Der Irrläufer. Gudmund Vindland

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Der Irrläufer - Gudmund Vindland

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Er stampft von der Bühne. Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich auf mich, der ich jetzt allein dort oben stehe.

      Ich wische mir das Ketchup aus dem rechten Auge, rücke meinen Hut gerade und sage mit genau einstudierter Zarah-Leander-Stimme: «Und alle, die sich jetzt über diesen Vortrag schämen, machen sich der Belluutschande schuldig!» Damit segle ich von der Bühne und lasse mich von Frode unter wildem Jubel durch die Menge geleiten. Ich merke, daß sich ein Gutteil der Zuschauer aus der Gefechtslinie zurückgezogen hat und in einem blöden Haufen zusammensteht. Wir werfen ihnen Handküsse und Ketchup zu und verschwinden den Weg hinauf.

      Oben im Haupthaus bekommen wir beide einen total krampfhaften Lachanfall.

      «Wir sind bekloppt!»

      «So was Witziges hab ich noch nie erlebt!»

      Wir beschmieren uns mit Ketchup und Schminke und lachen uns halbtot.

      Und dann steht Magnus in der Tür, ganz weiß um die Nasenwurzeln. «Ja, ihr habt jetzt allen Grund, stolz zu sein! Alle sind wütend auf uns. Ach, halt’s Maul! Ihr habt wirklich keine Entschuldigung. Yngve! Bist du dir klar darüber, daß der Sketch, den du eigentlich aufführen solltest, jetzt gleich beginnt? Und den spielst du zusammen mit mir, also benimm dich jetzt anständig und wasch dir den ganzen Dreck ab, auch die Schminke, und sei in genau fünf Minuten da!» Magnus packt sein Kostüm, das aus einer Anzugjacke und diversem Zubehör besteht, und verschwindet mit rasendem Blick.

      «Okay, okay», rufe ich ihm nach. «Okay. Wenn er noch nicht genug hat, wir haben noch mehr auf Lager. Frode, such mir den orangen Minirock von Mona und einen BH und etwas für die Bluse. Ich wasch mir nur eben das Ketchup ab!»

      Inzwischen bin ich so aufgeregt und aggressiv, daß ich vor Kraft strotze. Vor Kraft, die wir alle haben, die ihr Dasein aber leider zumeist hinter einer dicken Mauer, die Untertanenmoral heißt, fristet. Jetzt sind aber weder Selbstverachtung noch Hemmungen mehr im Spiel. Jetzt bin ich am Zug, und ich werde voll ausspielen. Und gewinnen will ich auch.

      Unten am Strand versucht Magnus, alles wieder hinzubiegen. Er bedauert, daß der vorhergegangene Sketch dermaßen ausgeufert ist, und verspricht, daß sich das nicht wiederholen wird. Er läßt einen kurzen Appell vom Stapel und macht sich dafür die Worte des Paulus zu eigen: «Für mich ist Christus das Leben und der Tod ein Gewinn!» Dann sagt er den nächsten Sketch an: «Er heißt Unnötige Fragen und handelt von einem Mann, der müde von der Arbeit heimkommt. Und jetzt warten wir nur noch auf die Frau des Hauses, die nichts anderes zu tun hat, als sich den ganzen Tag zu langweilen und den Mann mit dummen Fragen zu belästigen.»

      Oben auf dem Weg halte ich Einzug. Eigentlich hätte ich abgeplackt und dumm sein sollen und ein Kopftuch aufhaben. Statt dessen trage ich Pfennigabsätze, einen ganz kurzen Minirock, einen riesigen Busen in der ausgeschnittenen Bluse, einen breitkrempigen Hut und eine Zigarettenspitze. Unter erneutem stürmischen Applaus und entzückten Pfeifen gehe ich hüftschwenkend an Magnus vorbei – der ist irgendwie ein bißchen zusammengesunken, der Arme – und auf die Bühne, wo ich mich herausfordernd niederlasse und Rauchringe blase. Die Kleopatraschminke habe ich verdoppelt. Magnus steht hilflos vor der Bühne und hat die Hoffnung allem Anschein aufgegeben. Ich werfe den Kopf in den Nacken und rufe, noch immer mit Zarah-Leander-Stimme: «Aber, nun komm doch nach Hause, lieber Mann!»

      Magnus reißt sich zusammen, entert mit zwei Sätzen die Bühne und legt seinen Regenschirm ab: «Hallo ... Geliebte!»

      Ich wechsle zu heiserer Vampstimme über: «Aber, bist du’s denn wirklich, mein kleiner Ole?»

      «Ja, wer denn sonst?»

      Ich rede noch vamphafter weiter, und zwar anders als im Manuskript vorgesehen: «Aber, wie soll ich das denn wissen, lieber Freund! Regnet’s draußen?»

      Magnus hat Schwierigkeiten mit der Antwort: «Wieso ... glaubst du, daß der Regenschirm sonst naß wäre?» Er holt unbeholfen Brille und Zeitung hervor.

      Ich lege mich sexy über den Tisch: «Vielleicht hast du ja geduscht, mein Lieber, oder dich in dem Eimer da hinten naß gemacht? Willst du die Zeitung lesen?»

      Zu früh schlägt Magnus mit der Brille auf den Tisch. Das Glas bricht. «Ja, natürlich!»

      Ich gehe zu schockierter Zarah Leander über: «Aber, süßer, kleiner Ole, hast du deine Brille zerbrochen? Wie kannst du denn jetzt lesen? Soll ich vielleicht deine Kontaktlinsen holen?»

      Magnus verliert völlig den Faden und starrt mich bitterböse an, während er seine Pfeife hervorholt: «Äh ... was gibt’s denn zu essen?»

      Voller Wut fahre ich auf: «Nein, das geht zu weit! In diesem Haus stelle ich die unnötigen Fragen, nicht du, lieber Ole! Steht denn etwas Interessantes in der Zeitung, mein Schatz? Und außerdem ... willst du rauchen?»

      Magnus schmeißt die Pfeife auf den Tisch, kann aber kein Wort sagen.

      Ich frage zuckersüß: «Ist die Pfeife auch kaputt?»

      Jetzt hat er genug. Er fällt über mich her und hebt mich auf wie eine Braut, und ich heule und kreische mit dem Publikum um die Wette. Das gehört eigentlich mit zum Sketch – der Mann soll die Frau aus dem Fenster werfen –, aber mir wird bald klar, daß ich nicht der einzige bin, der hier vom Manuskript abweicht. Magnus ist wirklich stinksauer, und mit großer Kraft hievt er mich über das Bühnengeländer – zur falschen Seite hin, zur See. Ich verliere seine Jacke aus dem Griff, kann mich aber noch irgendwie aufrichten, bevor ich auf allen vieren einen steilen Felsen hinunterrutsche und direkt in den Fjord falle. Da bleibe ich zerkratzt im seichten Wasser liegen, die hochhackigen Schuhe und der breitkrempige Hut schwimmen neben mir. Im nächsten Augenblick ist Magnus da: «Yngve! Ist dir was passiert? Ist alles gutgegangen? Um Gottes willen, verzeih mir! Das wollte ich nicht, ich wußte nicht, was ich tue! Ich war nur so schrecklich wütend, als ich dich festhielt und dich ansah ... Du siehst schrecklich aus. So darfst du nicht aussehen!»

      Mein linkes Bein tut entsetzlich weh, weshalb ich stöhne.

      Magnus reißt Jacke und Hemd von sich, taucht das Hemd ins Wasser und fängt an, mir die Schminke abzuwischen! Hart und gründlich. Er ist ganz außer sich! «So darfst du nicht aussehen! Du bist doch keine Frau!» Ich weine. Magnus hört auf: «Nicht weinen, Yngve! Tut das weh? Hast du dir was gebrochen?» Das Bein hat zu bluten angefangen.

      «Ich weiß nicht. Macht aber nichts, Magnus. Ich weine, weil ich dich so gern hab. Weil du dir doch noch was aus mir machst.»

      Magnus’ Gesicht öffnet sich. Wechselt von Zorn zu Zärtlichkeit. Er faßt mich unter den Nacken und küßt mich. Gründlich und lange. Ich umarme ihn.

      Da bemerken wir eine Bewegung über uns, einen Laut von oben, und sehen gleichzeitig hoch. Dort – drei bis vier Meter über uns – stehen zweihundert Menschen in Reih und Glied und verfolgen gebannt unseren Auftritt. Sie gaffen. Sie glotzen.

      Einige Sekunden lang ist alles still. Dann bin ich mit einem Sprung auf den Beinen und verkünde mit gellender Stimme den Schlußsatz des Sketchs: «Lieber Ole! Hast du mich hinausgeworfen?»

      Ein Ruck geht durch die Menge, als wären alle vom Sturm erfaßt, von einer Flutwelle. Sie trauen ihren eigenen Ohren nicht – und noch weniger ihren Augen. Und sie lachen. Schlagen sich auf die Schenkel, knuffen einander in den Rücken und hüpfen auf und nieder. Lachen Tränen.

      Wir sehen uns an und lachen auch. Dann entdeckt Magnus mein aufgeschrammtes blutendes Bein. Er bindet sein Hemd stramm darum. «Wir müssen dich verbinden. Kannst du gehen?»

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