Der Irrläufer. Gudmund Vindland

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Der Irrläufer - Gudmund Vindland

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aber ich dachte, ich würde alles nur noch schlimmer machen, wenn ich mich aufdrängte.

      Der Silvesterabend war der reine Alptraum. Es sollte ein festlicher Abend im Jugendclub werden, und natürlich sollte ich mir all das Festliche aus den Fingern saugen. Aber ich ging doch überhaupt nur wegen Magnus, wegen meiner Erwartung und meiner Hoffnungen auf ihn dorthin. Der ganze Club mit seinen ewigen Verantwortlichen kotzte mich restlos an.

      Magnus sah krank aus. Blaß und angespannt und blaue Ringe um die Augen. Wie ich befürchtet hatte, wich er mir und meinen Blicken aus.

      Als Frode und ich an die Reihe kamen, hatte ich das Gefühl, wahnsinnig zu werden, und wir gaben die hysterischste Darstellung aller Zeiten von Der Schneider und das Pusterohr zum besten. Mit Kleidern und Hüten, Konfetti und Luftschlangen. Ich hatte heimlich die Rotfuchsboa meiner Mutter «ausgeliehen». Die ging während einer Balgerei auf der Bühne in Stücke, daß die Pelzflocken nur so flogen. Ich bombardierte Frode mit Knallfröschen. Als er auch ein paar Feuerwerkskörper hervorzog, griffen die Verantwortlichen ein. Der Sketch war zu Ende. Um elf sollte es einen Fackelzug zur Kirche geben, danach den Mitternachtsgottesdienst. Ich stand vor der Tür und wartete auf Magnus. Die anderen hatten sich schon in Reih und Glied aufgestellt. Endlich kam er – und mit ihm Christian, natürlich. Der Pastor warf einen Blick auf mich, und aus irgendeinem Grund verkannte er die Situation – zum letzten Mal: «Okay, ihr macht die Nachhut, Magnus. Ich geh nach vorne!»

      Damit war der Fackelzug für uns beendet. Als er sich in Bewegung setzte, brach ich in hilfloses Schluchzen aus. Ich sah Magnus’ gequältes Gesicht. Dann zog er mich in den Schatten hinter der Hausecke. Ich weiß nicht, wie lange wir dort standen und wieder zusammen waren, schließlich gingen wir nach Hause. Wir waren beide völlig außer uns. Verängstigt und zitternd – nach so langer Zeit würden wir endlich wieder alleine sein. Wir warfen unsere Mäntel in den Flur und stürzten in das nächstbeste Zimmer, das Schlafzimmer meiner Eltern. Wir ließen die Kleider fallen – doch plötzlich sprang Magnus (noch in der Unterhose!) ins Bett und sagte mit brechender Stimme: «Mach das Licht aus, Yngve!»

      Und ich sah ihn und fiel über ihm ins Bett und weinte und weinte ...

      Erst nach langer Zeit wurden wir zusammen ruhig und warm. Aber trotzdem war es nicht wie früher. Magnus war ganz seltsam. Er veränderte sich dauernd: Erst war er weich und nah, dann krümmte er sich in Embryostellung und wimmerte, dann warf er sich über mich, wild und aggressiv. Wir redeten nicht. Immer, wenn ich etwas fragte, legte er mir seine Hand auf den Mund oder küßte mich. Und ich dachte, ich könnte bis nachher warten. Magnus kam zuerst. Quer durchs Zimmer und voll in die Gardinen meiner Mutter. Ich küßte ihn sanft im ganzen Gesicht. Er flüsterte: «Ach, Yngve. Zum ersten Mal seit damals. Ich hab aufgehört zu wichsen ...»

      «Ach, Junge! Warum warst du denn nur die ganze Zeit weg? Frohes neues Jahr, übrigens!»

      Er wurde steif unter mir. Ich sah in ein Gesicht, das sich vor Entsetzen verzerrte. «Nein!» jammerte er. «Herrgott! Wie spät ist es?»

      «Nun beruhig dich doch. Mach nicht so ein Gesicht!»

      Er riß sich von mir los und sprang aus dem Bett. «Es ist Viertel vor eins! Ich sollte doch in der Kirche das Eingangsgebet vorlesen!» Er zog sich in Windeseile an.

      Ich sprang auch auf. «Jetzt hör doch auf, Magnus! Es ist sowieso schon zu spät, und außerdem können auch noch andere lesen. Beruhig dich doch! Wir stehen jetzt beide auf, und ich mach uns Tee. Und dann reden wir in Ruhe über alles. Wir haben uns doch so lange nicht ...»

      Aber er war schon im Flur und sprang in seine Stiefel. «Ich muß los. Muß losrennen! Zu Hause sind sie sicher stinksauer auf mich. Ach, was soll ich denn bloß sagen?»

      «Magnus, du darfst nicht! Du bleibst jetzt hier. Heute kommt hier keiner nach Hause, wir müssen doch reden. Du darfst jetzt nicht weglaufen!»

      Er versuchte, sich den Mantel anzuziehen, aber da warf ich mich auf ihn und hielt ihn von hinten fest. «Du kommst hier nicht weg!»

      «Laß mich los, Yngve! Laß mich los, dann sag ich dir auch, was los ist ...»

      Seine Stimme war heiser und scharf. Ich drehte ihn herum, und er drückte mich auf einen Stuhl. Und dann kam’s: «Du bist schuld, daß ich meinen einzigen Neujahrsvorsatz gebrochen habe. Ich hatte Gott versprochen, dich nie mehr zu treffen. Weil es eine Sünde ist, Yngve! Was wir tun, ist eine Widerwärtigkeit vor Gott!»

      «Nein, nein, nein! Hast du denn den Verstand verloren? Es ist keine Sünde! Weißt du nicht mehr, in der Mittsommernacht ...»

      «Ja, genau, und weißt du was? Gott gab uns ein Zeichen! Aber wir haben es nicht verstanden! Konnten es nicht deuten. Wir sahen ein rotes Licht! Yngve, die Sonne war rot! Und das bedeutet stopp!»

      «So was Bescheuertes hab ich noch nie gehört!»

      «Na gut. Leb du nur weiter in Sünde und spotte Gott! Aber nicht mit mir. Nie mehr mit mir!»

      «Magnus!»

      «Laß, Yngve. Es nützt nichts. Es ist aus. Ich werde um Verzeihung bitten, bis Gott mich erhört ... und es beten ja noch viele andere für mich. Komm mit zu den Kreuzrittern, Yngve, dann kommst du auch drüber weg.»

      «Magnus, sie haben dich kaputtgemacht! Sie lügen, sie lügen! Das stimmt doch alles nicht. Glaub das doch nicht!»

      «Halt doch den Mund! Es steht in der Bibel, Christian hat’s mir gezeigt ...»

      «Christian! Den bring ich um!»

      «Das tust du nicht, Yngve. Ich werde für dich beten.» Und dann war er fort. Magnus nach der Gehirnwäsche.

      Ich will gar nicht erst versuchen, diesen Winter zu beschreiben. Ich schaff es doch nicht. Ich hab mich damals nur nicht umgebracht, weil ich immer noch eine Hoffnung hatte. Die verzweifelte Hoffnung, daß Gott gut sei. Außerdem hatte ich Harald. Er war der einzige, dem ich mich anvertrauen konnte. Er half mir, so gut es ging. Harald hatte begriffen, daß es wichtiger war, mit mir zu reden, als für mich zu beten. Er hatte genug Zuneigung, mit ihm erlebte ich eine echte Bruderschaft.

      Ich will nur ein paar Episoden aus dieser Zeit erzählen: In der Schule will ich allein sein. Es hat auch keinen Zweck, mich Magnus zu nähern. Er geht mir aus dem Weg. Eines Tages stehe ich in der Pause mit Frode in meiner Ecke, und Magnus kommt mit Vera Auswendig aus der Tür. Hand in Hand! Sie gehen Hand in Hand über den Schulhof. Ich bin schon wieder kurz vorm Kotzen. Frode sieht mich an. Er hat es sich natürlich längst gedacht. «Kannst du meine Tasche mit nach Hause nehmen? Ich muß ein bißchen laufen», frage ich schnell und gebe ihm mein Pausenbrot.

      «Kümmer dich doch nicht um die, Yngve», sagt Frode.

      Ich gehe. Renne. Mechanisch bewege ich mich über den vom Schnee geräumten Weg auf Magnus’ Haus zu. Ich sehe seine Mutter durch das Küchenfenster. Sie bekommt einen Schreck, als sie mich bemerkt, und macht eine abwehrende Handbewegung. Sie wirft mir einen traurigen und verständnisvollen Blick zu. Ich drücke auf den Klingelknopf.

      Der mächtige Vater steht in der Tür: «Guten Tag, junger Mann.»

      «Tach ...»

      «Und womit kann ich dem Herrn behilflich sein?»

      «Ich möchte gern Magnus sprechen.»

      «Ich bedaure, aber Magnus hat im Moment so viel für die Schule zu tun, daß er dem Lernen

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