Grundlagenforschung. Anke Stelling

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Grundlagenforschung - Anke Stelling

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willst du denn mit der Maus?«, fragt Hans.

      »Anschauen.« Katrin steht auf und geht vorsichtig Richtung Mülleimer.

      »Da ist sie!«, flüstert sie aufgeregt. »Guckt mal, süß!«

      Wolfgang verdreht die Augen. »Nicht zu fassen, wie verstädtert du bist. Drauftreten musst du, so hat mein Opa das gemacht. Gatsch mit dem Absatz, und gut war.«

      »Niemals«, sagt Katrin, »guck doch.«

      »Dann lasst uns jetzt über die Nachteile sprechen, keine Kinder zu haben«, sagt Renate mit theatralischer Geste. »Gefühlsübertragung auf Schädlinge.«

      »Das ist kein Spaß«, sagt Hans. »Die nagt die Mülltüte auf, und morgen früh fällt uns alles entgegen.«

      Wo sie sowieso zu faul sind, den Müll wegzubringen. Drei zugebundene Tüten stehen neben der Spüle, und in der Scheune die leeren Flaschen. Der letzte Tag wird vollständig fürs Putzen draufgehen. Putzen und Holzhacken, damit nicht so auffällt, wie viel sie verfeuert haben.

      »Okay, ich scheuch sie weg«, sagt Katrin, »aber tot mach ich sie nicht.«

      Sie tritt mit dem Fuß gegen den Mülleimer. Katrin ist die einzige, die Hausschuhe mitgebracht hat, echte Hüttenschuhe, denkt Christian, mit gestricktem Fuß und aufgenähter Sohle. Er mag die Sorgfalt dieses Details, falls Katrin es bedacht hat. Er mag jetzt auch Katrin wieder. Alle, wie sie hier sitzen.

      Am fünfzigsten Geburtstag seines Bruders waren Gunda und er die einzigen, die geraucht haben. An die vierzig Gäste, alle nikotinfrei, und nur einer pro Pärchen, der sich nachschenken ließ. Die ersten gingen um halb zwölf, und gegen eins waren nur noch er, Gunda und die erwachsenen Neffen mit ihren Freundinnen da. Also doch eine Clique. Gunda war betrunken, aber die einzige, die es schaffte, mit der schwarzgekleideten Freundin von Lukas ins Gespräch zu kommen. Diese letzte Stunde war die schönste der Party gewesen. Sein Bruder hatte den Plattenspieler freigeräumt, der seit Jahren unter Stapeln von CDs begraben lag, und Mother’s Finest aufgelegt.

      Sie schweigen. Je länger sie abends ums Feuer sitzen, desto stiller wird es. Aber das stört nicht, es gibt ja das Feuer, das knistert und ab und zu knallt, die Kippen, die regelmäßig hineingeworfen werden, das Scharren, wenn jemand sein Glas vom Boden aufnimmt.

      Gundas Augen glänzen.

      Jetzt, wo sie wieder so hübsch aussieht, fällt Christian ein, dass sie vielleicht nicht aus Eifersucht das Zimmer-Auswürfeln ablehnt, sondern dass es wahrscheinlich noch schwerer fällt, einen eindeutig versehrten Körper zu einem fremden ins Bett zu legen, als einen, der nur altert. Er überlegt, wieso ihm das bisher nicht eingefallen ist. Es muss an der Dreistigkeit liegen, mit der Gunda ihm selbst ihren Körper zumutet. Ihm gegenüber ist sie nie schüchtern gewesen, auch nicht nach den Operationen, im Gegenteil, ihm kam es so vor, dass sie nicht mal die Idee zuließ, ihn könnte der Anblick vielleicht ekeln, zumindest aber erschrecken.

      Sofort ist er wieder da, der Ärger über die Zumutung. Christian öffnet den Mund und versucht, möglichst flach zu atmen. Sie ist nicht schuld, denkt er, aber das hat noch nie geholfen.

      »Na, trübe Gedanken?«, fragt Wolfgang, und Christian nickt und lässt sich nachschenken.

      »Evolutionstechnisch sind trübe Gedanken äußerst sinnvoll«, sagt Wolfgang.

      Christian lächelt. Jetzt kommt bestimmt wieder ein Merkspruch, der ihn von heute an ab und zu trösten wird. Entgegen der landläufigen Meinung ist es ein Segen, Psychologen im Freundeskreis zu haben.

      »Die Erinnerung an unsere Fehler drängt sich auf, damit wir sie nicht noch mal machen und womöglich die Art gefährden.«

      Katrin schnaubt. »Funktioniert aber irgendwie lückenhaft, findest du nicht?«

      »Tja«, Wolfgang nickt entschuldigend. »Ist eben nur ein Mechanismus unter vielen.«

      Christian fallen die Infusionsnadeln und Gundas Handrücken ein.

      »Was ist mit den Dingen, an die man ständig denkt, obwohl man gar keinen Einfluss auf sie hat?«, fragt er.

      »So genau kann dein Gehirn eben nicht aussieben. Und woher willst du überhaupt wissen, worauf du Einfluss hast und worauf nicht?«

      Auf Krankheit nicht und auf Tod nicht. Oder vielleicht doch. Vielleicht will er keinen Einfluss darauf haben können. Weil es dann auch eine wirkungsvolle und eine falsche Art gäbe, darüber nachzudenken.

      »Als Kind habe ich immer geglaubt, wenn ich vorher bedenke, dass etwas schiefgehen kann, geht es mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht schief. Weil ich aus Erfahrung wusste, dass es einen am schlimmsten trifft, wenn etwas unerwartet schiefgeht. Ich hab das Schicksal für so ehrgeizig gehalten, dass es nur die perfekten Gelegenheiten nutzt, um zuzuschlagen.«

      Wolfgang lacht. »Und dich für so schlau, ihm diese Gelegenheiten zu vermasseln.«

      »Natürlich. Als Kind war ich doch noch Herr über mein Leben.«

      Katrin schnaubt wieder. »Ob du dich da auch vollständig und im Sinne der Evolution korrekt erinnerst?«

      Christian starrt ins Feuer. »Ich glaube schon. Schließlich mach ich diesen Fehler jetzt nicht mehr.«

      Das Feuer ist so gut wie niedergebrannt. Jemand muss aufstehen und Holz aus dem Schuppen holen.

      »Ich gehe«, sagt Renate. »Aber nicht allein.«

      »Also gut.« Christian steht auf. »Damit der Stapel nicht über dir zusammenbricht wie heute Morgen über Gunda.«

      Es ist doppelt kalt draußen, wenn man so lange am Feuer gesessen hat. Renate hakt sich bei Christian ein.

      »Komm, schnell.«

      Im Schuppen ist kein Licht, und sie haben die Taschenlampe vergessen.

      »Geh aus der Tür«, sagt Christian, und Renate tritt zu ihm in den Schuppen.

      Sie füllen den Wäschekorb mit Scheiten und packen jeder einen Griff.

      »Hält der das aus?«, fragt Renate. »Vielleicht brauchen wir nicht mehr so viel und gehen lieber ins Bett.«

      »Welches Bett?«, fragt Christian und gibt sich rasch selbst die Antwort: »Welches auch immer dran ist.«

      »Die Umzieherei nervt«, sagt Renate und stößt mit der Ferse die Schuppentür zu. Gelenkig ist sie auch.

      Von draußen sieht das Haus dunkel und unbewohnt aus; das Küchenfenster geht zur Seite raus.

      »Ich war schon hundertmal hier, weißt du«, sagt Christian und bleibt stehen.

      Renate lässt ihr Ende vom Korb los. Ein paar Scheite kullern ins Gras.

      »Ich auch bald«, sagt sie.

      »Nein«, sagt Christian. Er spürt, wie Renate ihn im Dunkeln ansieht. »Nicht damals«, fügt er hinzu. »Nicht, als alles neu war.«

      Der erste Sommer. Als sie überall Spuren der alten Besitzer gefunden hatten. Als die Schlafzimmer noch nicht verteilt waren und er mit Gunda und seiner Schwester auf dem

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