Der Irrläufer. Gudmund Vindland

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Der Irrläufer - Gudmund Vindland

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aber, ich muß mit ihm reden ...»

      «Dann finde ich, ehrlich gesagt, daß du wieder zum Jugendclub gehen solltest, Yngve. Du wirst da von vielen vermißt, und da kannst du reden, mit wem du willst ...»

      Ich stehe im Gebüsch bei der Pastorenwohnung. Im Gürtel unter dem Mantel habe ich ein Messer. Christian kommt nach Hause gejoggt. Ich stehe und stehe. Dann gehe ich zur Tür und fühle nach. Abgeschlossen. Ich schelle. Der Pastor öffnet einen Spalt – so weit, wie die Sicherheitskette es erlaubt. Christian mit dem Flammenschwert.

      «Was willst du?»

      «Mit dir reden.»

      «Ich hab keine Zeit. Jetzt nicht, und auch sonst nie.»

      «Weißt du, was du getan hast?»

      «Das weiß ich sehr gut, und es hat keinen Zweck, hier herumzuschreien. Verschwinde und komm nicht wieder her!»

      Knall. Klick.

      Ich gehe. Ich renne. Ich kann keinen töten.

      Es ist Nationalfeiertag. Alle gehen mit im Festzug. Ich mag nicht. Ich gehe allein spazieren. Früh am Abend kommt Frode und überredet mich, mit zum Jugendclub zu gehen. Ich war bei keinem anderen Fest mehr, mir ist alles egal.

      Alle freuen sich sehr, mich zu sehen. Mir ist alles egal. Magnus kommt zu uns herüber, auch er freut sich. Mit seinen Augen stimmt irgendwas nicht. Da ist etwas Schreckliches. Er verspricht mir einen Spaziergang, damit wir uns aussprechen können.

      Wir

      gehen spazieren. Er redet. Ich spreche das Unaussprechliche aus: «Kriegst du das denn nicht in deine Birne? Du weißt ganz genau, daß wir füreinander gemacht sind! Wir sind homosexuell!»

      Er schreit. Er schlägt. Er geht.

      Ich bin wieder ganz unten. Ich weine. Ich renne.

      Jetzt fliehe ich in den Wald! Jetzt komme ich zu unserem Stein! Jetzt sehe ich den Sonnenaufgang! Allein! Rotes Licht! Yngve, der Verkehrssünder.

      Aber es passierte etwas Unerwartetes. Eines Tages Anfang Juni schellte Magnus an meiner Tür. Zuerst wollte ich ihn nicht hereinlassen, denn er war so verändert. Er versuchte ein fröhliches Lächeln, aber in seinen Augen sah ich etwas anderes. Etwas Schlimmes. Dann sprach er. Es tue ihm alles so leid. Er sei so müde und überarbeitet gewesen und habe es nicht so gemeint. Wir müßten weiter wie Freunde zusammenhalten und uns nicht mehr streiten. Meine Skepsis schmolz dahin, je länger er sprach. Es tat so gut, seine Stimme zu hören. Schließlich war ich so hingerissen, daß ich höchstens die Hälfte von dem verstand, was er sagte. Als er ging, umarmte er mich, eine kleine, aufmunternde Umarmung. Aber da hatte ich ihm schon versprochen, mit dem Jugendclub ins Sommerlager zu fahren. Als Unterhaltungschef.

      Ich zitterte vor Hoffnung.

      Strandholmen

      Die Ferienstätte Strandholmen liegt wunderschön am inneren Oslofjord. Es ist ein ansehnliches Gelände mit mehreren hundert Metern Strand und fünf großen Gebäuden. Norwegens christlicher Jugendbund bekam es zu Anfang der sechziger Jahre von irgendeinem reichen Macker vermacht.

      Als am 16. Juni die Lagerteilnehmer aus Oslos Satellitenstädten zu Schiff das Paradies erreichten, bot sich ihnen ein merkwürdiger Anblick. Am Strand, ein Stück vor der Landungsbrücke, war ein großer Sperrmüllhaufen aufgeschichtet, der offenbar ein Johannisfeuer werden sollte. Aber es war nicht irgendwelcher Müll. Es waren Möbel. Zerschlagene Schränke, Tische und Stühle aus Mahagoni und Birke. Polierte Möbelsplitter lagen verstreut umher. Lagerleiter Eirik hatte eine Woche früher Quartier genommen, «um ein wenig aufzuräumen». Er sagte das selbst in unbestimmbar konservativem Westnorwegisch. Das Haupthaus war voll gewesen von altem Plunder und schweren unmodernen Möbeln – die sich nicht anders wegschaffen ließen als mit einer Axt. Eirik war ein Gottesdiener der Tat. In wenigen Tagen war aus dem alten, ehrwürdigen Gebäude alles entfernt, was der Mann beim Kampf um die Rettung sündiger Jugendlicher für hinderlich hielt. Hinein kamen Stahlrohrstühle und Resopaltische.

      Die anderen Leiter, die mit uns im Boot ankamen, konnten nur dastehen und den Trümmerhaufen anglotzen. Die Lagerchefin, die einen Haarknoten und zuviel Zahnfleisch hatte, deutete zart an, dies wäre denn doch vielleicht ein wenig zu radikal.

      «Wir sollen die Jugend zu Christus bekehren, nicht zu Krösus», antwortete Eirik unbeeindruckt.

      «Aber, schließlich waren das doch wertvolle Möbel», versuchte Aase es noch einmal.

      «Trachtet nicht nach irdischen Schätzen, die Motten und Rost zerfressen ...» verkündete Eirik.

      «Hier zersetzen wahrlich nicht nur Rost und Motten», bellte Aase mit zusammengezogenem Mund. Viele von uns hörten das und sahen den Blick, den Eirik ihr zuwarf. Er wußte sich schnell Respekt zu verschaffen, der Lagerleiter.

      Bei der Abendandacht fragte er die Versammlung, ob jemand etwas zu bekennen habe.

      Nach einer langen drückenden Stille erhob sich Aase mitten im Saal, zwischen zweihundert Jugendlichen, und sagte mit piepsiger, gequälter Stimme und krampfhaft gefalteten Händen: «Lieber Jesus. Blicke gnädig auf uns arme sündige Menschen, die dich beleidigen mit Gedanken, Worten und Werken und die in ihren Herzen böse Lust verspüren. Heute habe ich schlimm gegen dich gesündigt, lieber Jesus. Ich habe einem Beschluß deiner Obrigkeit widersprochen, der von dir inspiriert war. Ja, viele von euch hier haben gehört, wie ich Eirik kritisierte, weil er die Möbel im Haupthaus in Stücke geschlagen hat. Ich dachte nur an ihren Wert ... an Geld! ... ich dachte einfach nicht daran, was dir am besten dient, lieber Jesus. Und jetzt bitte ich dich: Vergib mir diese schlimme Sünde, Herr, und gib mir die Kraft, in Zukunft meinen unbändigen Sinn zu beherrschen! Amen.»

      Es war lange still, bis Eirik vom Pult herunter hinzufügte: «Ja, wahrlich, unerforschlich sind die Wege des Herrn! Hat sonst jemand etwas zu bekennen?»

      Nein. Niemand. Die meisten im Saal starrten zu Boden. Ich hatte mich noch um jemand anderetwillen so elend und gedemütigt gefühlt. Leider – oder vielleicht zum Glück – sollte ich das teuerste Johannisfeuer des Sommers verpassen.

      Magnus ging mir demonstrativ aus dem Weg. Er hatte sogar dafür gesorgt, daß er einen Schlafplatz in einem anderen Schlafsaal erwischte. Das tat mir unheimlich weh. Ich hatte gehofft, der Junge habe mehr damit beabsichtigt, als er mich zum Mitkommen überredete ... als daß ich einfach nur mitkommen sollte. Ich blieb allein, ich wollte mit den anderen im Lager keinen Kontakt. Am zweiten Tag gab es eine Morgenandacht und Bibelgruppen. Die Leiter bedrängten uns, etwas zu sagen: irgendwas zu bekennen. Sie schafften es, einige Mädchen zum Weinen zu bringen. Ich fühlte mich total elend.

      Vormittags gab es körperliche Ertüchtigung. Magnus war bei allem wahnsinnig aktiv. Rannte herum, organisierte und riß die Leute mit. Eine «vielversprechende Führerbegabung». Schöner Junge. Niemand konnte nein sagen, wenn Magnus ihm die Hand auf die Schulter legte oder ihn kameradschaftlich in den Arm nahm. Ich saß auf der Treppe der Jungenbaracke und kaute Fingernägel. Magnus drehte sich plötzlich um und rief: «Komm und mach mit beim Völkerball, Yngve!»

      Ich schüttelte nur den Kopf.

      Magnus lief über den Platz, aufgeregt und irritiert. «Was ist denn los mit dir? Willst du gar nichts mitmachen?»

      Ich schluckte. «Ist dir klar, daß das jetzt das erste ist, was du zu mir sagst, seit wir aus Oslo weggefahren sind? Hast du wirklich so wenig

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