Der Irrläufer. Gudmund Vindland

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Der Irrläufer - Gudmund Vindland

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gibt’s nichts zu lachen. Und eins merkt euch gefälligst: Nur der eine Schächer ... der nicht über Jesus gelacht hatte ... durfte mit ihm ins Paradies. Der andere Schächer, und alle, die gelacht hatten, endeten im heißesten Höllenfeuer!»

      Natürlich wurde es sofort still im Saal. Auch im Hinterzimmer hörten wir keinen Laut mehr. Ich wollte nach ihr sehen, aber Christian der Schreckliche versperrte mir den Weg.

      «Du bleibst hier!» stieß er zwischen den Zähnen hervor. Danach übernahm der Gatte die Wache. Der Schweinepriester mußte etwas kundtun: «Nun beginnen wir also ein neues Schuljahr und damit eine neue Saison in unserem Jugendclub. Das ist eine gute Gelegenheit, ein paar ernsthaftere Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Wir wollen Bibelgruppen gründen, aber andere als die, die wir sonst kennen. Wir gründen einen Bibelgruppenring, und ich möchte ihn ‹Kreuzritterbruderschaft› taufen. Alle Kreuzritter bekommen eine Liste mit den Namen aller Mitglieder, die müssen sie immer und überall bei sich tragen. Wir legen ein Kreuzrittergelübde ab. Wir versprechen, jeden Tag für mindestens zehn andere Kreuzritter zu beten. Und eins sage ich euch: Alle, die mitmachen, werden die Macht des Gebetes kennenlernen!»

      «Nein, Magnus! Das ist einfach zuviel! Bei der Konfirmation irgend etwas versprechen, ohne den Mund aufzumachen, na gut! Aber jeden Abend zehn Namen von einer Liste aufsagen, und das auch noch schwören? Und wofür sollen wir denn überhaupt beten? Daß alle gute Noten kriegen und keiner von einem Bus überfahren wird? Himmelarsch, wenn es irgendwo Heuchelei gibt, dann doch wohl hier! Niemals mach ich da mit.»

      «Dann laß es bleiben! Du hast verdammtes Glück, daß du nein sagen kannst. Ich kann’s nicht. Ich muß da mitmachen, bei dieser ... Bruderschaft. Mein Vater zwingt mich bestimmt dazu, ich hab gar keine Wahl ...»

      «Aber, er kann dich doch nicht zwingen, wenn du nicht willst. Weiger dich doch einfach!»

      «Doch, er kann. Du weißt, wie’s bei uns zu Hause zugeht. Wahrscheinlich hat er uns schon angemeldet, alle sechs. Ach, Yngve, ich würde so gerne ...» Er fiel mir um den Hals und schluchzte heftig.

      «Magnus, Magnus, ich liebe dich doch. Junge, was ist denn bloß los mit dir?»

      «Ich habe solche Angst, Yngve. Ich hab Angst vor Vater, und vor allen anderen auch. Die sind nicht ... so wie wir. Sie wollen mich festbinden!»

      «Magnus! Hör zu! Du darfst keine Angst haben. Du hast doch mich. Ganz und gar und für immer. Niemand kann uns etwas tun, solange wir zusammen sind. Ich komm auch mit zu den Kreuzrittern!»

      «Nein, Yngve. Das brauchst du nicht. Ich schaff das schon ... wenn wir nur zusammenhalten. Du darfst mich nicht verlassen, Yngve!»

      «Nie, Magnus. Nie!» Dieses Versprechen hielt ich. Lange.

      Der Herbst wurde ganz schön hektisch. Zusätzlich zur Schule hatten wir beide eine Menge zu tun, und alles erforderte viel Zeit. Jeden Dienstag und jeden Donnerstag trafen sich die Kreuzritter bei Christian Priestermann, um ihre Gebete aufzusagen und ihre Moral zu stärken. Wir sahen uns in der Schule und im Jugendclub, aber nur an den Wochenenden hatten wir die Möglichkeit, miteinander zu schlafen. Das wurde dadurch nur noch schöner.

      Ich war in der Zeit sehr aktiv. Lernte unheimlich fleißig und war dem Pensum weit voraus. In dem Herbst entdeckte ich auch die Literatur. Alles, was die Mühlen des Norwegischunterrichts vorher zu Müll gemahlen hatten, bekam plötzlich einen Sinn! Jawohl: Jens Björneboe mit seinem Jonas öffnete mir die Augen! Ich bekam das Buch von Harald zum Geburtstag und las es in einem Rutsch. Und damit war das Eis gebrochen: mehr von Björneboe, Agnar Mykle (zwei Bücher von ihm hatten seit Jahren bei uns im Regal gestanden, und ich hatte nichts davon gewußt!), Arnulf Överland und Sigurd Hoel. Jede Nacht las ich, bis das Buch mir aus der Hand fiel. Und ich merkte, wie ich von Buch zu Buch wuchs.

      Aber ich konnte das nicht mit Magnus teilen. Natürlich sprach ich viel über meine Bücher und lieh ihm einige davon, aber ich glaube nicht, daß er auch nur ein einziges aufgeschlagen hat. Wenn ich so richtig davon loslegen wollte, brachte er mich mit Küssen zum Verstummen. Auch von sich selber mochte er nicht mehr sprechen. Und wenn ich nach der Bruderschaft fragte und wie er damit fertig werde, antwortete er ausweichend, daß «es so gehe».

      Jetzt im nachhinein sehe ich, daß sich alles, was später kommen sollte, damals schon abzeichnete. Einzelheiten, die mir im Moment nicht wichtig vorkamen: ab und zu ein weher, hoffnungsloser Blick. Seine ungeheure Heftigkeit, wenn wir miteinander schliefen. Seine Art, sich nachher an mich zu klammern, ohne daß ich sein Gesicht sehen durfte. Alles war da. Er wußte schon, daß sich unsere Beziehung ihrem Ende näherte. Ich merkte das nicht. Ich war gerade fünfzehn geworden.

      Beim ersten Clubabend im Advent gab Magnus mir einen Zettel, auf dem stand:

      Yngve.

      Mein Vater will, daß die Familie von jetzt ab Samstag abends zusammen ist und sonntags in die Kirche geht. Und nach dem Gottesdienst ist dann noch ein Treffen im Gemeindehaus. Außerdem muß ich für das Weihnachtsexamen sehr viel wiederholen, deshalb kann ich dich eine Weile nicht treffen. Hoffentlich geht’s dir gut. Gruß, Magnus

      In meinem Kopf ging der Alarm los. Im ganzen Körper. Wieso schrieb er mir einen Brief, anstatt es mir selbst zu sagen? Es war doch so wichtig! Als ich ihn fragen wollte, war er fort. Am nächsten Tag war Samstag und keine Schule, und ich bekam ihn vor Montag nicht zu sehen. Samstag abend ging ich zu ihm nach Hause, aber seine Schwester sagte mir, er sei nicht da. Alarm! Ich machte allein eine Wanderung. Das half nichts. Als ich dann endlich in der großen Pause mit ihm allein war, bekam ich wirklich Angst. Er sagte, sein Klassenlehrer und sein Vater hätten ihm beide streng befohlen, sich einstweilen nur um die Schule zu kümmern.

      «Das ist es nicht! Ich seh’s dir doch an, Magnus, du kannst mich nicht belügen, das weißt du!»

      «Yngve! Frag mich nicht mehr. Bitte. Quäl mich nicht! Es ist schon schlimm genug, ohne daß du mir auch noch Vorwürfe machst!»

      «Ja, aber, was ist mit mir? Du kannst doch nicht einfach so verschwinden ...»

      «Gib mir Zeit! Zeit zum Überlegen. Ich möchte nicht darüber reden, bevor ich ... darüber reden kann.»

      «Also, hör mal ...»

      «Nein, hör du! Wenn du mich noch magst, dann tust du, was ich sage. Wenn nicht, machst du alles kaputt. Jetzt muß ich weg. Und laß mich in Ruhe!»

      «Ja, aber wann können wir denn miteinander reden?»

      «Ich seh dich zu Silvester im Jugendclub», sprach mein Liebster und verschwand. Magnus, der Angsthase.

      Meine schlimmste Erinnerung an dieses Weihnachtsfest ist, daß ich Kindheit eines Chefs von Sartre las. Es war ein grausames Erlebnis. Er schildert darin einen Jungen, der von einem älteren homosexuellen Mann verführt wird. Es ist eine realistische und ziemlich brutale Erzählung. Und ratet mal, wen ich dabei vor mir sah! Meinen Magnus und Christian Priestermann. Außerdem erlebte ich zum ersten Mal Homosexualität in der Literatur, das waren ganz schön drastische Sachen. Unerträglich aufgeilend! Ich las und wichste abwechselnd, und zwischendurch ging ich vor Verzweiflung und Eifersucht die Wände hoch. O selige Weihnachtszeit!

      Gott, wie ich mich nach Magnus sehnte. Ein paarmal erwischte ich mich auf dem Weg zu ihm, fest entschlossen, irgendwie zu ihm zu kommen. Aber immer, wenn ich das große Haus sah, verließ mich der Mut. Ich lief stundenlang draußen herum – und kotzte fast das ganze schöne Weihnachtsessen wieder aus.

      Im Grunde traute ich mich vor allem deshalb nicht, ihn aufzusuchen, weil er selbst

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