Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer страница 8
Zufrieden setzte er sich.
»Britta, wie lief’s beim Pfarrer?«
»Pfarrer Landulf ist nach Angaben seiner Haushälterin noch immer völlig geschockt.«
»Landulf – was für ein seltsamer Name für einen Pfarrer«, sagte Bernt Örneberg überraschend. »Bedeutet so was wie Werwolf. Aber ich glaube, es gab schon mal irgendwo einen Bischof mit diesem seltsamen Namen.«
»Wahrscheinlich wussten seine Eltern bei seiner Geburt noch nicht, dass er später mal Pfarrer werden würde – sonst hätten sie sicher was Passenderes gewählt. So was wie Bernt. Das passt doch eigentlich immer, nicht wahr?«, konterte Britta schnippisch. »Seine Haushälterin, Grete Bein, schien jedenfalls noch immer ehrlich entrüstet, wenn wahrscheinlich auch eher über den Schock, den der Täter dem Pfarrer zugefügt hat, als darüber, dass jemand sterben musste. Mord in der Kirche gehört sich einfach nicht.«
»Und was sagt Pfarrer Landulf dazu?«, fragte Lundquist.
»Ich finde ihn ziemlich sympathisch«, sagte Britta, »auch wenn er manchmal etwas zur Verwirrtheit neigt. Er empfindet das Ganze mehr als Affront gegen die Institution Kirche. Nach seiner Schilderung schließt er die Kirche persönlich gegen 22 Uhr ab. Anschließend geht er ins Bett. Sein Schlafzimmer befindet sich auf der Rückseite des Pfarrgebäudes und daher hätte er wahrscheinlich ohnehin nichts gehört. Grete schläft im Dachgeschoss. Sie leidet seit einiger Zeit unter Tinnitus und setzt deshalb zum Einschlafen Kopfhörer auf.«
»Wo liegt eigentlich der Schlüssel, wenn Pfarrer Landulf schlafen geht?«, wollte Lars wissen.
»Er legt ihn immer in eine Spalte unter dem Grabstein von Julia Mehnert. Das ist ein Kindergrab gleich links neben dem Turm. Er meint, es könne doch immer mal sein, dass eines der Gemeindemitglieder nachts plötzlich göttlichen Zuspruchs bedürfe, und da müsse das Haus des Herrn dem Gläubigen auch offenstehen. Alle im Dorf wissen, wo der Schlüssel liegt. Es kann also jeder rein – zu jeder Zeit.«
»Keine Sperrstunde fürs Beten!«, kommentierte Bernt und lachte keckernd.
»Weder Grete noch Pfarrer Landulf können sich an jemandem im Rollstuhl erinnern«, fuhr Britta ungerührt fort. »Aber wenn das nur Tarnung war, nutzt uns die Information ja auch nichts.«
»Gut. So viel für heute«, beschloss Lundquist. »Jetzt bleibt abzuwarten, ob die dänischen Kollegen die Familie von Gunnar Thaisen ausfindig machen können. Wo wohnte der Mann?«
»In Skagen.«
»Er kam von der Spitze Jütlands, um ausgerechnet auf Holm zu sterben? Ist ja auch die nächste Ecke! Wie dem auch sei, wenn es ihn gibt und er Familie hat, müssen die Angehörigen verständigt werden. Wir sollten den Kontakt zu den Kollegen möglichst eng halten. Lars, check doch mal in deinem PC, ob dieser Gunnar Thaisen bei uns schon mal irgendwie aufgefallen ist.«
Er erhob sich etwas unsicher und griff sich in die rechte Seite.
Zu viel Sport, zu viel Ehrgeiz bei der Physiotherapie, schimpfte seine innere Stimme, das provoziert Muskelkater.
»Morgen früh treffen wir uns alle wieder hier«, presste er etwas mühsam hervor. »Dann sehen wir weiter. Und jetzt raus mit euch ins winterliche Schneetreiben. Für heute ist Feierabend.«
Später, als er am Fenster in seinem Büro auf die Lichter der Stadt schaute und nachdenklich das Schneegestöber beobachtete, wusste er nicht, ob er diese weiße Decke, die sich auf die Natur legte und das Leben verlangsamte, begrüßen sollte: Bedeutete die Verlangsamung des Lebens auch eine Verlängerung? Wollte er das überhaupt? Er betastete seine Rumpfmuskulatur, knete seinen Bizeps. Noch fühlte sich alles straff und gesund an. Die MS hatte eine Pause eingelegt. Dauer ungewiss. Und als er an Magda und Lisa dachte, wurde ihm bewusst, er, wie sehr er die stillen Zeiten des Winters begrüßte. Es war eine verzauberte Jahreszeit mit glitzerndem Schnee, gemütlichen Abenden bei Kerzenlicht. Hinten im Park rutschten bereits die ersten Kinder auf Schlitten den flachen Hügel hinunter. Er erinnerte sich, wie seine Mutter ihn das erste Mal zum Schlittenfahren im angrenzenden Wald mitnahm. Sie trug einen Hut mit einer Fasanenfeder und einen Pelzmantel aus Luchsfell. Völlig unpassend. Sie fiel augenblicklich auf zwischen all den Anorakträgern. Peinlich.
Sie zog ihn auf dem Schlitten zu einer Schlucht, von deren Anhöhe sich wagemutige Männer auf ihren Rodeln hinunterstürzten. Schließlich entschied sie, nicht hinunterzufahren, zumal die Bahn durch kräftiges Wurzelwerk oft unterbrochen wurde, was die Gefahr noch erhöhten.
Sven war ihr einziges Kind.
Sie wollte kein Risiko eingehen.
Auf der Heimfahrt hatte er die ganze Zeit traurig das Wippen der Fasanenfeder fixiert. Sie störte ihn. Machte seine Mutter so fremd, seltsam unnahbar.
Am nächsten Tag hatten sie ihn in der Schule ausgelacht.
Wütend prügelte er sich auf dem Heimweg mit Janne. Beide trugen sie ein blühendes Veilchen davon. Aber immerhin, er hatte eine Art Unentschieden erkämpft. Die Hänseleien hörten wieder auf.
Damals hatte er oft vor Zorn über die ständige Besorgnis seiner Mutter ins Kissen geweint. Heute, als Vater, konnte er sie verstehen.
Das gedämpfte hektische Rattern der Festplatte verriet ihm, dass das mit dem Namen Gunnar Thaisen gespeiste Rasterprogramm auf Hochtouren lief.
Eine leichte Nervosität breitete sich in ihm aus, wie eine Vorahnung von großem unvermeidlich heraufziehendem Ärger, als er an das Gespräch mit seiner Mutter von gestern Abend dachte. In letzter Zeit hatte es häufig sinnlosen Streit mit ihr gegeben, und ein wenig konnte er ihren Standpunkt auch nachvollziehen, aber schließlich hatte auch er ein Recht auf ein eigenes Leben. Er war alt genug!
Nach Annas Tod hatte das Leben für ihn jeden Sinn verloren. Seine Gedanken verdüsterten sich, er fiel in eine tiefe Depression, sehnte nichts so sehr herbei wie den eigenen Tod. Doch er fing sich wieder, hielt tapfer durch, Lisas wegen. Damals hatte seine Mutter bereitwillig seinen Haushalt übernommen, der durch hektische An- und Abwesenheiten geprägt war. Polizeidienst ist nur theoretisch planbar. Natürlich genoss sie den Umgang mit ihrer Enkeltochter und freute sich darüber, wirklich dringend gebraucht zu werden. Doch schleichend hatte sie damit auch wieder begonnen, das Leben ihres Sohnes in die Hand zu nehmen. Zuerst war es ihm gar nicht richtig aufgefallen, wie fordernd sie geworden war, dann widersetzte er sich um des lieben Friedens willen nicht und redete sich ein, das alles sei notwendig, um Lisa ein warmes Zuhause bieten zu können.
Als er gerade so weit war, sich gegen ihre Einmischungen zur Wehr zu setzen, hatte man die Ursache für seine rätselhaften Beschwerden gefunden: Multiple Sklerose. Wie eine schwere Decke legte sich diese Diagnose auf sein Leben und schien die letzten Reste von Mut und Stärke zu ersticken. Wieder war es seine Mutter, die ihn auffing und ihm Halt und Zuversicht gab.
Lundquist seufzte. Er war nun Ende dreißig, Witwer mit Tochter, und hatte sich Hals über Kopf in eine Sängerin an der Göteborger Oper verliebt, im Krankenhaus, gleich nach dem spektakulären Fall im Herbst.
Als er sie zu sich einlud, war er auf die Konsequenzen nur unzureichend vorbereitet.
Niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, seine Mutter könne in Magda eine Bedrohung sehen, gar eifersüchtig sein. Allerdings wohnte seit jenem Abend eine neue unbekannte Kälte mit