Grundlagenforschung. Anke Stelling

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Grundlagenforschung - Anke Stelling

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Charles es und sagt ihr, wie schön sie ist, und sie muss doch nicht mit dem Tagelöhner aus North Dakota vögeln, dessen Anwesenheit sie überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, sondern bekommt herrliche nächtliche Stunden mit Charles geschenkt, Gottes Segen und noch mehr Kinder. Derartige Rahmenbedingungen standen Sandra leider nicht zur Verfügung.

      »Du musst geschmeidiger sein«, war ein Rat, den sie ernstnahm. Rumgezicke ging ihr bei Freundinnen auch auf die Nerven. Aber wie sollte sie es abstellen, wo sie doch ständig im Recht war?

      »Die Frau ist dem Manne untertan«, sagte der Mann, den Sandra unter allen Umständen lieben wollte.

      »Zu deinen Diensten«, antwortete sie und wusste dann nicht weiter. Er auch nicht. Also blieb sie allein.

      Am Abend auf dem Weg zu Claudia bemühte sich Sandra, die Vorzüge zu genießen, die die mittelgroße Stadt gegenüber der Großstadt bereithielt: die Grünphasen der Ampeln waren länger, die Radfahrer fuhren langsamer, das Rot vom Grundschulneubau passte zum Stoppschild. Und vor Claudias Haustür war ein Parkplatz frei.

      Sie blieb noch ein Weilchen sitzen, nachdem sie den Motor abgeschaltet hatte. Im Autoradio log Whitney Houston; »I will always love you!«, schrie sie, ein Versprechen, das sie niemals würde einhalten können, weshalb schon in der zweiten Strophe Trompeten zum Gesang hinzukamen. »I will always love you!«, immer verzweifelter. Sandra kannte diesen Willen nur zu gut.

      »Der Willi isch heut net daheim«, sagte sie und stellte das Radio ab.

      Oben in der Küche überfiel sie Rührung. Es gab Geschnetzeltes in Sherrysoße, Endiviensalat und Ananasquark. Niemand wusste besser, was Sandra schmeckte, als Claudia. Niemand konnte es mütterlicher und gleichzeitig sorgloser zubereiten. Niemand sonst war so gut zu ihr.

      »Warum reicht mir das nicht?«, fragte Sandra Claudia, während sie die Quarkschüssel auskratzte.

      Claudia schnaubte. Weil es Sandra nicht reichte, konnte Claudia behaupten, dass es ihr durchaus reichen würde. »Du bist ein Vaterkind. Du brauchst einen Mann, vor dem du schöntun kannst.«

      Seit neuestem betrachtete Claudia die Dinge systemisch. Deshalb war sie nie mehr um eine Antwort verlegen, und es machte Spaß, sich mit ihr zu unterhalten. Erst hinterher, auf dem Nachhauseweg, fühlte Sandra sich manchmal ein bisschen manipuliert.

      »Aber wenn das so ist«, sagte sie jetzt, »warum nehme ich mir dann nicht einen, der mir zuschaut und applaudiert? Warum liebe ich dann am liebsten die, die mich praktisch nicht beachten?«

      Claudia guckte ernst und mitleidig. »Was ist die hervorstechendste Eigenschaft von Vätern? Richtig. Wahrscheinlich hat dein Vater anderes im Kopf gehabt, als zu Kleinmädchenkram zu applaudieren.«

      Sandra versuchte sich zu erinnern. Hatte ihr Vater sie nicht genügend wahrgenommen? Still war er gewesen und unwillig, wenn es um Elternversammlungen ging, aber er hatte durchaus ihre Zeugnisse bewundert und ihre Schulfreunde und Kindergärtnerinnen mit Namen anreden können.

      »Als zweite Tochter hättest du sowieso ein Junge werden sollen«, sagte Claudia und zuckte mit den Schultern. »Deshalb lebst du jetzt allein und machst Karriere.«

      »Ich dachte, ich will einen Mann.«

      »Na klar. Aber du findest keinen, wenn du deine Mutter nicht ehrst.«

      Es war nicht leicht, sich so gut auszukennen. Klug waren sie, Sandra und Claudia, aber außerordentlich verzagt. Sie beschrieben sich gegenseitig den Weg, wollten ihn dann aber nicht beschreiten. Sahen sich Kylie Minogue im Musikkanal an, die tanzte dort durchsichtig frontal. »Das könnten wir auch«, kamen sie überein, aber wozu? Es gab keine Schallplatten, die sie verkaufen mussten, und niemand interessierte sich speziell für ihre Brüste.

      »Wenn Kylie Minogue nackt tanzen darf, mach ich das auch«, sagt Sandra und springt auf.

      »Du hast eine Ecke im Hüftschwung«, sagt Claudia, »das sieht ungelenk aus.«

      »Dafür kann ich andere Sachen.«

      »Ganz bestimmt.«

      Sinnkrisen und Lebensfragen. Und eine lange Reihe schillernder Ideen, die unaufhaltsam einstaubten. Sie gingen sich damit gegenseitig auf die Nerven.

      »Dann tu’s doch!«

      »Tu ich auch.«

      »Na los, bitteschön.«

      »Ich trau mich nicht.«

      Vielleicht war es Sandra deshalb so dringend mit dem Mann, den sie liebte. Weil er sich von vornherein weigerte.

      Nachhause fuhr Sandra einen Umweg, um nachzusehen, ob er die Nacht in seiner Wohnung verbrachte. Drei Fenster zur Straße hatte er, hinter dem rechten stand das Bett, aber das mittlere war gekippt. Kein klares Zeichen. Sandra war zu verwirrt, um sich zu erinnern, ob er mit offenem Fenster schlief. Und selbst wenn. Was würde Claudia sagen?

      »Wenn es eine Verbindung zwischen uns gäbe, könntest du spüren, wo ich bin«, sagt der Mann.

      Claudia schnaubt nur. »Vatertöchter und Muttersöhne können kein erfülltes Sexleben miteinander haben.«

      Leider nein. Ob er bei einer Muttertochter untergekommen war?

      Zum Glück kam Sven aus dem Urlaub zurück.

      Er rief Sandra an und verabredete sich mit ihr in einer unterirdischen Cocktailbar.

      »Die hättest du ohne mich nie gefunden«, triumphierte er. Sein Gesicht war hübsch gebräunt, aber trotzdem war er Sven und nicht der Mann, den Sandra unbedingt lieben wollte.

      »Warum nicht?«, fragte Sandra, aber es bedurfte keiner Antwort. Vernünftig war sie, auch nach dem zweiten Shut Down, zumal die Cocktailbar hergerichtet war wie der Dienstagstreff der Jungen Gemeinde. Trockenblumensträuße und Unterwasser-Poster. So etwas ließ sich nur mit Sven ertragen, das durfte sie auf keinen Fall gefährden.

      Sven war ein bisschen anders. Bei Sven war denkbar, dass ihm in erster Linie die Cocktails schmeckten.

      »Schön ist es hier«, sagte er und raufte die Ähren des Erntedankkranzes, der neben ihm auf der Bar lag, »schön, dich zu sehen. Und im Urlaub war es auch schön.«

      Sandra überlegte, warum es ihr nicht vergönnt war, sich ein bisschen zu entspannen. Was musste denn schon Großartiges passieren? Es war doch gut, wenn nichts passierte, dann passierte auch nichts Schlimmes. Sie hatte genug zu essen, von Claudia zum Beispiel, sie hatte genug zu trinken, lecker Cocktails mit Sven, sie war von Krieg und Krankheit bislang verschont geblieben, nicht mal einen fremden Toten hatte sie gesehen, geschweige denn, einen bekannten betrauern müssen. Und das Fernsehprogramm war auch in Ordnung.

      »Was willst du eigentlich?«, fragt das Schicksal.

      Sandra kaut an den Nägeln.

      »Ich will«, nuschelt sie, »dass sich alles von selbst ergibt. Und zwar so, wie es meinem Unterbewusstsein richtig erscheint. Ich merke nichts von dieser Fügung, weil mir nicht bewusst ist, dass ich wollte, was ich bekomme. Also muss ich meine Wünsche auch nicht rechtfertigen, vor allem nicht vor mir selbst. Wofür ich dann überhaupt noch denken muss, weiß ich nicht. Für verzauberte orientalische Rätselspiele vielleicht.«

      Der

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