Mami Staffel 1 – Familienroman. Gisela Reutling
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Ein paar Meter gingen sie schweigend weiter, dann sagte Mathias plötzlich: »Ich wäre Ihnen auch gern ein Freund, Frau Rodenbach. In dem Sinne, daß wir uns öfter mal sehen und ein gutes Gespräch zusammen führen. Oder in ein Konzert gehen, wo wir doch beide klassische Musik lieben. Zu zweit genießt man das noch mehr als allein.«
Julia wandte ihm das Gesicht zu. Sie konnte es sich kaum vorstellen, daß dieser gutaussehende Mann allein war. Aber er hatte ihr ja kürzlich von einer verlorenen Liebe erzählt. Mathias spürte ihren Blick. Er sah ihr in die Augen, die so tief und unergründlich waren. – Und viel zu ernst.
»Lassen Sie mich ein wenig Farbe in Ihr Leben bringen«, bat er verhalten. »Sie sollten sich nicht länger verstecken. Ende des Monats ist die Premiere der ›Zauberflöte‹. Soll ich Karten dafür besorgen?«
»Nicht für die Premiere«, zuckte Julia zurück. »Dort würde ich all jene treffen, deren Namen ich noch trage.« Ihre Lippen verzogen sich. »Es gehört bei ihnen dazu, verstehen Sie.«
Mathias nickte. Wie verwundet sie immer noch war! Dann lenkten die Kinder ihre Aufmerksamkeit auf sich.
»Nicht so wild, ihr beiden!« rief Mathias ihnen zu. »Hört jetzt mal auf, dem Olli Stöckchen zu werfen. Der kommt ja kaum noch mit auf seinen kurzen Beinen. Gebt ihm mal ein bißchen Ruhe.«
»Och, das hat ihm doch Spaß gemacht, Onkel Mathias«, meinte Benjamin. Aber er hob den hechelnden kleinen Hund doch zu sich empor und streichelte ihn besänftigend.
Langsam wurde es Zeit für die Heimfahrt. »Bis bald«, sagte Mathias Walden mit Betonung, als er sich von Julia verabschiedete.
Kurz darauf kam Florians Vater, um seinen Sohn wieder zu sich zu holen. Stille war wieder um Julia. Das Hündchen lag in seinem Korb und schlief nach den Abenteuern dieses Tages. Wenigstens er bleibt mir, dachte Julia und bereitete sich ihr einsames Abendessen.
*
In der Folgezeit trafen sich Julia und Mathias öfter. Sie gingen in die Oper, in ein Konzert, und sie ließen den Abend bei einem Glas Wein ausklingen. Oder sie unternahmen an einem der warmen Frühsommerabende einen Spaziergang, der eine hübsche Gastwirtschaft zum Ziel hatte. Julia lebte auf in diesen Stunden, in denen sie sich mit Mathias über vielerlei Dinge angeregt unterhalten konnte und sie eine ferne Zärtlichkeit in seinen Augen las, die ihr Herz berührte und es schneller schlagen ließ. Wie lange hatte sie das nicht mehr empfunden!
Freundschaft hatte er ihr geboten, die sie dankbar annahm. War es nicht schon mehr geworden? Liebe wagte sie es nicht zu nennen. Und dennoch erblühte da etwas ganz zart in ihr, das dem gleich kam.
An diesem Abend empfand sie es besonders, als sie nebeneinander hergingen, Mathias leicht ihren Arm genommen hatte, weil der Waldweg uneben war und sie vorhin beinahe über eine Wurzel gestolpert wäre.
Nach einem kurzen Schweigen sagte Mathias: »Übernächsten Monat werde ich meine Kanzlei für drei Wochen schließen. Ich mache dann Urlaub in Spanien. Hätten Sie nicht Lust, mitzukommen, Julia?« Sie nannten sich jetzt beim Vornamen.
Überrascht, daß er ihr einen gemeinsamen Urlaub vorschlug, hob Julia den Kopf. Ein leises Rot war ihr über die Wangen gehuscht. »Sie wollen mich mitnehmen?« fragte sie verwirrt.
Lächelnd nickte er ihr zu. »Wäre es nicht schön, einmal viel Zeit füreinander zu haben, weit weg vom Alltag?«
»Ja, schon… Aber warum wollen Sie ausgerechnet nach Spanien? Im Hochsommer ist es doch sehr heiß dort, und es sind unendlich viele Urlauber unterwegs, weil es die Zeit der Schulferien ist.«
»Eben darauf muß ich Rücksicht nehmen, weil zwei meiner Angestellten schulpflichtige Kinder haben. Aber ich werde abseits vom Touristenstrom sein. Ein Freund von mir hat sich vor Jahren eine Finca, ein altes Bauernhaus, in einem Dörfchen nahe Valencia gekauft und es sich wunderhübsch ausgebaut. Er braucht es in diesem Sommer nicht und stellt es mir zur Verfügung. Es sind zwei Wohnungen darin, in einer davon könnten Sie wohnen.«
»Das ist ein sehr großzügiges Angebot«, murmelte Julia herzklopfend.
»Wegen der Hitze brauchen Sie keine Angst zu haben, es ist nahe am Meer gelegen, und ein Pinienwäldchen spendet Schatten«, so führte ihr Mathias das Urlaubsziel weiterhin verlockend vor Augen.
Julia seufzte auf, wie in einer tiefen inneren Bedrängnis. »Ich würde gern mitkommen, Mathias«, sprach sie leise. »Aber ich kann nicht so lange auf Florian verzichten. Es ist doch wenig genug, was ich von ihm habe.« Dabei hielt sie den Blick zu Boden gesenkt.
»Nehmen Sie ihn doch mit«, schlug Mathias lebhaft vor. »Haben Sie nicht das Recht, Ihr Kind ferienhalber einmal im Jahr bei sich zu haben? Im allgemeinen wird das zwischen geschiedenen Eltern so geregelt, egal, wer das Sorgerecht hat.«
»Ich weiß nicht – nein, ich glaube, das ist damals nicht festgelegt worden«, brachte Julia verunsichert hervor.
»Dann bestehen Sie darauf«, riet ihr Mathias energisch. »Ich habe den Eindruck, daß man Sie ziemlich überfahren hat bei der Verhandlung.«
»Ja, das hat man wohl«, gab Julia traurig zu. »Die Gegenpartei war stärker, und ich war so fertig.«
Mathias preßte die Lippen zusammen. Er konnte es sich vorstellen. Nicht immer siegte die Gerechtigkeit, leider. Die Schwächeren blieben am Wege.
»Wenn Sie wollen, rede ich in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt mit Florians Vater«, sagte er. »Er muß es Ihnen zugestehen, daß Sie einen Urlaub mit dem gemeinsamen Sohn verbringen können.«
Julia blieb plötzlich stehen. Mit einem langen Blick sah sie den Freund an. »In Ihrem kostbaren Urlaub wollten Sie auch noch einen vierjährigen Jungen mitnehmen, der Ihnen im Grunde ganz fremd ist?« fragte sie überwältigt, als begriffe sie es erst jetzt.
Mathias war es, als tauche er unter in diesen schönen ernsten Augen. »Es ist dein Sohn, Julia. Wie könnte er mir fremd sein«, sagte er.
Julia erbebte vor dem, was in seiner Stimme, seinem Ausdruck lag. »Mathias«, flüsterte sie, halb fragend, noch ungläubig.
Da nahm er sie in seine Arme. »Ja, ich liebe dich, Julia…« Sein Gesicht neigte sich dem ihren zu, und er küßte den Mund, der sich ihm entgegenhob.
Eine Woge des Glücks erfaßte Julia. Wie lange war es her, daß ein Mann sie zärtlich in die Arme genommen hatte. Mathias liebte sie, und sie liebte ihn auch. Hatte sie es nicht schon gespürt in mancher Stunde und es sich nur nicht eingestehen wollen?
Später sagte sie: »Ich werde nun die Kraft finden, selber mit Florians Vater zu reden, daß er mir den Jungen für die Zeit eines Urlaubs überläßt. Es sollen schöne Tage für ihn werden.«
»Für uns drei, Julia«, verbesserte Mathias und drückte sie an sich.
*
Noch an diesem Abend kam ein Anruf von Anette aus Amerika. Trotz der Entfernung klang ihre Stimme so nah, als stünde die neben Julia.
»Ich weiß, daß es bei euch schon spät ist, aber ich habe dich nicht früher erreicht, Kusinchen«, sagte sie entschuldigend.
»Macht