Hetzwerk. Peter Gerdes

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Hetzwerk - Peter Gerdes

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unklug von mir, in solch einer Position tätig zu sein, nicht wahr?« Er griff nach einem Bilderrahmen, der auf seinem Schreibtisch stand, und rückte ihn so, dass der Hauptkommissar das Foto sehen konnte. »Ich bin schwul. Das hier ist mein Mann.«

      Der Mann auf dem Foto war deutlich älter und breiter als Jelto Harms. Er war korrekt gekleidet und sah ziemlich bieder aus. Geschieht mir recht, dachte Stahnke, der nicht wusste, wie er reagieren sollte. Was hatte ich denn erwartet? Olivia Jones?

      »Angenehm«, stotterte er.

      Jelto Harms lächelte stolz.

      Genau der richtige Moment für die Standardfrage, dachte der Hauptkommissar. »Herr Harms, wo waren Sie gestern Abend? So etwa zwischen 21 und 22 Uhr?«

      »Ich war zu Hause«, sagte Jelto Harms, eindeutig nicht überrascht. »Unterricht vorbereiten. Als Leiter einer Grundschule bekomme ich nur wenige Unterrichtsstunden erlassen, wissen Sie? Wogegen ich im Prinzip nichts habe, denn Lehrer wird man ja schließlich, weil man gerne mit Kindern arbeiten möchte, nicht wegen der Verwaltung. Aber beides zusammen füllt doch den Tag ziemlich aus, wenn man alles vernünftig machen will.«

      »War Ihr Mann auch daheim?«, fragte Stahnke, ohne zu stocken.

      Harms lächelte bedauernd. »Nein, leider nicht. Martin arbeitet als Verlagsvertreter, er ist viel unterwegs. Gestern Abend haben wir nicht einmal telefoniert, weil er noch ein längeres Geschäftsessen hatte. Er hätte mir bestimmt gerne ein Alibi gegeben, aber so …«

      Das hatten andere Ehepaare schon ganz anders hingedreht, dachte Stahnke. Da wurde gelogen, dass sich die Balken bogen. Jelto Harms tat das nicht, er war ehrlich. Oder wollte er nur den Anschein erwecken?

      »Können Sie mit einer Schusswaffe umgehen?«, fragte Stahnke.

      »Sicher«, antwortete der Rektor. »Ich war schließlich bei der Bundeswehr. 15 Monate bei den Panzergrenadieren. Da hatten wir das volle Programm: Pistole, Sturmgewehr, MP und Maschinengewehr. Ich habe sogar die silberne Schützenschnur.«

      Damit vergibt er sich nichts, dachte Stahnke. In der Onlineausgabe der Ostfriesen-Post stand, dass Fecht aus kurzer Distanz erschossen wurde. Da wäre auch eine goldene Schnur egal gewesen. Harms wusste das bestimmt. War seine sympathisch erscheinende Offenheit nichts als Berechnung?

      »Aber sagen Sie mir doch einmal«, fragte jetzt der Rektor, »wieso hätte ich meinen ehemaligen Genossen Fecht denn eigentlich erschießen sollen? Der Schaden, den er mit seinen Verleumdungen verursacht hat, war doch schon angerichtet! Verschlimmert durch diesen Hackerangriff, natürlich, aber die Schuld liegt eindeutig bei Carsten Fecht und seinem unappetitlichen Netzwerk. Ich frage noch einmal: Warum morden, wenn man damit nichts mehr ändern kann?«

      »Aus Rachsucht natürlich«, sagte Stahnke. »Viele Menschen werden zu Straftätern, weil sie sich für etwas rächen wollen, das sie erlitten haben. Verspüren Sie dieses Bedürfnis nicht?«

      »Ehrlich gesagt schon«, sagte Harms. »Ein wenig. Aber nicht genügend, um deswegen aktiv zu werden. Aufwand und Resultat stehen in keinem Verhältnis, verstehen Sie? Ich müsste ja Fechts gesamtes Netzwerk niedermetzeln.«

      Interessanter Gedanke, dachte Stahnke. Den wollen wir mal im Auge behalten.

      »Für den Moment kann ich Ihnen also nur mein Wort anbieten«, sagte Harms und breitete die Hände aus. »Ich hatte zwar eine gehörige Abneigung gegen meinen ehemaligen Parteigenossen Carsten Fecht, aber die reichte bei Weitem nicht aus, ihn umbringen zu wollen. Ebenso wenig kann ich mir vorstellen, dass es von seiner Seite noch irgendetwas über mich zu enthüllen gäbe, das mich veranlassen könnte, ihn zu töten, um das zu verhindern. Ergo habe ich es auch nicht getan. Sondern mich gestern Abend auf meinen Beruf konzentriert. Damit ich morgen wieder etwas Vernünftiges unterrichten kann.« Er verschränkte seine Finger unter dem Kinn: »Und jetzt muss ich mir den Verwaltungskram vom Hals schaffen. Kann ich denn noch etwas für Sie tun?«

      »Erst einmal nicht, vielen Dank.« Stahnke erhob sich. »Ich komme zu gegebener Zeit wieder auf Sie zu.«

      Harms geleitete ihn zur Tür. »In drei Wochen ist übrigens die Gründungsversammlung meiner neuen Partei anberaumt«, sagte er. »Im Kulturspeicher. Wir werden uns Die Unpopulären nennen.«

      »Ungewöhnlich«, erwiderte Stahnke. »Heutzutage geben doch eher die Populisten den Ton an.«

      »Genau deswegen ja! Sehr gut erkannt.« Harms strahlte. »Wir wollen ein Gegengewicht setzen. Niemandem nach dem Munde reden, sondern das tun beziehungsweise fordern, was vernünftig ist, auch wenn es vielleicht unbequem sein könnte. Das fehlt doch der Politik heute, quer durch alle Parteien.«

      »Aha. Und was wäre das?«, fragte Stahnke, weniger aus Interesse denn aus Höflichkeit.

      »Beispielsweise ein Tempolimit auf Autobahnen«, sagte Harms. »Jeder weiß, dass das sinnvoll ist, und alle anderen Länder haben eines in der einen oder anderen Weise, nur wir nicht! Das ist unvernünftig!«

      »Freie Fahrt für freie Bürger«, zitierte Stahnke. »Dafür gibt es einfach keine Mehrheit, darum traut sich da seit Jahren keiner mehr ran.«

      »Eben! Und das ist schlimm, das muss sich ändern! Jüngste Umfragen geben Hoffnung.« Harms’ Augen funkelten vor Begeisterung. »Die Haltung zum Böllern in Wohngebieten beginnt sich ebenfalls zu verändern. Zeit, ein allgemeines Verbot zu fordern! Oder nehmen wir die ständigen Zerstörungen durch die Randale sogenannter Fußballfans. Das geht Jahr für Jahr in die zig Millionen. Wir verlangen, dass Fans und Vereine selber für alle Schäden aufkommen, bis zum letzten Heller!«

      »Sie wissen schon, wie populär Feuerwerk ist? Ganz zu schweigen von Fußball?« Stahnke wiegte zweifelnd den Kopf. »Der ist ja quasi eine Ersatzreligion.«

      »Gutes Stichwort.« Harms war nicht mehr zu bremsen. »Religionen! Deren Privilegien gehören gründlich überdacht. Keine religiöse Beeinflussung Minderjähriger mehr! Schon gar keine Körperverletzung Schutzbefohlener, auch Beschneidung genannt. Und überhaupt: Keine Religionsgemeinschaft, die die Gleichstellung der Frau nicht respektiert, sollte sich in Deutschland betätigen dürfen.«

      »Das beträfe Juden, Muslime und natürlich Katholiken«, zählt Stahnke an seinen Fingern ab. »Außerdem Autofahrer und Fußballfans. Gibt es noch eine weitere einflussreiche gesellschaftliche Gruppe, mit der Sie sich anlegen wollen?«

      »Bestimmt!« Jelto Harms strahlte. »Das war ja noch lange nicht alles! Kommen Sie doch ruhig zu unserer Gründungsversammlung. Ich habe den Eindruck, dass Sie das interessieren könnte.«

      »Mal schauen.« Stahnke verabschiedete sich.

      Draußen auf der Straße schnaufte er erst einmal tief durch. Dieser Mensch ist ja größenwahnsinnig, dachte er. Will sich mit Gott und aller Welt anlegen! Viel Feind, viel Ehr’, oder was geht dem Mann durch den Kopf?

      Auf jeden Fall war dieser elegante Herr ziemlich kämpferisch drauf, überlegte der Hauptkommissar, während er die Autotür hinter sich zuzog und sich angurtete. Und für einen Verkünder der puren Vernunft war er ziemlich emotional. Das sollte man bei der Bewertung seiner Aussage im Hinterkopf behalten.

      Stahnke startete den Motor. Diese Parteigründungsversammlung ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Unpopulären, ha! Ob er da vielleicht wirklich mal reinschauen sollte? Schließlich war er ebenfalls ziemlich streitlustig veranlagt.

      5.

      Eine

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