100.000 Tacken. Reiner Hänsch

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100.000 Tacken - Reiner Hänsch

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      Kurz flammt in mir wieder ein kleiner, schneller und böser Gedanke auf, dass wir möglicherweise seit langer Zeit die einzigen sind, die sich überhaupt für diese Hütte interessieren … Ach, was. Schnell wische ich diesen unsinnigen Gedanken wieder weg. Das kann ja gar nicht sein. Bei so einem prachtvollen Objekt werden die Interessenten Schlange stehen. Wir sollten also nicht zu lange überlegen.

      Nach einer Weile des Suchens und Ausprobierens hat Herr Dunkeloh den richtigen Schlüssel dann gefunden und schließt mit einem ermunternden Nicken erwartungsvoll auf. Ein klebrig glänzender Schweißfilm überzieht bereits seine blasse Stirn.

      Wir folgen ihm gespannt und voller Erwartung durch die leicht quietschende Haustür in das Dunkel des Flurs und ich stoße mir das Schienbein an einem sportlichen Kinderwagen, der da vor sich hin wartet, weil Herr Dunkeloh nicht gleich den Schalter für das Flurlicht findet.

      „Ah, verdammt, wer hat denn hier …!“, will ich gerade losfluchen, schon so, wie ein richtig böser, grantiger Tyrann von Hausbesitzer, als Herr Dunkeloh mich mit dem so dahingemurmelten Wort „Bewegungsmälder“ beruhigen will. Was? Ach so. Ich weiß schon, er meint, man könnte so einen Sensor einbauen, der dann direkt das Flurlicht anschaltet, wenn einer zur Haustür reinkommt. Ja, das wäre sehr vernünftig. Gute Idee.

      Ich sehe mich ganz kurz in einem grellenGedankenblitz schon als neuer Master of Grauer Kasten Gesetze entwerfen und gebieterisch Pamphlete über Kinderwagenstellverbote an die Treppenhauswände nageln, wie einst Martin Luther, der sicher nichts gegen Kinderwagen hatte, aber ja auch Missstände beseitigen und die Welt ein wenig verbessern wollte. Will ich auch. Wenigstens in unserem Treppenhaus.

      Ach, es ist ja nur ein Kinderwagen. Leute, wir haben Kinder im Haus! Das ist doch wunderbar!

      Das Flurlicht brennt endlich, aber nicht auf allen Etagen, was Herrn Dunkeloh jetzt schon fast einen Punktabzug einbringen könnte. Aber wir wollen uns unser Haus ja nicht durch solche Kleinigkeiten vermiesen lassen.

      Es ist schön, und das soll es auch bleiben. Basta! Wir wollen es haben! Oder, Steffi? Ja, du willst es doch auch! Das sehe ich doch.

      „Ach, dat müsste dann au ma gemacht wärd’n“, sagt Dunkeloh entschuldigend und wir winken nur generös ab. Ist ja weiter nichts.

      Interessiert, voller keimender Vorfreude und auch schon mit so etwas wie Besitzerstolz schauen wir uns in unserem Haus um, und da geht das Flurlicht nach einer geschätzten halben Minute auch schon wieder aus. Als ich das Licht wieder einschalten will, verwechsle ich den Lichtschalter mit einer Klingel und ich höre nur von drinnen eine weibliche Stimme: „Haust du ab, du Arsch. Stinks du wieder Ouzo un Takis! Komms du ssuruck, wenn nüschtern!“

      „Oh, ich dachte, hier ist niemand zuhause“, drehe ich mich verwundert zu Herrn Dunkeloh um. „Aber wenn man die Dame richtig versteht, dann erwartet sie wohl auch noch kurzfristig ihren Gatten zurück.“

      „Ja, ich … äh … dachte au, datte Frau Göktürk nich zuhause is’“, stammelt Herr Dunkeloh fast so, als hätte er gehofft, sie wäre nicht zuhause. Etwas unsicher lächelt er uns zittrig an. „Na, dann könn’n we ja vielleicht doch ma kurz inne … äh … Wohnung kuck’n.“

      „Hallo, Frau Göktürk, hier Härr Dunkeloh von Dunkeloh und Wöbkemeier, ja?“, ruft Herr Dunkeloh gegen die immer noch geschlossene Tür, die sich aber dann plötzlich einen kleinen Spalt öffnet. „Ich hier … mit neue Besitzer von Haus!“

      „Wat willssu, Dünkelöh?“, fragt eine tiefe rauhe Stimme, die bedrohlich durch den kleinen Spalt knurrt. Türken haben eben überall Ös und Üs in ihrer Sprache, jetzt also auch Herr Dünkelöh. Hinter der Tür scheint alles böse und dunkel. Nein, dünkel.

      „Wir vielleicht ma schnell kuck’n könn’n … in Wohnung, Frau Göktürk?! Besichtigung?! Neue Besitzer?! Haus verkaufen?!“ Er spricht nicht nur wie ein Idiot, er spricht auch ganz laut.

      „Was spreschst du wie mit Ausländer, Dünkelöh, binnisch dreissehn Jahre Deutschland. Versteh isch gutt. Kommstu rein mit deine Leute.“

      Und dann öffnet sich die Tür ganz und wir dürfen Frau Göktürk in voller Gänze bestaunen. Sie sieht aus wie … naja, eigentlich wie Winnetous Mutter, wenn ich sagen soll, was mir als Erstes durch den Kopf geht, als sie da so vor uns steht und böse lächelt. Dichtes, struppiges, schwarzes Haar, zu Zöpfen geflochten, umrahmt ihr kantiges, fast männliches und übertrieben gebräuntes Antlitz. Sie sieht aus, als wollte sie gleich zu einem Kostümfest aufbrechen – mit Indianerperücke und Kriegsbemalung. Nur den Tomahawk müsste sie noch eben aus der Küche holen, man weiß ja nie, und dann kann’s schon losgehen.

      „Wass loss? Komme rein!“, befiehlt Frau Winnetou und wir gehorchen artig, um nicht direkt am Marterpfahl zu landen.

      Und so tauchen wir ein in eine olfaktorische Wunderwelt aus Knoblauchküche, Aschenbecher, Fischresten und Kinderwindeln. Stark verbrannt riecht es auch.

      Mir fällt der Kinderwagen unten im Flur ein. Ein kleiner, hoffnungslos rotzverschmierter Junge sieht uns ängstlich an und beginnt dann fürchterlich zu brüllen. Ärgerlich ruft Frau Göktürk nach hinten in eins der Zimmer: „Gönül, kommsstu? Deine kleine Bruder muss Schnauze halten. Sons weckt de Adnan. Habbisch Besuch.“

      Ein etwa vierzehnjähriges weibliches Schlurfgespenst erscheint lustlos und ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft kaugummikauend in einer der Türen, schenkt uns einen angeödeten Blick und zerrt dann das kleine brüllende Ungetüm in das Zimmer. Hinter der Tür hört man einen deutlichen Klatsch und das Brüllen verstummt augenblicklich, um sich dann aber wieder mindestens mit doppelter Lautstärke sirenenartig fortzusetzen. Man hat nur Luft geholt und neuen Anlauf genommen.

      Ich sehe Steffi an und zucke mit den Achseln. Soll man sich schon dazwischenwerfen? Darf man sich überhaupt in die Erziehung anderer Familien einmischen? Wie erzieht der Türke? Vielleicht in grundlegenden Dingen etwas anders als wir. Keine Ahnung. Und um internationale Verwicklungen oder einen blutigen Indianerkrieg zu vermeiden, folgen wir also erst mal Herrn Dünkelöh ins Wöhnzimmer.

      Außer einem gigantischen Monstrum von Flachbildfernseher, der eine dieser äußerst beliebten, recht lehrreichen und besonders lebensechten Nachmittagssendungen zeigt, in denen ganz schlechte Schauspieler so tun, als würden sie sich hassen und schon bald oder auch augenblicklich gegenseitig umbringen, kann man erst mal nicht viel erkennen, weil die Fenster des Zimmers mit blickdichten Wolldecken verhängt sind. Man ist also lieber privat bei den Göktürks. Kann ich verstehen.

      Als sich unsere Augen an das flimmernde Halbdunkel gewöhnt haben, tauchen langsam und schemenhaft eine gemusterte bläuliche, nur ganz leicht abgeschabte und etwas bräunlich verkrustete Sitzgruppe für mindestens zwanzig Personen und ein Glastisch auf, der leider nicht mehr lange halten wird, weil er einen großen, langen Sprung hat. Trotzdem steht eine Menge leerer Flaschen darauf. Und noch hält er ja.

      Die Sitzgelegenheiten sind über und über mit allerlei lustigen bunten Sachen und etwas Müll belegt, was nun mal zu einem lebendigen Haushalt gehört. Natürlich. Das ist ja bei uns auch nicht viel anders, denke ich. Steffi scheint leicht anderer Meinung zu sein, doch sie lächelt Frau Göktürk trotzdem freundlich zu.

      „Wollen setzen?“, röhrt Winnetous Mutter, aber wir lehnen alle erschrocken und dankend ab. Nein, nein, das geht zu weit, wir wollen ja nur kurz mal …

      Dann bekommen wir noch einen ebenfalls sehr schönen, aber auch fast gänzlich abgedunkelten Raum zu sehen, der das Schlafzimmer der Familienchefs darstellen soll und ein

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