Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Hunter S. Thompson
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Genau genommen hat mich Ihr letzter Brief überrascht, und vielleicht schulde ich Ihnen über kurz oder lang eine Entschuldigung für all meine Ausfälligkeiten. Das hoffe ich, aber ich denke, es ist besser, mir zunächst einmal diese erste Ausgabe anzusehen, ehe ich meinen Dolch beiseite lege.
Und denken Sie an die fünf Exemplare. Bis ich diese bekomme oder Sie das Stück zurückschicken, verbleibe ich
Misstrauisch
Hunter S. Thompson
VON WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:
In Abstimmung mit William Dorvillier, dem Verleger des San Juan Star, lehnt Kennedy den Einakter von Thompson rundheraus ab. Kennedy – der Thompson in späteren Jahren als kritischer Leser beim Schreiben zur Seite steht – rät ihm, bei der Literatur zu bleiben.
22. Oktober 1959
San Juan
Puerto Rico
Freund Hunter:
Ich schicke Ihnen das Stück zurück.
Sie haben mich enttäuscht. Ich habe einen ernsthaften Essay zu einem ernsthaften Thema erwartet. Doch Sie haben einen Packen aufgewärmter Klischees mit internen Anspielungen abgeliefert. Sie werfen Fragen auf, nur um dann abzudriften und in verrückten Dummheiten zu enden.
Es würde keinen Mumm brauchen, um dieses Stück zu veröffentlichen. Höchstens Dummheit.
Das Theaterstück hat seine guten Momente. Wie etwa der Teil über Lincoln. Hier zeigt sich, dass Sie als Autor dann gut sind, sobald Sie auf etwas Neues gestoßen sind, das sich zu erzählen lohnt.
Ich wünsche Ihnen ganz ehrlich alles Gute für Ihr Buch. Wenn es Ihnen ernst damit ist, tun Sie gut daran, sich vom Journalismus zu verabschieden.
Nur einen Rat will ich Ihnen noch geben: hören Sie damit auf abzuschreiben. Und schauen Sie mal bei Gelegenheit hier vorbei. Wir könnten uns gegenseitig bei einer Flasche Rum beschimpfen.
Adios, Katze
William J. Kennedy
Geschäftsführender Redakteur
AN WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:
Aufgebracht darüber, dass jemand vom San Juan Star seinen Einakter als »angeberisches Gefasel« bezeichnet hat, holt Thompson ein letztes Mal zu einem Schlag gegen die rotarische Mentalität des amerikanischen Journalismus aus.
29. Oktober 1959
Otisville, New York
Mein lieber Schreiberling,
Ihr rotarischer Dummkopf von Verleger ist einer der originellsten Denker, dem ich seit einiger Zeit über den Weg gelaufen bin. Ich konnte nicht ahnen, dass mein »Drama« auf Anhieb den Richtigen trifft.
Irgendein Kretin hat seine »Kritik« auf die Rückseite meines Manuskripts gekritzelt, von wegen »angeberisches Gefasel«. Nette Formulierung, oder? Der Mann ist eine echte Leuchte.
Ich sollte aber vielleicht erwähnen, dass meine Figur Avare9 genau die gleiche Formulierung benutzt, um das Lincoln-Zitat in dem Stück zu kommentieren. Mit all der inbrünstigen Beschränktheit seines Schlages sagt er: »Oh, Sie dachten wohl, dieses angeberische Gefasel interessiert mich, oder?« Avare ist meiner Auffassung eine dermaßen überzogene Karikatur eines verblödeten Labersacks, dass ich kaum zu hoffen wagte, sein Ebenbild einmal in Fleisch und Blut zu sehen. Doch Ihr windiger Chef scheint genau so einer zu sein, und jede Wette, dass es der helle Wahnsinn sein muss, für jemand wie ihn zu arbeiten.
Und Ihre Worte wiederum: ein Papierstapel voller »aufgewärmter Klischees mit internen Anspielungen« ist eine ziemlich passende Beschreibung des gegenwärtigen Journalismus, würde ich sagen. Warum schreiben Sie diesen »ernsthaften Essay« nicht selbst, den Sie von mir so vehement einfordern?
Sie können von mir nicht erwarten, dass ich Ihnen einen Packen Plattitüden schicke, um damit Ihre stinkende Leiche von Zeitung zu dekorieren, als wär’s die amerikanische Flagge, die einen Sarg voller Müll bedeckt. Wenn Sie Ihre Leser mit Lincoln und Jesus kleinkriegen wollen, dann nur zu. Die Männer jedoch, die für den »Niedergang« verantwortlich sind, sind Männer wie Ihr geistreicher windiger Chef, die auf ihren pompösen Ärschen sitzen und ein Geschrei über »angeberisches Gefasel« anstimmen, während ihre angeheuerten »literarischen« Schreiberlinge Tag und Nacht schuften, um nichts als Schund zu produzieren.
Sie liefern den Beweis, dass ich richtig liege, Freund Kennedy, und ich denke, das wissen Sie so gut wie ich. Mein Stück zu veröffentlichen wäre eine kleine Blamage gewesen, da bin ich sicher, und ich hätte zu gerne das Gesicht des Verlegers gesehen, als er es gelesen hat. Ich weiß, wovon ich rede, Kennedy, und wenn das ein wenig zu brutal für euch »ernsthafte« Leute ist, um es verdauen zu können, dann umso besser. Warum veröffentlichen Sie statt meines Stücks nicht die Strophen der Nationalhymne? Das wäre mehr nach Ihrem Geschmack, und Sie müssten dann auch nicht so viel abtippen. Plattitüden sind eine sichere Nummer und es ist leicht, so zu tun, als würde man sie nicht sehen, doch mit der Wahrheit verhält es sich anders.
Für den Fall, dass ich mal in der Nähe bin, nehme ich Ihre Einladung zu einem kleinen Besäufnis gerne an. Ich schätze, dass Sie ziemlich in Ordnung sind und Charakter haben. Umso beschämender ist es, dass Sie sich als Sprachrohr des internationalen Rotariertums verdingen. Aber es ist eben so, dass wir alle etwas zu essen brauchen, und wenn ich mal so alt bin wie Sie, sitze ich womöglich im gleichen Boot. Ich hoffe es nicht, aber man kann es nie ausschließen.
Auf jeden Fall danke für Ihre freundlichen Worte über den Roman, und ich wünschte, ich könnte das gleiche über Ihre Zeitung sagen. Aber so billig bin ich nicht zu haben, und so bleibt mir nur, auf Wiedersehen zu sagen und mich für einen interessanten Briefwechsel zu bedanken.
ETC. – HST
AN ROBERT BONE:
Kurz nachdem Thompson vom Middletown Daily Record gefeuert wurde, verlässt auch der Reporter und Fotograf Bone das Blatt, um sich einen neuen Job in Manhattan zu suchen. Er bleibt beim San Juan Star hängen. Von 1961 an wird er für ein Wirtschaftsmagazin in Rio de Janeiro arbeiten.
14. Dezember 1959
Otisville
New York
Robert:
Habe eben Deinen Artikel im Record (»Souveränität oder Status Quo«) zu Ende gelesen und fand ihn deutlich schlechter als den Bericht über die Kommunistenverhöre. Wen hast Du das für Dich schreiben lassen?
Verzeih mir diese Spitze. Das ist auch nicht der Anlass für