Grundlagenforschung. Anke Stelling

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Grundlagenforschung - Anke Stelling

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Wolfgang auf die Bank. »Du und Renate. Ihr seid die Anführer. Ihr seid verantwortlich für die Evolution.«

      »Wie bitte?« Wolfgang schenkt Wein nach.

      »Na, Stammesentwicklung. Fortpflanzung.«

      »Ach, darum geht’s noch.«

      »Ganz genau. Darum.«

      Wolfgang stützt seinen großen Kopf in die Hände, die Ellbogen auf die Knie. Christian sieht, wie das Feuer sich in seinen Augäpfeln spiegelt. Er hat schöne Augen, sein Freund. Und große Hände. Den Ehering kriegt er bestimmt nicht mehr runter, aber wozu auch.

      Wolfgang wiegt den Kopf. »Wie bei den Wölfen, meinst du.«

      Christian zuckt die Schultern.

      »Bei den Wölfen kann nur das Weibchen des Anführers überhaupt schwanger werden. Die andern Weibchen sind gar nicht fruchtbar, solang sie unterworfen sind.«

      Christian nickt. »Genau«, sagt er, »genau das meine ich.«

      »Na ja«, sagt Wolfgang, »die machen das dann aber auch.«

      »Was?«

      »Junge kriegen.«

      Christian zuckt die Schultern.

      »Trotzdem«, sagt er.

      Wolfgang räkelt sich und legt noch mal nach. »Ich versteh nicht, warum das auf einmal wieder Thema sein soll. Ist doch längst zu spät.«

      »Sicher«, sagt Christian. »Aber wer Schuld hat, kann man ja trotzdem feststellen.«

      Das ist es. Wolfgang hat in diesem Falle versagt. Wolfgang war der einzige, der überhaupt die Chance gehabt hätte, Kinder zu zeugen. Und jetzt schlich seine Frau im Dunkeln herum und versuchte, ein neues Alpha-Männchen zu küren. Aber nicht mit ihm. Er könnte höchstens noch seinem eigenen Weibchen, das in die Fuchsfalle geraten ist, die verstümmelte Pfote lecken. Wahrscheinlich nicht mal das.

      »Gute Nacht«, sagt er zu Wolfgang, der mit dem Schürhaken auf die Kaffeemaschine klopft.

      »Nacht.«

      Christian steigt im Dunkeln die Treppe hoch. Unter keiner der Türen ist noch Licht zu sehen. Wahrscheinlich haben sie es gemacht wie letzte Nacht, und sein Platz ist links bei Renate.

      Er will nicht. Er kann sich nichts Absurderes vorstellen, als neben einem anderen Körper zu liegen, geschweige denn, einen solchen anzufassen. Warum das wohl jemals ging? Vielleicht, wenn er ganz flach atmet.

       LEIDER NEIN

      Dass jeden Tag etwas Spannendes und Lustiges passieren sollte, zumindest aber etwas überdurchschnittlich Angenehmes oder gänzlich Unverhofftes, ließ Sandra nervös werden. Bevor sie abends ins Bett ging, schaltete sie den Anrufbeantworter ein, falls sie im Schlaf das Telefonklingeln überhören sollte. Dieser Fall war noch nie eingetreten, Sandra war viel zu nervös, um nicht beim ersten Klingeln hellwach zu sein, trotzdem sah sie morgens als erstes nach, ob nicht die rote Lampe blinkte. Leider nein, aber es war auch noch früh. Ob der Hörer richtig aufgelegen hatte?

      Sie zog sich an, was eine Weile dauerte, weil sie nicht wusste, ob sie sich hübsch machen sollte für das Unerwartete, oder ob sie die schönen Kleider lieber schonen sollte für den Tag, an dem es mit größerer Wahrscheinlichkeit geschah. Noch war es früh, noch scheute sich die Welt, bei Sandra anzurufen. Noch war die Post nicht gekommen. Noch war nicht klar, ob das Wetter sich halten würde.

      Gegen Mittag ließ die Nervosität etwas nach. Claudia hatte angerufen, um Sandra zum Abendessen einzuladen. Das war nicht wirklich spannend, aber zumindest war das Telefon nicht kaputt. Die Post war gekommen, eine Urlaubskarte von Sven, was bedeutete, dass er sie noch nicht aus seinem Adressbüchlein gestrichen hatte. Der Himmel hatte sich bewölkt, sodass Baden nicht mehr infrage kam. Sandra ging zurück ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

      Alles in allem war der Sommer doch die übelste Jahreszeit. Warm zwar, bunt und duftend, aber deshalb auch drängelnd und in ständiger Erwartung begriffen.

      »Na, was machst du draus?«, fragt die Sonne alle fünf Minuten, während sie scheint.

      November war besser. Im November war das, was man tat, ein tapferes Trotzdem: trotz des Regens, trotz der Kälte, trotzdem es nicht richtig hell wurde im Zimmer. Leider war aber nicht November, sondern August, und im August musste nochmal doppelt so viel Schönes passieren. Wozu sonst war die Nacht so lau, der Teer so weich, das Wasser glitzrig und das Gras frisch gemäht?

      Sandra war eine von denen, die nicht gelernt hatten, das Leben gelassen zu nehmen: Beruf, Liebe, Familie, Altwerden. Für Sandra schienen diese Dinge mit großen, eigenmächtigen Entscheidungen zusammenzuhängen.

      »Willst du alt werden?«, fragt das Schicksal, und Sandra überlegt.

      »Ich glaube, lieber nicht«, antwortet sie. »Alles wird anstrengend, weil der Körper kaputt geht und die Erinnerungen immer schöner werden. Alles wird dringend, weil das Leben bald vorbei ist, lässt sich aber nicht mehr verwirklichen, weil man dann früher eine andere Richtung hätte einschlagen müssen. Nein, ich denke, lieber nicht.«

      Claudia war genauso. Bei jedem Abendessen bestätigten sich die beiden, wie sie die Kinder, die sie nicht hatten, auf keinen Fall nennen würden. Sven hatte schon mehrmals dabeigesessen und glasige Augen bekommen.

      »Hanna, Laura, Sophia? Nein: Sophia-Charlotte. Und das zweite Charlotte-Sophie.«

      Zum Glück war Sven im Urlaub.

      Sven war ein bisschen anders. Er bastelte gern, und zwei Frauen hatten bereits Kinder von ihm abgetrieben. Sven ging mehr drauflos, aber vielleicht kam das Sandra auch nur so vor, weil er ohne Weiteres in Urlaub fuhr. Sandra wollte mit dem Urlaub noch warten, bis sie ihr Leben richtig auf der Reihe hatte.

      Das Spannende und Lustige, auf das Sandra wartete, war in Wahrheit das Romantische. Wenn sie allein im Bett lag, so wie jetzt, dachte sie daran, dass sie eine Frau war. Mit allen Begehrlichkeiten und gewiss auch allem Begehrenswerten. Das kam ihr absurd und anstrengend vor, ließ sich aber nicht wegüberlegen. Geschichten von vertrockneten Zimmerpflanzen, Osteoporose und Gebärmuttersenkung fielen ihr ein. Die Zimmerpflanze hatte sie von ihrem letzten Freund zur Trennung geschenkt bekommen, zum Üben, wie er meinte, üben, wie man sich Lebewesen gegenüber verhält. An Osteoporose waren hormonelle Umstellungen schuld, vollkommen natürlich, aber wieso denn jetzt schon? Und die Gebärmuttersenkung war unvermeidlich, wenn man keinen Mann hatte, der einem die Getränkekisten in den vierten Stock trug, beziehungsweise wenn man Jahre damit zugebracht hatte, den Richtigen zu überzeugen, indem man die Kisten selber trug. Alles hatte sich geändert. Alles war ein Irrtum gewesen. Neues schlich sich von hinten an.

      Sandra lag und dachte und spürte die Begehrlichkeit.

      Irgendwo hatte sie gelesen, dass Frauen ihre Sexualität erst ab dreißig richtig entdecken würden. Diese These traf auf Sandra absolut zu.

      »Da bist du ja, Sexualität«, murmelte sie ins Kissen.

      Was sollte sie nur mit ihr anfangen? Die Geschichte von Caroline Ingalls fiel ihr ein, die tüchtig und glücklich auf »Unserer Kleinen Farm« lebt, zusammen mit Charles und den Kindern,

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