Abschied von Askalon. Eva Rechlin

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Abschied von Askalon - Eva Rechlin

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Auch wenn der Papyrus nur einer von der preiswertesten Sorte ist, hebe ihn gut auf, man kann ihn mehrmals verwenden, wie Du weißt. Unsere weiteren Pläne kenne ich noch nicht. Samuel muß ständig bei Tante Agatha hocken und ihr Gejammer ertragen. Er dagegen versinkt mehr und mehr in Schweigen. Trotzdem bestellte er mir Grüße an Euch alle. Vielleicht schicke ich Dir bereits nächste Woche erneut einen Brief mit der Römischen Post…

      Der Hausverwalter Anton zeigte dem Jungen, wie er seine Briefrolle vorschriftsmäßig zu adressieren und zu versiegeln hatte. Offenbar verfügte Anton, trotz Agathas Strenge in finanziellen Dingen, über genug entbehrliche Münzen, aber der Preis für die Postbeförderung schien nicht hoch. Auf dem Rückweg deutete Anton an, daß die wichtigsten Behörden und Beamten dem Hause Eugenios ohnehin verpflichtet seien, nach dem alten Spruch: »Eine Hand wäscht die andere.«

      »Ich verstehe«, behauptete Tobija grinsend, obwohl er sich nichts darunter vorstellen konnte, aber er wollte es gerne lernen.

      Im Marmorpalast blieb er wie üblich sich selbst überlassen. Die tägliche Mittagsrast war eingekehrt. In der großen Mittelhalle dösten selbst Agathas edle Windhunde mit den fremdartigen Namen Slugi, Syko und Naph. Mit ihnen war Tobija gut Freund geworden, im Umgang mit Hunden war er geübt, und die Tiere witterten seine Zuneigung und Autorität. Ein Weilchen blieb er bei ihnen, tätschelte die jetzt trägen Wächter und horchte. Vom Innenhof her hörte er einen Springbrunnen plätschern und Tauben gurren. Von draußen drangen Straßengeräusche zu ihm, Schritte von Menschen, deren Sandalen auf Steinplatten klatschten, das Trappeln von Pferde- und Eselshufen und das Gesumm vieler Stimmen, darüber das Möwengeschrei vom nahen Hafen her. Aus den oberen Räumen vernahm er den nicht abreißenden Redeschwall einer erstaunlich lauten, hellen Frauenstimme: Tante Agatha! Auf wen redete sie ein? Doch nur auf den von zahllosen Beichten, Seufzern, Klagen geprüften Seelenhirten Samuel.

      Tobija horchte nach oben, wohin man von der säulengestützten Halle aus über eine breite Marmortreppe mit flachen Stufen gelangte. Das Erdgeschoß kannte er inzwischen, aber in die oberen Stockwerke war er bis jetzt kaum vorgedrungen.

      Er musterte die prächtige Treppe, das kunstvolle Steingeländer mit der spiegelblanken, scheinbar fugenlosen Stützführung, und plötzlich schoß es ihm fast aufsässig durch den Kopf. Warum muß ich mich verstecken, obwohl ich vermutlich rechtmäßige Ansprüche habe?

      Zum ersten Mal empfand er einen seltsam herrischen Mut. Warum muß ich beim Gesinde hausen und speisen, ihr Schmatzen, Schlürfen, ihr primitives Gerede ertragen? Warum soll ich verleugnen, was meine kluge Mutter mir an gesellschaftlichem Schliff, an zivilisierten Spielregeln beibrachte? Ihm war, als höbe jeder Gedanke seinen Kopf höher. Hatte er es nötig, sich auf die niederste Stufe zu stellen, wenn ihm in Wirklichkeit die höchste zustand? Es fiel ihm nicht gleich auf, wie er sich unter dem Ansturm solch rebellischer Gefühle und Gedanken Stufe um Stufe die herrliche Treppe hinauf bewegte. Nein, er hatte es nicht nötig, zu buckeln und sich selbst zu verleugnen, bloß weil ein zur Zeit aus dem Gleichgewicht geratener, alter Mann das aus unerklärlichen Gründen für richtiger hielt – als wäre Samuel in seinem derzeitigen Zustand überhaupt fähig, klar zu denken und Entscheidungen zu treffen. Er merkte ja nicht, daß sein junger Schützling kein Kind mehr war! Ihm war, als riefe ihm jemand zu: »Spring! Und du wirst nicht abstürzen, dein Fuß wird sich an keinem Stein stoßen…« In diesem Augenblick hatte er die oberste Treppenstufe erreicht, stand am Geländer und sah hinab auf die kostbaren Steinintarsien des Hallenbodens.

      Ich kann es mir leisten, aufrichtig aufzutreten und damit aufrecht, dachte Tobija entschlossen und näherte sich lautlos der Tür, aus dem die erregte Frauenstimme drang. Seine ausgetretenen Sandalen verursachten bei jedem Schritt ein schlurfendes Geräusch. Kurz entschlossen band er sie auf, hängte sie sich an den Ledergürtel um seine kurze Tunika und tastete sich barfuß weiter auf dem glatten Fußboden. Vom Hauspersonal kannte er Tante Agathas seltsamen Putzzwang; bei ihr müsse man im ganzen Haus jederzeit vom Fußboden essen können! Seine Fußabdrücke hinterließen auf dem makellosen Glanz blinde Schwitzflecken. Er hoffte, daß sie verdunsteten, bevor Tante Agatha sie bemerkte, doch augenblicklich lenkte ihn die hohe Frauenstimme ab, von der er jetzt deutlich jedes Wort verstand.

      »Seit meiner Geburt gehörte sie zu meinem Leben, war von Anfang an und jederzeit für mich da! Sie lehrte mich die ersten Schritte, die ersten Worte – Angela! Ich habe nie ohne sie leben müssen. Und ich kann nicht ohne sie leben. Du siehst ja, daß es mich krank und elend macht, mich, die nie krank war! Wie kann sie mich einfach allein lassen? Mit der riesigen Verantwortung für unsere sämtlichen Liegenschaften, für den Besitz, für all die Pächter und Mieter, Diener und Sklaven? Ich halte das nicht aus, Samuel! Das darf selbst meine Angela mir nicht antun!« Samuels leise Stimme klang erschöpft, als müsse er ständig die gleichen Worte wiederholen:

      »Hör auf, dich gegen Gottes Willen zu versündigen. Muß erst ihr Tod dich lehren, daß Angela nicht dein Besitz war, dir nicht gehörte wie deine Äffchen, Katzen und Hunde, wie Sklaven, Schmuck und Geld? Deine Trauer hat nichts mit schwesterlicher Liebe zu tun, Agatha. Du schreist wie ein Kind, dem man die Lieblingspuppe nahm. Angela war immer für dich da, ja, aber sie war nicht dein Besitz…«

      »Wie kannst du es wagen!« unterbrach ihn wildes Aufschluchzen. »Gerade du, Samuel! Bilde dir bloß nicht ein, daß ich all die Jahre blind war!«

      »Nein, genau das haben wir uns nie eingebildet. Es wäre zu allen anderen Lebenslügen ganz sicher die verhängnisvollste gewesen, besonders für Angela.«

      »Was willst du damit sagen? Was weißt und verstehst du überhaupt von ihr? Und von mir? Mein Tod wäre es gewesen, wenn sie mich verlassen hätte, mein Tod! Sie hätte nie daran gedacht…«

      »Nun, sie hat dich verlassen, so oder so. Und du lebst, Agatha.«

      Wieder das Schluchzen, gegen das sie hörbar ihr Tränentüchlein an den Mund preßte.

      »Leben nennst du das? Ich bin krank, Samuel, sterbenskrank! Nur die Verantwortung hält mich noch, mein Pflichtgefühl! Wie lange werde ich es aushalten können?« »Schluß mit dem Theater, Agatha! Jeden Tag eine andere Krankheit – du steigerst dich in immer neue Schmerzen und Leiden – und warum? Angela kannst du damit nicht bestrafen, sie ist für dich unerreichbar. Deine lärmende Trauer ist ohne Würde, Agatha. Beachtet werden willst du, bemitleidet, ununterbrochen alle und jeden daran erinnern, daß du lebst! Mit deinem würdelosen Spektakel wirst du von keinem echtes Mitgefühl bekommen. Du nährst nur Schmarotzer, und deine Ärzte lachen sich ins Fäustchen. Mach Angelas Tod nicht zum Gespött!«

      Der lauschende Tobija hielt sekundenlang die Luft an. Offenbar erging es seiner Tante hinter der Wand nicht anders, denn ein Weilchen trat atemlose, bedrohliche Stille ein. Insgeheim bewunderte Tobija seinen Vormund, den er für sanftmütig, weise, beherrscht hielt. Was setzte er mit solch scharfen Worten alles aufs Spiel! Vergaß er völlig die regelmäßigen Spenden für arme Gemeinden, die aus diesem Haus flossen? War er einzig solcher Spenden wegen nicht überhaupt in Alexandria? Er hörte die Tante durchatmen, einmal, zweimal, dann wieder ihre hohe Stimme, plötzlich fast normal:

      »Was fällt dir ein, Samuel, mit mir in solchem Ton zu reden? Wer bist du, daß du dir das erlaubst?«

      Seine Antwort klang, als lächle er:

      »Darüber habe ich keine Illusionen, Agatha. Sonst wäre wohl manches anders verlaufen. Was jetzt allein zählt, ist, daß wohl niemand sonst mit dir ehrlicher wäre, und das weißt du im Grunde selbst.«

      »Mag sein. Trotzdem warne ich dich: Nimm dir nicht zu viel heraus, auch wenn du Priester bist und dein Leben deinem Glauben unterordnest. Das gibt dir noch lange nicht das Recht…«

      »Nein. Aber Pflichten habe ich, auch dir gegenüber. Und für Angela. Sie hat gelitten, Agatha. Du hast es nicht einmal bemerkt.

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