LebensLichtSpuren. Nanaja Meropis
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Wie lange und wie weit wir gegangen sind, wissen wir nicht. Mitten in der Stadt entdeckt uns eine Frau, die gleich bemerkt hat, dass wir ohne Begleitung sind. Sie fragt nach unseren Eltern und unserer Adresse. Doch wir wissen keine Antwort. Sie nimmt uns mit zu einer Polizeistation und übergibt uns dort den Verantwortlichen. Die Beamten fragen nach unseren Eltern. Obwohl wir begeistert von unserem Ausflug sind und auch die Anwesenheit in der Polizeistation als ein Erlebnis empfinden, versuchen sie uns zu trösten. Doch das ist keineswegs notwendig, da wir viel zu sehr damit beschäftigt sind, die neue Umgebung in uns aufzusaugen. Die Beamten sagen, dass unsere Eltern uns sicher suchen werden und geben uns eine Hand voll Rosinen. Glücklich essen wir die Rosinen, voller Genuss, als seien wir zu Hause. Kurz darauf treffen unsere besorgten Eltern ein, die uns seit Stunden gesucht haben.
Es gab keinen Ärger zu Hause. Darüber erstaunt blicken Anna und ich uns an. Ich zeige ihr eine Rosine, die ich noch in der Hand halte, wir lächeln.
DIE ALTEN HAUSREZEPTE
„Ihr Kind soll Kamillentee trinken, mit Salzwasser inhalieren und drei Mal täglich mit Salbeitee gurgeln. Und vielleicht auch eine Hühnersuppe essen. Dann sollte die fieberhafte Erkältung bald zurückgehen“, meinte unsere Hausärztin, nahm ihre große Arzttasche und verabschiedete sich. Meine Mutter fuhr mir zärtlich über den Kopf und meinte: „Das wird schon wieder. Ich koche dir gleich einen Kamillentee!“
Ich lag ermattet in meinem Krankenbett, das direkt gegenüber der Küche im kleinen Speisezimmer lag. Ich durfte es nur benutzen, wenn ich krank war, was es leichter machte, mich mit meiner in der Küche weilenden Mutter auszutauschen. Doch Kommunikation kam diesmal nicht in Frage, ich war benommen, hatte hohes Fieber, neigte zum Phantasieren, und die Essigsocken, die mir meine Mutter mehrmals täglich anlegte, engten meinen Aktionsraum noch mehr ein. Kamillentee war mir als Kind schwer erträglich, dann schon lieber russischer Tee, und am liebsten wäre mir mein Kakao gewesen, aber den gab es im Krankheitsfalle nur selten.
Besonders dramatisch wurde es aber, wenn man mir zuredete, im Krankheitsfalle zumindest einmal täglich „einen kleinen Teller“ warme Suppe zu essen. Ich hatte eigentlich überhaupt keinen Appetit und wollte nur liegen und ausruhen. Auch diesmal kam meine Mutter pünktlich zur Mittagessenszeit mit der von der Ärztin empfohlenen Hühnersuppe, die durch ihre Vitamine und andere wertvolle Inhaltsstoffe mein Immunsystem aufbauen sollte. Wenig begeistert nahm ich den Teller, ließ mir den ersten Löffel von meiner Mutter widerwillig einflößen, blies aber lange und heftig auf die heiße Suppe, sodass letztlich nur weniger als die Hälfte den Weg in meinen Mund fand. Dann begab sie sich wieder in die Küche und überließ mich meinem Schicksal. Mit schwacher Stimme rief ich ihr hinterher: „Ich kann schon alleine weiter essen!“
Nach einigen Minuten, als meine Mutter Nachschau hielt, war mein Teller tatsächlich leer. Ich stellte mich schlafend, was meine Mutter aber nicht davon abhielt, mir noch einen zweiten Suppenteller zu servieren. Am nächsten Tag, an dem es mir ein wenig besser ging, brachte sie mir wieder zwei Hühnersuppenteller zum Mittagessen, die ich zu ihrer Überraschung schnell gegessen hatte. Danach sollte ich kurz aufstehen, um mich ins Wohnzimmer zu setzen. Als meine Mutter in der Zwischenzeit mein Bett neu bezog, entfuhr ihr ein Schreckensschrei: „Mein Gott, hier in deinen Nachttopf hast du also die gute Hühnersuppe geleert!“
Seit diesem Tag, an dem mein kleines Geheimnis entdeckt worden war, wurde ich beim Suppenessen immer streng kontrolliert. Zum Glück hat jedoch niemand herausgefunden, dass zwei unserer schönsten Zimmerpflanzen in dieser Woche verwelkt waren, weil ich sie mit heißer Hühnersuppe gegossen hatte.
EISBRUCH
Über die vom tagelangen Dauerfrost erstarrten Wiesen stapfe ich auf den Fluss zu. Ein graues, kaltes Tuch spannt sich zwischen Himmel und Erde. Ich liebe den Winter, drücke schon im November meine Nase an die Fensterscheiben meines Kinderzimmers unter dem Dach und sehne mich nach Schneeflocken. Verkrusteter Schnee auf den Wiesen knirscht unter meinen Füßen. Bald erreiche ich den Fluss. Eine dicke Eisschicht bedeckt den sonst quirligen Flusslauf. Eisige Stille liegt über dem Gewässer, in dem ich im Sommer schwimme. Ich stelle mir vor, wie das Wasser unter der Eisschicht dahinströmt, und in mir erwacht ein abenteuerlicher Drang, zur Mitte des Flussbettes zu gehen. Wie in Trance setze ich meine Füße auf das Eis, das von einer Schicht Puderzuckerschnee bedeckt ist.
Es hält stand. Eine unsichtbare Energie treibt mich hinaus. Ein paar Schritte vom Ufer entfernt beginnt das Eis zu knacken. Wie gebannt bleibe ich, der Flusseroberer, erschrocken stehen. Rund um meine Schuhe perlt Wasser aus Eisritzen. Eine furchtbare Angst steigt in mir auf. Ich sehe mich unter einer dicken Eisschicht treiben, ohne Chance, je wieder nach oben zu gelangen. Neben mir schwimmen Fische.
„Leg dich langsam auf den Bauch“, höre ich meinen Großvater in mir sagen. Ich gehorche der Stimme und lege mich unendlich langsam auf das Eis, robbe zum Ufer, fasse einen Weidenast und ziehe mich auf die Böschung. Ich schaue auf den Fluss und fühle, wie der Tod mich wieder entlässt.
DIE ERZÄHLUNGEN MEINER OMA
Meine Oma ist anders als alle anderen, denn sie ist seit ihrer Kindheit blind und wurde schon immer von ihren Eltern, ihrem Ehemann und später auch von ihren Kindern betreut. Sie kommt nach unserem Umzug in unser neues Haus zu uns und wird Teil unserer Wohngemeinschaft.
Meine Oma wurde sehr jung verwitwet mit sechs Kindern. Sie ist knapp über 50 Jahre alt, mollig, hat lange dünne Haare, die mit Henna gefärbt sind. Ihr Gesicht ist rund, freundlich, mit einer schönen rosigen Haut. Trotz ihrer Blindheit ist meine Oma ein humorvoller Mensch. Sie erzählt uns oft Geschichten, Sagen, Fabeln oder auch Märchen, die sehr lebendig sind, und entführt uns in eine andere Welt.
Ihre Geschichten fangen immer spannend an: „Es war einmal ein sehr geiziger Mann in einem kleinen Dorf. Er sparte sein ganzes Vermögen und versteckte es in einem großen Koffer unter dem Dach. Jeden Abend schaute er mit Genugtuung seinen Reichtum an und ging dann mit tiefer Zufriedenheit schlafen.
In dem Dorf kam es zu einer Dürre und Trockenheit. Es hatte so lange nicht geregnet, dass die Ernte zum Leben nicht reichte. Die Menschen suchten verzweifelt den Mann auf in der Hoffnung, dass er sie mit einem kleinen Betrag unterstützen konnte. Dies taten sie, um sich damit in der Nachbarschaft etwas zum Essen besorgen zu können. Der geizige Mann sagte: „Nein, ich gebe euch kein Geld, da ich nicht sicher bin, das Geld wieder zurückzubekommen“. Für sich selbst kaufte er gutes Essen und freute sich über seine Klugheit und seinen Reichtum. Seine Nachbarn hungerten, und er war nicht bereit, ihnen unter die Arme zu greifen.
Im Winter machte er sich ein Feuer an, um sich zu wärmen. In dieser Nacht fiel er in einen tiefen Schlaf und bemerkte nicht, wie sich das Feuer im ganzen Haus verbreitete. Er konnte sich nicht mehr retten, und niemand hörte seine Hilferufe. Von seinem Haus blieb nichts als Asche übrig. Die Nachbarn waren entsetzt und fragten sich, ob er seinen Reichtum wohl in die Hölle mitgenommen hätte, damit es niemandem besser gehen konnte als ihm selbst.“
SAUERKRAUT