Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer
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Magda hatte einfach wundervoll reagiert.
Ruhig und freundlich überhörte sie alle Anspielungen auf den »einfachen Weg zum Erfolg, fast wie im Schlaf« und Ähnliches. Als er sie nach Hause gebracht hatte – sie wohnte ein Haus weiter – zeigte sie sogar großes Verständnis für seine Mutter und erklärte ihm bei einem Glas Wein das geheimnisvolle Wesen der Schwiegermütter. So war es dann doch noch ein sehr lustiger Abend geworden.
Wehmütig beobachtete er die Autos, die sich ihren Weg durch die aufgewirbelte Dunkelheit suchten. Wie viele glückliche Familienväter mochten auf dem Weg ins warme Heim sein, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wurden?
Neid kroch in ihm hoch.
Und Wut.
Gut, seine Mutter war eifersüchtig. Das würde mit der Zeit wahrscheinlich vergehen. Aber Zeit war etwas, was Sven Lundquist nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung stand. Multiple Sklerose war eine heimtückische Krankheit, die in manchen Fällen für eine gewisse Zeit zurückgedrängt werden konnte. Der Preis dafür waren Übelkeit, Erbrechen, Gliederschmerzen. Das Leben ging weiter, die Krankheit wartete jedoch in einer Art Dämmerschlaf und wiegte den Patienten oft genug in falscher Zuversicht.
Und dann schickte sie einfach völlig unvermittelt einen neuen Schub.
Und immer blieb eine Verschlechterung zurück.
»Hier – das gibt’s doch gar nicht!«, unterbrach Knyst, der dem allgemeinen Aufruf zum Feierabend nicht gefolgt war, seine quälenden Gedanken und zwang ihn in die Realität des Büros zurück.
»Hast du was gefunden?«, fragte Lundquist neugierig und schaute, froh über die Störung seiner unerfreulichen Gedankengänge, auf den Monitor.
»Gunnar Thaisen ist gar kein gebürtiger Däne. Er stammt aus Schweden. Hier ist ein unklarer Vermerk – irgendwie wurden seine Daten von der Behörde verändert.«
Lars hämmerte ekstatisch auf die Tastatur.
»Sieht so aus, als hätte er seinen Namen ändern lassen.
Ich komme hier nicht rein. Das sind geschützte Dateien. Verschlüsselt abgelegt, nur mit Passwort zu erreichen. Ich bin kein Hacker, also werden wir morgen die Kollegen von der Meldebehörde um Auskünfte bitten müssen. Das eine Formular, das ich gefunden habe, ist jedenfalls die Bestätigung einer Abmeldung aus Schweden mit dem Hinweis auf einen Umzug nach Dänemark. Eine neue Adresse ist allerdings nicht angegeben.«
»Vielleicht wusste er noch nicht genau, wohin er ziehen wollte.«
»Das kann gut sein. Diese Anmeldebescheinigung ist von 1977, also zweiunddreißig Jahre alt und wurde für ein Kind ausgestellt mit Geburtsdatum 12.07.1967. Da war der Junge gerade mal zehn Jahre alt. Wahrscheinlich also eine Entscheidung der Familie – er wurde bestimmt nicht gefragt, ob er damit einverstanden war.«
Sven stützte seinen rechten Arm auf der Hüfte ab. Das tat er in der letzten Zeit öfter, hatte sein Freund Lars beobachtet, der als einziger in der Abteilung von Lundquist Erkrankung wusste.
Besorgt zog er eine Augenbraue in die Höhe.
»Ich verstehe nur nicht, warum diese Dokumente verschlüsselte Teile haben«, sagte Lundquist. »Was ist schon so geheim daran, wenn eine Familie nach Dänemark umzieht?«
»Das muss bis morgen warten, Sven. Haben die Kollegen inzwischen die Familie ausfindig gemacht?«
»Nein. Offensichtlich ist keiner zu Hause. Ich habe mir von der Autovermietung seine Telefonnummer geben lassen und es auch probiert. Aber es geht nur der Anrufbeantworter dran. Ich habe hinterlassen, man möchte uns bitte zurückrufen, es sei wichtig. Schließlich kann ich ja wohl kaum was von einer Leiche in einer Kirche erzählen.«
»Aber hier, sieh mal. Die Suchmaschine hat eine Computerfirma gefunden, die einem Gunnar Thaisen gehört. Vielleicht ist das ja unser Gunnar.« Lundquist trat hinter ihn und schaute auf die Homepage einer Firma, die für ihren Softwareservice warb und behauptete, eine an jeden Bedarf anpassbare Software entwickeln zu können, die sowohl für PC wie auch Apple zur Verfügung stünde. Außerdem bot die Firma die Erstellung und Wartung professioneller Websites sowie Komplettlösungen mit Hardware an.
»Schluss für heute. Das können wir morgen überprüfen. Grüße an Gitte!«
Lundquist griff nach seinem Mantel, den er über die Lehne seines Stuhls geworfen hatte.
»Warte. Ich nehme dich mit!«, rief Lars Knyst und fuhr den Rechner runter.
»Mann, es ist ganz schön aufregend Vater zu werden, das kann ich dir sagen!«, sprudelte Lars im Wagen heraus.
»Das ist noch gar nichts«, sagte Sven Lundquist mit sonorer Orakelstimme. »Die meisten Probleme kommen erst nach der Geburt – und dann begleiten sie dich ein Leben lang. Lass dir das von einem erfahrenen Vater gesagt sein.«
»Sprechen wir über durchwachte Nächte, zahnende Babys und Windeln, die zu wechseln sind?«
»Nicht unbedingt. An kurze Nächte bist du doch schon berufsbedingt gewöhnt. Das dürfte dir doch wenig ausmachen. Nein, ich dachte dabei eher an die spannende Zeit der heraufziehenden Trotzphasen, die dann irgendwann in die lang andauernde Dauerstressphase münden, die allgemein als Pubertät bezeichnet wird.«
»Da haben wir wohl beide noch ein paar Jahre Zeit. Bis dahin können wir uns ja locker auf diese Herausforderung einstellen.«
»Ich glaube nicht, dass man das kann. Eine Bekannte erzählte mir, dass sich ihre fünfzehnjährige Göre zum Kiffen und Saufen mit Freunden trifft. Sie klettert einfach nachts aus dem Fenster und ist weg. Die Mutter ist völlig ratlos, weiß nicht, wie sie das abstellen soll. Jede Nacht sitzt sie schlaflos im Wohnzimmer, verfolgt von der Vorstellung ihre Tochter läge irgendwo bewusstlos in der Kälte am Straßenrand, würde in vollkommen desorientiertem Zustand Opfer einer Vergewaltigung oder gar ermordet. Die Mutter durchlebt tausend Ängste – während sich die Göre in ihrer neu gewonnenen Macht sonnt und kräftig auftrumpft. Unsere niedlichen Kleinen lernen im Lauf der Zeit, tiefe Verletzungen auszuteilen. – Wenn ich ehrlich bin, graut mir davor.«
Lundquist sah in das Dunkel hinaus. Lisa war sein einziges Bindeglied zu Anna. Wenn sie sich von ihm abwenden würde – nein, daran mochte er lieber nicht denken.
Sie hatten noch so viel Zeit.
Die müssten sie eben gut nutzen.
»Ostern werdet ihr schon zu dritt feiern. Schöne Vorstellung, nicht?«, versuchte Sven Lundquist sich abzulenken.
»Frühlingskinder sollen ja auch die intelligenteren sein«, grinste Lars. »Aber ehrlich gesagt, wenn ich mir vorstelle, dass ich dann praktisch nie mehr allein bin: Das ist schon komisch. Wahrscheinlich muss ich, wenn ich mich mit Gitte unterhalten will, einen Termin ausmachen, an dem das Kind schläft. Sie liest schon seit Monaten nur noch pädagogische Bücher und erklärt mir ständig, was ich tun darf und was nicht. Manchmal nervt das ganz schön.«
»Das sind die Hormone, Lars. Außerdem will sie natürlich auf keinen Fall einen Fehler machen. Mit der Zeit beruhigt sich das wieder – spätestens, wenn ihr eine Großfamilie geworden seid«, sagte er und grinste breit zu ihm rüber.
»Na, na. Jetzt lass uns erstmal diese Schwangerschaft beenden«, wiegelte Lars