkisten neben der Wand waren eine einladende Treppe. Ich stieg auf die zerbrechlichen Kisten, erreichte den Rand der Mauer, ließ ein Bein auf die eine und das andere auf die andere Seite baumeln und entdeckte ein neues Territorium: den Hof der Nachbarn mit ihren Kleidern auf der Wäscheleine.

      Der rotgekachelte Boden leuchtete im Sonnenlicht, und die aufgehängte Wäsche bewegte sich wie Laub im Wind. Ein weißes Tuch flatterte in Kurven in der Luft, skizzierte Flüge, hing aber fest an der Wäscheleine, um wieder nach oben zu flattern und zu landen. Ich konnte dort nichts weiter entdecken als eine ferne Insel in der Ecke mit einem blühenden und einem grünen Busch. Als ich heruntersteigen wollte und auf die Holzkisten trat, rutschte ich aus und fiel hin, wobei ich mir das Knie verletzte. Aus einer tiefen Wunde strömte das Blut, und meine schrillen Schreie breiteten sich im Hof aus.

      Meine Mutter trat aus der Küchentür und sagte ohne Mitleid: „Ich habe dir gesagt, du sollst das nicht tun!“ Sie brachte mich ins Badezimmer, wo sie die Wunde desinfizierte, Gaze auflegte und mit einem Klebeband befestigte. Meine Mutter ist nie über Mauern geklettert, sie wusste wohl nicht, dass Mauern gemacht sind, um sie zu überqueren, dachte ich, meine Augen voller Tränen.

       GROßVATER

      Mein Großvater mütterlicherseits ist ein fröhlicher und herzensguter Mensch. Er hat einen großen Weingarten, einen wunderschönen Hahn und viele Hühner, die uns jeden Morgen frische Eier zum Frühstück schenken. Mitten auf seinem Hof, vor der Terrasse, befindet sich ein großer Teich mit Goldfischen. Jeden Abend vor Sonnenuntergang sprengt mein Opa die Blumen und den Boden des Hofes mit Wasser, damit die Hitze im Sommer erträglicher wird. Danach riechen der Hof und die Terrasse nach feuchter Erde. Dieser Geruch ist unser Zeichen, das bald das Abendessen serviert wird. Dann stellen unsere Mütter die wunderbaren Gerichten für die große Familie auf die Terrasse, deren Düfte uns noch hungriger machen. Das Abendessen wird immer wie ein Festmahl gefeiert. So verbringen wir oft die Sommerferien mit der ganzen Familie im Hause meines Großvaters.

      Mein Großvater wird plötzlich krank. Wir Kinder spüren einen unsichtbaren Saum der Trauer in der Luft. Meine Mama sagt: „Opa geht es nicht gut, macht nicht so viel Lärm.“ Opa protestiert und sagt mit schwacher Stimme: „Lass doch bitte meine Vögel zwitschern, das schenkt mir viel Kraft“. Doch schon bald erlischt das Lebenslicht meines Großvaters. Sein Platz auf der Terrasse bleibt leer. Mama sagt: „Er ist für immer fort“. „Für immer?“, frage ich entsetzt und spüre zum ersten Mal den Schmerz des Verlustes eines geliebten Menschen, der nie mehr da sein wird.

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