LebensLichtSpuren. Nanaja Meropis

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LebensLichtSpuren - Nanaja Meropis

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langsam schiebe ich meine offene Hand auf ihn zu, bis er darauf sitzt und präsentiere ihn stolz meiner Freundin. Verzückt streichelt sie ihm mit dem Zeigefinger gegen den Fellstrich über den Rücken. Wenig später setze ich ihn ab, und er verkriecht sich in einer Garbe. Wir strahlen uns an, fühlen eine tiefe Nähe zwischen uns und zu dem kleinen Wesen. Meine Freundin hat wässerige blau-grüne Freudenaugen.

       MIT EINEM VOGEL IM BAUCH

      Einmal stand ich hinter der Mauer unseres Hinterhofs und beobachtete einen Jungen, der einen von ihm selbst hergestellten Drachen hin und her in der Luft bewegte. Die Jungs auf der Straße spielten oft mit Drachen. Er zog den Drachen hoch, nahm die Spannung von der Schnur, wickelte sie in die Dose auf, ließ die Schnur los, bewegte die Arme, lockerte die Hände oder drückte an der Schnur. Der Drachen bewegte sich am Himmel hin und her und machte Kurven. Plötzlich näherte er sich mir. „Willst du es versuchen?“ Meine Eltern hatten mir verboten, mit Jungs zu spielen, mit ihnen zu reden oder so zu spielen wie sie spielen. Ich nickte. Ich wusste, dass ich etwas Verbotenes tat und ich musste aufpassen, dass mich niemand sah. Er gab mir die Schnur zum Halten. „Nimm sie!“

      „Warte!“ Ich hielt ihn fest. „Nein, nicht so. Du musst dich bewegen, zieh die Schnur zur Seite!“ Ich war überrascht von der Kraft des Windes, die durch die Schnur ging. Es war, als ob ich die Zügel eines Tieres in der Hand hielt. Ich zog sie zurück, dann zur Seite. „Wenn du ihn nicht mit dem Wind bewegst, fällt der Drachen.“ Er sah aus wie ein fliegender Vogel in meiner Hand, die Kraft des Windes war wie das Gefühl der Freiheit, die am Ende der Drachenschnur mit schweren Flügeln flatterte. Der Drachen beschrieb eine Kurve, aber nicht so, wie er sollte, er drohte zu fallen. Der Junge nahm ihn mir wieder aus der Hand, und ich rannte ins Haus. Mein Herz schlug schneller, mein Bauch schmerzte vor Glück. Damals waren die Tage so lang wie Kaugummi, den man mit der Hand aus dem Mund zieht.

       KINDHEITSNEST

      Bilder aus meiner Kindheit, Fantasiefarben, tanzende Erinnerungen, Glück, Geborgenheit. Wir sind fünf Kinder, die mit meinen Eltern in einer kleinen Wohnung leben. Mitten in der Hauptstadt leben wir in einem großen Haus zusammen mit sechs anderen Familien, die auch kinderreich sind. Der große Teich mitten im Hof des Hauses ist der Schauplatz unserer Kinderspiele und die Begegnungsstätte der Frauen, die immer am Waschen oder Vorbereiten anderer Besorgnisse für ihre täglichen Hausarbeiten sind. Eine Schar Kinder erfährt täglich wunderbare, einzigartige Erlebnisse, wie sie uns keine anderen Gelegenheiten schenken, kein Gedanke daran, ob es außerhalb unserer Welt auch eine andere gibt. Wir sind unbefangen und sorglos. So nisten wir uns in einer schönen Welt ein und erfassen unser Glück.

       MUNDRAUB

      Nebelfetzen hängen an diesem Morgen in den Dorfstraßen. Mein Freund und ich schlendern dem Baumstück am Rand des Dorfes zu. Dort gibt es eine Hecke mit dicht gewachsenen Büschen. Darin sitzen wir oft, beäugen das Draußen, die vorbeigehenden Spaziergänger, ohne von ihnen erkannt zu werden. Ein seltsam wohliges und erregendes Gefühl von Sicherheit und Abenteuer zugleich. Man gelangt dorthin über eine schmale, den Berg hinaufführende Gasse, die von der Hauptstraße abbiegt. An diesem Morgen spüren wir wieder diese prickelnden Gefühle in unseren Kinderköpfen. Gleich am Anfang der Gasse rechts geht der Metzger seinem Handwerk nach. Es duftet nach frisch gekochten Würsten in der frühen, kühlen Stunde aus dem offenen Fenster der Metzgerküche. Gerade als wir die Gasse betreten, schiebt sich eine Stange mit dampfenden Würsten aus dem Fenster. Wir bleiben erstaunt stehen. Der Geruch der Würste vermischt sich mit dem Morgennebel. Einen Moment lang schauen wir uns an, ein Lächeln auf meinen Lippen und denen meines Freundes. Ich angele vorsichtig eine Wurst von der Stange, dann rasen wir unserem Buschnest entgegen. Nie zuvor hatte ich gestohlen. Später teilen wir die Beute, verspeisen sie gierig und bereuen nichts.

       DAS GEHIRN

      Es war das erste Mal, dass ich das Schullabor betrat. Das erste Mal, dass ich ein menschliches Gehirn sah. Ich starrte auf das Glas, das wie die Glasgurken im Kühlschrank meiner Mutter aussah. Ich starrte auf das Glas mit dem Gehirn in Äther. Ich blieb lange Zeit ohne zu blinzeln, bis die Lehrerin mich anrief und ich einen Schrecken bekam, der meine Augen weitete, meinen Körper zittern und meine Lungen mehr Luft schlucken ließ, was ich nicht wollte, weil mein Magen von dem seltsamen Geruch krank war.

      Doch ich folgte der Lehrerin nicht. Und meine Augen waren nun auf die trübe Flüssigkeit im Glas gerichtet. Ich betrachtete die gelbliche Substanz und die scheinbar mit der Flüssigkeit vermischten Fragmente des Gehirns. Dann zog sich mein Interesse tief in die Linien des Gehirns, die Umrisse, die nicht entzifferbare Farbe, die Dicke, seine Größe, und es fehlte mir nur das Gewicht, die Temperatur und das Gefühl zu empfinden.

      Ich öffnete das Glas, steckte die Hand hinein und nahm das Gehirn. Erst mit der rechten, dann mit der anderen Hand. Die ganze ovale Form hatte ich in meinen Händen. Ich nahm es dicht ans Ohr und dachte, etwas gehört zu haben, ein nicht zu entzifferndes Geräusch von Unermesslichkeit wie das, was wir in der Meeresschnecke hören. Ich dachte daran, es zu riechen, aber mir fiel ein, dass der Duft nicht das Original sein würde. Für einen langen Moment starrte ich auf das Gehirn in meinen Händen, ich wollte es von dem starken Geruch wegwaschen, der meinen Blick störte. Mitleid fühlte ich, und trotz des Geruchs umarmte ich es, lehnte es an meine Brust, nah an mein Herz und mit dem Kopf gesenkt, bedeckte ich es mit der linken Wange.

      So war ich, fast am Weinen, als die Lehrerin plötzlich ins Labor kam und blitzend rief: Was machst du da?

      Der Schock war so tief, dass sich meine Arme in Panik lösten und das Gehirn auf den Boden fiel.

       MUSIKDUSCHE

      Zu einer Zeit, als es noch keine Radiowecker gab, wurde ich in meinen Kinderjahren dennoch nahezu täglich unsanft geweckt durch das Aktionsprogramm meines Vaters, der beim Frühstück das Radio in voller Lautstärke genoss. Und so dröhnten abwechselnd Marsch- oder Schlagermusik des örtlichen Regionalprogramms aus dem eigens im kleinen Esszimmer angebrachten Lautsprecher bis hin zu meinem Bett.

      Laute Musik zum Aufwachen war das Normale – und ich ersparte mir dabei so manche Kalt-Muntermacher-Dusche am Morgen. Mein Vater brauchte es einfach, die Lautsprecher immer auf volle Fahrt voraus einzustellen, vielleicht auch deshalb, weil er beruflich seinen Schülern im Schreibmaschinen-Unterricht das richtige Tippen – wie damals üblich – im Takt der Marschmusik lehrte. Eine alte Schellack-Übungs-Schallplatte, die ich viel später gefunden habe, stellt eine wahre Rarität dar, und jede Disco müsste unverzüglich schließen, wenn sie diese Platte in voller Lautstärke durch ihre Boxen jagen würde.

      Es gab aber auch Tage, an denen ich zu Beginn des allzu frühen väterlichen Morgenprogramms verärgert die Decke über meinen Kopf zog und weiterschlief. Bis dann einige Zeit später meine Mutter meist dreimal, stets etwas lauter, rief: „Zeit zum Aufstehen!“ Das wirkte eigentlich immer und ich kam auch fast nie zu spät zur Schule. Eines Tages aber verschliefen wir alle: Meine Mutter musste kein väterliches Frühstück richten und es gab auch keinen Morgenmarsch, denn mein Vater hatte einen arbeitsfreien Tag.

       EINE HAND VOLL ROSINEN

      Meine Freundin Anna und ich fassen den Entschluss, von zu Hause abzuhauen. Unsere Mütter sind wie üblich beschäftigt mit ihrer Hausarbeit und bemerken daher unsere Abwesenheit nicht.

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