Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

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Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg

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Kirchen immer, und die Dänen neigten zum Prahlen und Übertreiben. Aber in diesem Fall hatten sie recht: Ihm blieb die Luft weg, er stolperte über die Spanten und mußte sich setzen.

      In der Nähe der Stelle, wo die Boote anlegen konnten, fiel sein Blick auf eine kleine, graue rauhwandige Steinkirche – aber das große, rote, neue Gebäude oben auf dem Hügelrücken stand hochmütig da, strotzend vor Selbstbewußtsein. Wie eine vornehme Dame, die ihre feinen Kleider über die Knöchel anhebt, um den Schmutz des Rinnsteins zu meiden.

      Das spiegelnde Wasser des Fjords war spiegelglatt. Zum Ufer hin zeigte es eine türkise Färbung, und die klare Morgensonne glitzerte in Glas und Vergoldung, entfachte die farbige Glut, aus der tiefrote, saphirblaue, grasgrüne und goldene Flammen hervorschossen. Kaskaden von Farben, zerlegt in kurze, betörende Blicke, die vor seinen schmerzenden Augen zuckten.

      Er mußte sich wieder erheben, stieß jedoch gegen eines der Ruder, und ein starker Schmerz durchfuhr sein Schienbein. Der Ruderknecht schrie ihn an, ob er denn verrückt geworden sei, ob er sich ertränken wolle – er aber wollte sehen, nicht nur mit den Augen, sondern mit dem ganzen Körper, wollte den Anblick in sich einsaugen, mit heftigen Herzschlägen, ihn ins Blut aufnehmen. Sank auf die Knie, beide Hände an der Reling, um nicht über Bord zu gehen, wütend auf sich selbst, weil er dem prachtvollen Bild, das sich ihm bot, nicht in dem erforderlichen Maße gerecht werden konnte.

      In diesem Augenblick erklang der erste durchdringende Ton der Glocken. Der Klang legte sich über sie, als habe er seinen Ursprung nicht in der Kirche, sondern als komme er von dem sandigen Steilufer, den Bäumen auf dem Hang, von der gastfreundlichen Küste, als gebe alles zusammenstimmend einen Laut von sich.

      Die Ruderer legten endlich die Ruder aus der Hand und beteten, und Gunnar blieb auf den Knien liegen, während die Tränen ihm über das Gesicht liefen und die Freude ihn durchströmte.

      Während der letzten Monate hatte er mehr aus einem Pflichtgefühl heraus an Gunhild gedacht – nicht eigentlich an sie selbst, sondern an alles, was ihn erwartete. Das Überwältigende dieses Erlebnisses mußte sie ihm leibhaftig wieder in Erinnerung gebracht haben. Er hatte das Gefühl, vor Sehnsucht nach ihr zu vergehen. Die kurzen, mageren Arme, die kleinen Finger mit Nägeln wie Rosenblätter, ihr Lachen, die spitzen Mäusezähne und das milchfarbene Haar, das sich unter seinen Fingern kräuselte.

      Nun konnte er kaum begreifen, wie es zugegangen sein mochte, daß sie ihm so aus dem Sinn gekommen war: Sein Körper wurde zu Tausenden kleiner Zungen, die nach ihr riefen. Nun wollte er nach Hause.

      Aber es wurde Herbst, bevor er sich seiner Pflichten entledigen und die Heimreise antreten konnte. Und die dauerte länger und war beschwerlicher, als er erwartet hatte. Porse hatte ihm seinerzeit eine Schiffspassage nach Lödöse versprochen, statt dessen wurde er irgendwo in Halland an Land gesetzt und mußte selbst den Weg nach Västergötland und zu der abgelegenen Ortschaft finden. Er hatte nur ganz kurz auf Mjövik gewohnt, mußte aufs Geratewohl reiten und sich durchfragen – es dauerte länger als geplant, und die Ungeduld wuchs und gärte in ihm.

      Es schneite, als er endlich den Weg zum Hof gefunden zu haben glaubte: Seit dem Herbst war keiner auf diesem Weg geritten, wenn der Schnee erst liegenblieb, würde jedwede Spur eines Reitpfades verschwinden. Das Pferd war ausgelaugt, Gunnar ritt im Schritt ins Tal hinunter, obwohl sein Herz vor Ungeduld pochte.

      Es war kalt und dunkel, die Sonne entschwand langsam über den entferntesten Waldrücken: ein dünner, roter Streifen, der die Baumspitzen grün und matt erhellte. Der Wald schnürte sein Blickfeld ein wie ein schwarzer Gürtel, die Erde war so hart, daß es vor Frost unter den Pferdehufen dröhnte. Der See war schwarz, mit einem schmalen Eisrand am Ufer. Die Welt wurde neu geboren, wurde sichtbar, unbegreiflich in ihrer unveränderlichen Einsamkeit. Das Pferd war stehengeblieben, nur mit Mühe brachte er es zum Weitergehen, aber es bewegte sich merkwürdig stockend und unsicher. Und Gunnars Finger waren steif vor Kälte; er versuchte, die Finger in den Fäustlingen zu bewegen – obwohl er kein Gefühl darin hatte, brannte und biß es unter der Haut und in den Gelenken.

      Der Wind ging durch Mark und Bein – im Hohlweg im Wald konnte der Reiter sich noch warm halten, aber als er hinaus in das offene Tal gelangte, drang die Kälte ihm bis ins Hirn.

      Er hielt das Pferd auf dem öde daliegenden Hofplatz an und ließ den Blick von Haus zu Haus wandern – wenn sie ein Kind bekommen hatte, würden sie Gunhild in die Kammer bei der großen Halle legen. Nun fiel Schnee in großen, nassen Flocken. Er zog das Pferd in den Stall, rieb es mit Stroh warm und trocken und gab ihm Futter und Wasser. Es war frühmorgens, nicht einmal die Hunde waren draußen. Und etwas in ihm schreckte vor dem ersten Zusammentreffen nach so langer Trennung zurück.

      Er stand vor der niedrigen, breiten Tür zur Halle, bis der Schnee sein Haar und seine Schultern wie eine nasse Decke umhüllte – ein schwacher Laut von Kinderstimmen drang nach draußen. Sie mußte das Kind bei sich haben – der Gedanke gab ihm frischen Mut, er stieß die Tür auf und trat ein, schlug die Füße gegeneinander, um den Schnee abzuschütteln, und werkelte mit den behandschuhten Händen an der Tür vor sich, der Windfang selbst war leer, dunkel und klamm. Dann stieß er die Tür zu der kleinen Schlafkammer auf, ohne zuvor anzuklopfen, konnte es nicht mehr länger hinausschieben, jetzt mußte er sie sehen.

      Jofrid saß mit dem Rücken zur Tür auf der Bettkante, ein Kind auf dem Arm, während ein blutjunges Mädchen mit langem, dünnem Haar, das zu einem Zopf geflochten war, ein anderes kleines Kind, das noch gewickelt war, auf dem Arm hatte.

      Sein Blick saugte sich an dem Kinderkopf fest, der ihm am nächsten war: ein kantiger Schädel, bedeckt von dunklem, langem, krausem Seidenhaar. Die Hände des Kindes hatten die Kette ergriffen, die Jofrid um den Hals trug, das Kreuz baumelte, und die Steine darin blitzten, und die kurzen, starken Kinderfinger drückten gegen die große, blaugeäderte Brust.

      Das Mädchen gab Jofrid ein Zeichen, sie nahm das Kind von der Brust, bedeckte sie und wandte sich zu ihm um, mit offenen Armen und mit Worten, die er nicht verstand: Es war lange her, daß er seine Muttersprache gehört hatte. Aber er war zu Hause, stürzte vor Jofrid auf die Knie, weil die Beine versagten – er umarmte sie, so gut es sich in der unbequemen Stellung tun ließ, bekam jedoch kein Wort heraus.

      Erst als er das Gesicht von ihren Knien hob und Jofrid ansah, begriff er, daß hier etwas nicht stimmte. Es war ihm nicht gelungen, die Frage mit Verstand zu stellen, aber er hörte seine eigene belegte Stimme und sah, wie die Glut in ihren Augen erlosch. Angst, Kummer, all das Neue, das er in ihrem Gesicht lesen konnte, die zwei scharfen Linien zwischen den Augenbrauen.

      – Nein! sagte er atemlos und faßte sie hart an den Armen, wollte ihr eine Hand auf den Mund legen, – das kann nicht wahr sein, dann hätte ich es geahnt. Damit spaßt man nicht!

      Das Mädchen mit dem Kind kam auch herbei und sah ihn düster an. In dem kleinen einfältigen Gesicht dieser Zwölfjährigen erkannte er sich selbst wieder, wie ein Gespenst, dessen Kommen man vorausgeahnt und gefürchtet hatte. Er wandte sich um und legte die Stirn gegen Jofrids Knie, damit er nichts sehen mußte. Das Mädchen machte einen Knicks, kurz und wütend, legte das Kind in die rotgestrichene Wiege und setzte sie mit dem Fuß in Bewegung. Gunnar sah nur den kleinen, geschmeidigen Fuß, in einem gefältelten roten Lederschuh, die Zehen, die sich um die Kufe krümmten.

      Nichts in ihm rührte sich, nichts geschah. Die Leere in ihm wuchs und dehnte sich aus wie eine Feuerkugel, die sich ihren Weg nach draußen brennt. Er konnte nicht weinen. Alles in ihm war ausgedörrt.

      Er spürte Jofrids Hände, die sich über sein Gesicht legten. Sie strich ihm über das Haar, den Nacken und den Rücken, als sei er noch ein Kind, das ein liebes Spielzeug in den Brunnen hatte fallen lassen und das seinen Schmerz bald über etwas Neuem, Lustigerem vergessen würde.

      Lange

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