Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer
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»Dann diente das Kreuz also nur zur Tarnung. Wenigstens ein Trost für Pfarrer Landulf, wenn auch sicher nur ein schwacher.«
»Ja, sieht ganz nach einer gestellten Szene aus. Ich glaube, es wurde ganz vorsichtig auf ihm abgelegt.«
»Abgelegt? Du sprichst in Rätseln!«
»Ich weiß, dass es seltsam klingt. Bei der äußerlichen Inspektion konnte ich keine Verletzung finden, die eindeutig dem Kreuz hätte zugeordnet werden können – vielleicht eine Quetschung, aber das klären wir ja jetzt.«
Wennerström warf Lundquist eine Plastikschürze und eine Hygienehaube zu.
Während Lundquist sich die Schürze zuband, richtete der forensische Pathologe mit knappen Bewegungen seine Instrumente auf einem Edelstahltablett. Eine Atmosphäre der Endgültigkeit hing über dem Sektionsraum.
Nicht zum ersten Mal wünschte sich Hauptkommissar Lundquist weit weg von hier.
Der Körper auf dem Tisch war groß und massig. Wennerström nahm ein Skalpell und schnitt in den Brustkorb. Es knirschte leicht, als liefe jemand über verharschten Neuschnee.
»Er war sicher eine enorm stattliche Erscheinung. So groß und schwer – vielleicht Türsteher in einer Disko oder Leibwächter irgendeiner Unterweltgröße«, sagte Haakan Wennerström und griff nach der elektrischen Knochensäge.
Eine Ewigkeit später – so schien es jedenfalls Lundquist – waren alle nötigen Proben entnommen, gesichert und die Organe einer ersten Untersuchung unterzogen.
»Er war ungefähr Mitte vierzig bis Anfang fünfzig, litt an deutlichem Übergewicht, BMI bei 37. Aber nicht alles war Fett. Möglicherweise hat er seine beeindruckende Muskelmasse mit Hilfe anaboler Steroide aufgebaut ...«, mutmaßte Wennerström.
»Er war behindert. Da mag es nicht so einfach sein, eine gute Figur zu behalten. Auf jeden Fall steht fest, dass er im Rollstuhl saß«, unterbrach ihn Lundquist. »Das Auto, das wir vor der Kirche gefunden haben, war speziell für Behinderte umgerüstet. Lars klemmt sich dahinter. Vielleicht finden wir über die Firma, die dieses Fahrzeug behindertengerecht umgebaut hat, seinen Namen raus.«
Wennerström stand die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Ich will dir ja nicht allen Wind aus den Segeln nehmen«, begann er zögernd, »aber dieser Mann wurde nicht nur nicht von diesem Glaskreuz erschlagen, er war auch nicht auf einen Rollstuhl angewiesen. Und wo wir gerade dabei sind: seine Haarfarbe ist auch nicht echt.«
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»So, dann lasst uns mal zusammentragen, was wir bisher über den Toten wissen«, eröffnete Sven Lundquist die Gesprächsrunde in seinem Büro.
»Einar Dahl«, sagte Ole, »der Polizist von Holm, kann sich an keinen Rollstuhlfahrer in der Gemeinde erinnern. Sein Vorgänger kann nicht mehr befragt werden, er ist vor einigen Jahren bei einem Segelunfall ertrunken. Und Jens, der Besitzer des einzigen Supermarktes im Ort, war nicht da. Seine freundliche Tochter erklärte mir, er habe Saunatag, aber sie wisse nicht, in welche Sauna er gegangen sei. Er variiere da. Ich werde also morgen noch mal hinfahren müssen.«
»Die Obduktion hat Haakan Wennerström durchgeführt«, berichtete Lundquist. »Demnach war der Tote etwa Mitte vierzig, groß und schwer, deutliches Übergewicht und verfügte über eine beeindruckende Muskelmasse. Seine letzte Mahlzeit muss er wohl bei McDonald’s eingenommen haben, etwa drei Stunden vor seinem Tod. Pommes, Burger, Cola, kein Salat. Die genaue Analyse steht noch aus. Auch die Blutwerte sowie die Gift- und Medikamentenanalyse kommen erst in einigen Tagen. Der Todeszeitpunkt war etwa zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«
Er sah in die Gesichter seiner Kollegen, alle wirkten blass und übernächtigt.
Lauter Wintergesichter, dachte er, dabei war es noch nicht einmal Weihnachten und der Frühling noch so weit.
»Der Tote wurde weder vom Kreuz erschlagen, noch war er Rollstuhlfahrer!«, ließ er die Katze aus dem Sack.
Sofort redeten alle durcheinander.
»Wie, was soll das heißen: Er wurde nicht vom Kreuz erschlagen?« – »Wozu brauchte er dann ein umgerüstetes Auto?« – »Dann war er ja gar nicht hilflos der Situation ausgeliefert und hätte sich wehren können.« – »Wenn er nur so getan hat, als wäre er Rollstuhlfahrer – wozu sollte das gut sein? Ich meine, welchen Vorteil sollte das haben?«
Ja, welchen Vorteil hatte das schon, dachte Lundquist verbittert. Was würde sich in seinem Leben alles verändern müssen, wenn es bei ihm erst mal soweit wäre, die Multiple Sklerose ihm die Bewegungsfreiheit nahm.
Er warf einen Seitenblick zu Lars hinüber und bemerkte amüsiert, wie sein Freund verstohlen das Display seines Handys kontrollierte. Gitte, Knysts Frau, erwartete ihr erstes Baby, und der werdende Vater zeigte langsam deutliche Spuren von Schwangerschaftsstress.
»Wenn er nicht durch das Kreuz erschlagen wurde – wie ist er dann gestorben?«
Brittas energische Stimme hatte sich in der Kakophonie durchgesetzt.
»Er wurde tatsächlich erschlagen, aber eben nicht durch das Kreuz. Haakan meint, es wurde sorgfältig auf ihm abgelegt. Sonst hätte es womöglich den Kopf abgetrennt. Erschlagen wurde er mit einem stumpfen Gegenstand aus Holz. Und es waren offensichtlich mehrere Schläge notwendig. Haakan hat einen lackierten Holzspan in der Wunde am Genick gefunden. Er meint, von einem Baseballschläger vielleicht oder einem Werkzeugstiel.«
»Und dann sollen die Täter eine Leiche in die Kirche getragen haben, um dort alles so zu arrangieren, dass es wie ein tragischer Unfall aussieht?«
Ole war verärgert.
»Und ausgerechnet in einer Kirche wollten sie einen Mord vertuschen? Was für eine kranke Idee!«
»Blasphemie«, stellte Bernt trocken fest. »Woher will Haakan das eigentlich wissen, dass er kein Rollstuhlfahrer gewesen ist?«
»Er hat eine ausgeprägte Beinmuskulatur. Haakan tippt auf hartes Training in einem Fitness-Studio. Wir müssen uns also von der Vorstellung befreien, dass wir es mit einem wehrlosen Opfer zu tun haben. Der Tote war voll durchtrainiert. Das Gewicht stammt nicht allein vom Fett, sondern in erster Linie von Muskelmasse. Er hat wohl mehrmals in der Woche trainiert. Jedenfalls war er für den oder die Mörder ein ernst zu nehmender Gegner.«
»Der jetzt endlich auch einen Namen hat: Gunnar Thaisen«, schaltete sich Lars ein, dem gerade ein Zettel ins Büro gereicht wurde. »Und dieser durchtrainierte Mann mittleren Alters, der als Bodyguard eine gute Figur abgegeben hätte, bestellt sich bei Rent & Co. ein für Rollstuhlfahrer umgerüstetes Auto. Er hat dort den Namen Gunnar Thaisen angegeben und sowohl einen Ausweis, als auch einen Führerschein mit diesem Namen vorgelegt.«
»Ist der Name schon überprüft?«
»Nein. Ich habe den Namen ja gerade erst bekommen!
Die Mietwagenfirma war ein bisschen zickig. Aber die dänischen Kollegen wollten sich gleich drum kümmern.«
Lundquist nahm einen orangefarbenen Notizzettel vom Tisch, schrieb mit einem Filzstift Gunnar Thaisen drauf und