Der Irrläufer. Gudmund Vindland

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Der Irrläufer - Gudmund Vindland

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an, denn ich wußte noch, wie das war, neu in der Schule zu sein. Er war ein lebhafter Typ mit viel Humor und vielen Pickeln, und wir wollten beide unbedingt Theater spielen. Wir spezialisierten uns darauf, Der Schneider und das Pusterohr aufzuführen, eigentlich zwei Sketche, zusammengerührt zu einem. Es ging darin um einen schwerhörigen Schneider, der alles falsch verstand, und zwar in immer deutlicherer erotischer Richtung. Womit wir unsere Aufführung auch anfingen, es ging immer in Der Schneider und das Pusterohr über. Jedesmal lachte das Publikum mehr.

      Und jedesmal mußte nachher einer der Verantwortlichen extra deutlich betonen: «Es ist ja schön und lustig, wenn gelacht und gescherzt wird, aber trotz allem sind wir hier versammelt, um die christliche Botschaft zu hören!»

      Das war eine glatte Lüge. Die meisten kamen nur, um andere zu treffen und unsere Vorführung zu sehen. Vor der Andacht gingen sie wieder – bis die Verantwortlichen eine wirkungsvolle Maßnahme ergriffen. Während des Programms wurden die Türen abgeschlossen. Sie schlössen hundertfünfzig Jugendliche eine halbe Stunde lang ein, um ihnen zu erzählen, wie sehr Jesus seinen Nächsten geliebt hat.

      Aber sie wurden ja durch ihre allumfassende Bibel darin gedeckt. Autorisiert von höchster Stelle. «Weidet meine Lämmer!» sagt nämlich der Meister an irgendeiner Stelle, und das muß ja genauso wörtlich ausgelegt werden wie der Rest der Schrift.

      Und da ist ein Schafstall gerade richtig.

      In dieser Hinsicht war Christian schlimm. Eine ansteckende Popenpest! Ach, wie grau und freudlos alles sein sollte! Wahrscheinlich beurteilte er das Unterhaltungsrepertoire meinetwegen besonders streng – aber das soll kein mildernder Umstand sein. Je mehr er einsah, daß er Magnus nicht kriegen konnte, um so offener versuchte er, mich kaputtzumachen. Aber er hielt sein Publikum für genauso dumm wie eine gewisse andere biblische Größe. Solange ich Magnus hatte, war ich unschlagbar, und außerdem waren neunzig Prozent der anderen im Jugendclub auf meiner Seite.

      Aber Christian hatte ja die Macht und konnte vieles ruinieren. Es war, als ob er mit einer nassen Wolldecke herumlief und jeden kleinsten Funken von Leben zu ersticken versuchte. Der Kriminaltango wurde ganz verboten, als er entdeckte, daß Mona (das wird ausgesprochen mit einem Kuß—M) auf einer Schubkarre voll Trauben und Bananen auf die Bühne gefahren werden sollte, und Das Blut wurde nach nur einer Aufführung aus dem Programm gerissen. «Das geht einfach zu weit. Es muß doch gewisse Grenzen geben!» quakte die Popenpest.

      «Ja, alles mit Maßen!» antwortete ich. Er starrte mich haßerfüllt an. Ich starrte zurück. Christian Anstand!

      Im übrigen war er ein ungewöhnlich begabter Prediger. Das muß man ihm lassen. Christian konnte das wirklich, Jugend erwecken und so – aber dafür hatte er ja auch mehrere Jahre studiert. Ich will mich hier darauf beschränken, eine seiner schlagenden Andachten mit Zeugnisablegen zu referieren – stark verkürzt:

      «Die Jugend ist faul und träge, sagen heute viele Erwachsene. Die Jugend kehrt Gott den Rücken! Wenn ich das höre, nehme ich euch immer in Schutz. Vor nicht mehr als fünfzehn Jahren war ich selbst in eurem Alter, und ich werde mich immer daran erinnern, wie schwer es war zu glauben. Sehr lange spürte ich in mir einen nagenden Zweifel. Gibt es Gott wirklich? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Am Ende wurde der Zweifel in mir zur Besessenheit. Ich mußte eine Antwort haben. Ich wollte Gott auf die Probe stellen. Zu Ostern war ich mit anderen christlichen Jugendlichen auf einer Berghütte, und da geschah es. Wir machten eine lange Skiwanderung, und plötzlich war ich allein. Ohne es zu merken, war ich vor lauter Grübelei zurückgeblieben. Da fiel ich in meiner Verzweiflung auf die Knie und rief zum Herrn: Allmächtiger Gott, nimm diesen schrecklichen Zweifel von mir. Gib mir ein Zeichen deiner Existenz! Nur ein winzig kleines Zeichen! Und da geschah es. Ich hörte ein fernes Getöse und spürte, wie die Erde unter mir bebte. Ich sah auf, und da, ein Stück entfernt am Berghang, ging eine Lawine ab. Nur meinetwegen hatte Gott eine Schneelawine ausgelöst! Und dieser gewaltige und großartige Anblick erfüllte mich mit Glauben und Gottesfurcht. Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete ich, es könnten Menschen darunter gewesen sein, aber sofort wußte ich die Antwort: Gott hätte das nicht zugelassen!

      Als die anderen mich endlich fanden, lag ich noch immer auf den Knien und betete. Sie hatten nichts gehört oder gesehen. Sie freuten und wunderten sich, als ich erzählte, was geschehen war: daß ich nun bekehrt sei und daß ich mein Leben dem Herrn weihen und Priester in seiner Kirche werden wolle.

      Euch Jugendlichen, die ihr heute abend hier versammelt seid, will ich sagen: Lernt aus meinem Erlebnis! Werft allen Zweifel über Bord und wendet euch dem Herrn zu. Ohne ihn geht alles verloren. Mit ihm gewinnt ihr alles ... das ewige Leben. Lasset uns beten!»

      Die Konfirmation ist ein ekelhaftes Ritual. Ich glaube, so fühlen die meisten, die diese demütigende Vorstellung mitmachen. Die sich stillschweigend dazu zwingen lassen, öffentlich zu lügen. Die Prüfung war eine glatte Farce. Die Jungen und Mädchen standen in alphabetischer Reihenfolge zu beiden Seiten des Mittelgangs. Mit jugendlicher Würde schritt der Pastor einher und stellte rein zufällig Ausgewählten leichte Fragen – immer denen, die die Antwort sicher wußten.

      Er war schon an mir vorbeigegangen, als er sich plötzlich umdrehte und mit einem glatten, demütigen Lächeln um den Mund fragte: «Kannst du, Yngve, uns bitte den ersten Teil des Glaubensbekenntnisses aufsagen?»

      «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!» antwortete ich, ohne zu zögern.

      «Nein, das stimmt nicht ... das ist nicht das Glaubensbekenntnis. Weißt du, was du aufgesagt hast, Yngve?»

      «Jesus sagt, das ist das wichtigste Gebot.»

      «Nein, das sagt er nicht. Er sagt, es ist genauso wichtig wie das wichtigste Gebot ... und wie lautet das?»

      «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!» Ich sah eine nervöse Röte auf seinen Wangen.

      «Vera!» kommandierte er mild.

      Sie konnte alles auswendig und verstand kein Wort, die Arme. Auch jetzt nicht: «Ich glaube angottdenvaterdenallmächtigendenschöpferdeshimmelsunddererde ... einatmen ... ich glaube anjesuschristusseineneingeborenen ... und so weiter ... Auferstehung dertotenunddasewigelebenamen!»

      «Ja, das war das Glaubensbekenntnis, Yngve. Kannst du das in Zukunft auseinanderhalten?»

      «Ist das Gebot der Nächstenliebe genauso wichtig wie das Glaubensbekenntnis?»

      «Ja, das ist es, genauso wichtig, ja!»

      In dem Moment war ich richtig zufrieden mit Luther. Hätte der Pastor einen katholischen Weihwasserwedel in der Hand gehabt, er hätte mich wohl auf der Stelle totgeschlagen! Statt dessen bekam er ein paar merkwürdig weiße Flecken zwischen all dem Roten.

      Jedenfalls wurden wir konfirmiert, und das war wirklich ein schöner Moment. Diesmal ging es nicht alphabetisch, und niemand konnte verhindern, daß Magnus und ich zusammen am Altar knieten. Wir hielten uns dicht nebeneinander und drückten uns mit den Ellbogen. Magnus hatte die Augen geschlossen – und er betete. Er versuchte trotz allem, seiner Konfirmation eine Bedeutung zu geben.

      Und das respektierte ich, denn im Grunde betete ich ja auch: «Lieber Gott, wenn es dich gibt. Ich danke dir für Magnus und dafür, daß wir zusammen sind. Danke für alles, was du für uns getan hast. Bitte, laß es so bleiben ... immer. Amen.»

      Der Pastor Christian stellte sich vor Magnus, legte ihm die Hand auf den Kopf und las einen Bibelvers vor. Magnus drückte fester gegen meinen Arm, und ich erwiderte seinen Druck. Der Pastor zögerte und sagte ein paar unpersönliche, wohlgesetzte Worte. Magnus hatte ja seine ganze fromme Familie

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