100.000 Tacken. Reiner Hänsch

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100.000 Tacken - Reiner Hänsch

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wir haben doch ein Haus!“, meint Max und er hat ja recht. Wir wohnen hier seit einigen Jahren schon in diesem alten, liebevoll restaurierten und renovierten Gehöft in Leckede-Hintersten, ganz hinten, oder eben mitten im Sauerland, wie schon gesagt, und fühlen uns eigentlich sehr wohl darin. Es ist groß, schön und alt. Es passt gut zu uns.

      „Nein, ein Haus für andere“, sage ich, „ein Mietshaus!“

      „Warum das denn?“, fragt Steffi, weil sie auf diesen Gedanken vielleicht noch gar nicht gekommen ist.

      Und ich sage nur verheißungsvoll: „Betongold.“ Zack. Das muss erst mal reichen. Dann schmiere ich mir lässig ein Käsebrot mit Marmelade und denke an meine Zukunft als Immobilientycoon mit einer imposanten Goldkette um den Hals und einer schweren teuren Uhr am Handgelenk. Ich blicke vom Balkon der Prestige Suite des Carlton Hotels in Cannes auf meine sich sanft in der Dünung wiegende stahlblaue Yacht und erlaube Max, mit dem Bentley einmal die Croisette rauf- und runterzufahren.

      „Aber nicht so schnell, Max!“

      „Was?“, fragt der.

      „Ach nichts.“

      „Betongeld?“, fragt Max dann, aber Steffi scheint schon so ungefähr zu verstehen, was ich meine.

      „BetonGOLD“, verbessere ich Max. „Seht mal“, sage ich und fühle mich jetzt noch mehr wie ein gerissener Jongleur der Hochfinanz, der seinen unwissenden Jüngern etwas Wissenswertes über den komplizierten Umgang mit Geld erklärt. Dabei ist es doch ganz einfach.

      „Wir kaufen von dem Onkel-Günter-Geld ein Mietshaus für mehrere Familien und dann kassieren wir die Mieten, solange die Hütte steht. Unser ganzes Leben ist damit praktisch jetzt schon abgesichert. Unser Geld arbeitet!“

      Das ist wahrscheinlich übertrieben und das Geld von Onkel Günter wird dafür nicht ganz reichen, wir müssten uns also noch etwas leihen, außerdem ist alles etwas zu rosig gesehen … aber es hört sich doch schön an.

      „Naja“, meint Steffi, „wir könnten natürlich auch den Kredit für unser eigenes Haus hier in Leckede damit abbezahlen.“

      Ja, da hat sie natürlich recht. Das könnte man machen. Aber es ist eigentlich nicht das, was ich mir als soeben erstandener Großinvestor vorstelle. Und außerdem denke ich auch jetzt, vielleicht erstmalig wieder, an die Worte meines Vaters mit dem erhobenen Zeigefinger. An später denken!, Vorsorgen! und so was. Die Familie absichern! Tja, das könnte ich jetzt machen.

      Und darum sage ich: „Aaach, nein, Steffi, der Kredit läuft doch von ganz alleine, und es dauert ja auch nur noch ein paar Jährchen, dann sind wir ihn schon los. Nein. Wir IN-VES-TIE-REN!“, posaune ich in staunende Gesichter und ich finde auch, dass es sich aus meinem Munde noch etwas seltsam anhört. Ungewohnt. Egal. Geld verändert eben Menschen.

      Aber das Darlehen für unser schönes Bauernhaus hier in Leckede, das wir vor einigen Jahren aufnehmen mussten, läuft wirklich ganz gut von alleine. Ich verdiene in der Redaktion des Sauerlandbeobachters zwar keine Unsummen, aber immerhin bin ich der Redaktionsleiter dieses kleinen kostenlosen Anzeigenblattes, und wir kommen ganz gut zurecht. Der Kredit bekommt monatlich, was er braucht, und wir müssen nicht sparen. Das Onkel-Günter-Geld könnte also tatsächlich IN-VES-TIERT werden. Zum Beispiel eben in Betongold!

      Es macht eigentlich doch auch richtig Spaß, über so etwas überhaupt mal nachdenken zu können. Endlich mal zu denen zu gehören, die unbedingt ihr Geld unterbringen müssen. Wohin damit, Onkel Dagobert? Vorsicht, die Panzerknacker graben schon wieder einen Tunnel!

      Max ist das alles egal, er verzieht sich nach oben in sein Zimmer und hört wahrscheinlich wieder eine dieser schrecklichen Metall-Musikgruppen, und ich sitze mit Steffi allein in der Küche, um das Wort „Betongold“ noch mal gründlich von allen Seiten zu beleuchten.

      „Naja“, meint sie dann nachdenklich und zieht einen Mundwinkel nach oben, was ihr außerordentlich gut steht. Sieht irgendwie frech aus. Sie ist die frechste … nein, nein, natürlich die schönste Frau der Welt, besonders mit hochgezogenem Mundwinkel. „Schlecht hört sich das ja nicht an.“

      „Genau. Sieh mal, Steffi, wir kaufen ein schönes Haus und vermieten es an nette Menschen, die uns gerne und sogar monatlich dafür Geld bezahlen, in so einem schönen Haus wohnen zu dürfen. Wir sind nett zu ihnen, sie sind nett zu uns. Das ist doch toll. Und solange das Haus steht, bekommen wir Miete. Geld, ein Leben lang. Kohle ohne Ende. Die Familie ist abgesichert für alle Zeiten! Wer weiß denn, was später mal kommt?“

      Sie sieht mich strinrunzelnd an und vielleicht überlegt sie, ob sie nicht versehentlich doch einen ganz anderen Mann geheiratet hat, denn so was hat sie eigentlich noch nie von mir gehört. Ich ja selbst auch nicht. Aber ich bin trotzdem sehr stolz, diesen ganzen Sachverhalt auf so eine hübsche, plausible und einfache Formel gebracht zu haben, weil ich auch wirklich meine, dass es eine ziemlich gute Idee ist, so ein Mietshaus zu kaufen.

      „Tjaaa …“, sagt Steffi nur, „vielleicht hast du ja recht.“

      Natürlich habe ich recht. Warum machen es denn viele andere auch so, die es nun wirklich wissen müssen? Donald Trump … oder Günther Jauch zum Beispiel. Der hat eine ganze Menge Mietshäuser, wie man liest, und scheint doch trotzdem, oder gerade deswegen, ziemlich gut drauf zu sein. Immobilien! Das ist doch das Zauberwort der Wohlhabenden, das man sich hinter vorgehaltener Hand und auf Dinnerpartys und Vernissagen zuflüstert. Beton bleibt!

      Natürlich hatte es uns noch nie jemand zugeraunt, denn bisher gab es keinerlei überflüssiges Geld unterzubringen. Wir waren immer froh, dass es für alles gereicht hat. Aber jetzt, wo wir doch reich sind, sieht die Sache ja schon ganz anders aus.

      Hunderttausend Tacken! Boah ey!

       Der graue Kasten

      In den folgenden aufregenden Tagen studieren wir eifrig und wann immer sich die Gelegenheit bietet, die Immobilienangebote in der Gegend. Auch im Redaktionsbüro kann ich es mir, trotz einer ganzen Menge Arbeit, nicht verkneifen, ab und zu mal den Immoscout aufzumachen und nachzusehen, ob unser Haus denn schon dabei wäre. Große Häuser gibt es da, kleine, langweilige, auch ganz schreckliche Betonklötze sind darunter. Nein, nein, so soll unser Haus niemals aussehen.

      Schön soll es sein. Ganz einfach.

      „Solide Kapitalanlage“, „gute Rendite“, „Entwicklungspotenzial“, „voll vermietet“ und „provisionsfrei“ sind Worte aus dem neuen geheimnisvollen Vokabularium, mit dem ich mich in diesen Tagen beschäftige. Oh, ist das ein aufregender, alles verschlingender Dschungel unbekannter Begriffe und Abkürzungen, durch den man sich da pflügen muss, um endlich wieder das Tageslicht des willigen Anlegers zu sehen.

      „Sollten wir nicht erst mal zu Herrn Beckebanz gehen und fragen, ob wir von der Sparkasse auch noch Geld bekommen?“, fragt Steffi und da hat sie natürlich recht. Für unsere hunderttausend Tacken bekommt man nur ganz, ganz kleine Mietshäuser … oder eben gar keine. Auf jeden Fall nicht solche, die wir uns vorgestellt haben.

      „Ach, das klappt schon“, sage ich, obwohl ich es nicht genau weiß. Die Häuser, die wir uns da jetzt nur mal so ansehen, kosten alle über zweihunderttausend Tacken, also sogar mehr als das Doppelte. „Herr Beckebanz macht das bestimmt.“

      Und obwohl Steffi dann Bedenken anmeldet, ob es denn auch wirklich richtig sei, sich noch weiter in Schulden zu stürzen, tue ich das leicht überheblich als pure Schwarzmalerei

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