Der Serienmörder von Paris. David King

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Der Serienmörder von Paris - David  King

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16. März 1942 verhaftet, das insgesamt vierte Mal in Folge von Drogendelikten. Zweimal war sie bislang schuldig gesprochen worden.

      Erneut vor Gericht gezerrt, gab Petiot offen zu, dass er Baudet von ihrer Sucht habe befreien wollen. Er hatte schon vier Rezepte für Heroin ausgestellt, und zwar unter dem von ihr angegebenen Namen Raymonde Khaït (den Nachnamen hatte sie sich von ihrem Stiefvater „ausgeliehen“). Wie er weiter aussagte, verweigerte er zusätzliche Rezepte und schlug stattdessen ein Sedativum vor. Es könne dann doch wohl kaum seine Schuld sein, wenn die Patientin gemeinsam mit einem ihrer Geliebten, einem gewissen Daniel Desrouët, versuchte habe, das Rezept zu fälschen.

      Beweise für eine Mitwisserschaft Petiots bei der Fälschung lagen nicht vor, doch sein nächster Schachzug war mehr als überraschend und verursachte neue Komplikationen hinsichtlich einer gerechten Urteilsfindung. Einer Zeugenaussage von Raymondes Halbbruder Fernand Lavie zufolge, einem 36-jährigen Buchhalter der Polizeipräfektur, suchte Petiot dann das Haus ihrer Mutter, der 53-jährigen Marthe Antoinette Khaït, auf. Es lag in der Rue de la Huchette im Quartier Latin. Nachdem er das im selben Haus untergebrachte und von der Abwehr kontrollierte Cabaret El Djezair passiert hatte, betrat Petiot das Appartement und machte ihr wegen der Verfehlungen der Tochter schwere Vorwürfe. Anschließend bot er seine Hilfe an. Zuerst müsse man einen guten Rechtsanwalt verpflichten, und er sei bereit, für die Kosten aufzukommen.

      Der Arzt machte Madame Khaït den Vorschlag, sich selbst als Drogenabhängige auszugeben, um damit der Tochter eine lange Gefängnisstrafe zu ersparen. Die Behörden würden es sicherlich glauben, denn Raymonde habe der Polizei bereits berichtet, dass sie und die Mutter die verschriebenen Dosen, ausgestellt auf den Namen Khaït, untereinander geteilt hätten. Um diese Finte zu unterstützten, bot Petiot der Frau an, ihr ungefähr ein Dutzend Injektionen [wahrscheinlich Kochsalzlösung] in den Oberschenkel zu verabreichen, die im Fall einer medizinischen Untersuchung durch die Polizei den „eindeutigen“ Beweis der Sucht erbrächten. Wie Petiot versicherte, seien die Injektionen völlig harmlos.

      Khaïts Sohn war von dem Vorschlag schockiert. Unter keinen Umständen – das riet er der Mutter – solle sie sich für so ein Täuschungsmanöver hergeben. Allerdings hatte Petiot Madame Khaït dank seiner augenscheinlichen Großzügigkeit und Hartnäckigkeit bereits auf seine Seite gezogen. Nach so vielen Jahren, in denen sie die Tochter unterstützt hatte, würde sie auch in so einer Situation nicht von ihrer Seite weichen. Petiot und Khaït gingen daraufhin in das andere Zimmer. Wenige Minuten später verließ der Arzt die Wohnung.

      In dieser Woche, vermutlich ein oder zwei Tage später, kam ihr jedoch die späte Erkenntnis, das gemeinsame Täuschungsmanöver mit dem Ziel der absichtlichen Irreführung der Behörden nicht weiter verfolgen zu wollen. Khaïts Sohn hatte sie, wie auch ihr Mann und der Hausarzt Dr. Pierre Trocmé, der sich über das Verhalten des Kollegen zutiefst empörte, wegen der Mittäterschaft zurechtgewiesen. Zuerst konnte Trocmé gar nicht glauben, dass ein zugelassener Arzt solch einen Ratschlag gab. Er bedrängte Madame Khaït, den Vorfall der Polizei zu melden. Falls sie sich weigere, übernähme er es selbst.

      Nachdem sie dem Gatten erzählt hatte, dass sie Dr. Petiot aufsuchen wolle und danach den Anwalt ihrer Tochter, verließ Madame Khaït am 25. März 1942 um etwa 19 Uhr die Wohnung. Es würde nicht allzu lange dauern, meinte sie. Über die Absicht des Besuchs machte sie keine näheren Angaben. Sie nahm weder den Ausweis noch Lebensmittelkarten oder ihr Portemonnaie mit. Auf dem Herd köchelte das Abendessen in einem großen Topf.

      Am folgenden Morgen – Madame Khaït war noch nicht wieder zurückgekehrt – hatte ein Unbekannter zwei Briefe unter der Tür durchgeschoben. Der eine war an ihren Mann David gerichtet, einen jüdischen Schneider, und der andere an den Sohn Fernand. Beide waren angeblich von Madame Khaït verfasst worden. David öffnete den an ihn gerichteten Brief und las voller Überraschung:

      Mach dir um mich bitte keine Sorgen. Sag bitte niemandem etwas, und geh auf gar keinen Fall zur Polizei. Ich mache das alles nur im Interesse von Raymonde. Dr. Petiot hatte recht. Es ist besser, wenn die Polizei glaubt, ich sei eine Drogenabhängige. Ich bin nicht in der Lage, eine Vernehmung durchzustehen. Ich werde versuchen, in die unbesetzte Zone zu entkommen. Du kannst auch dieselben Mittel einsetzen, um mir zu folgen. Später wird Raymonde zu uns stoßen.

      Dann gestand sie – was ihr Gatte als sonderbar empfand –, schon seit Jahren schmerzlindernde Medikamente wegen eines Herzleidens genommen zu haben. Der an Fernand gerichtete Brief hatte einen ähnlichen Inhalt. Beide Briefe waren mit dem Schreiben im Fall von Van Bever nahezu identisch, denn sie enthielten ein Geständnis und eine Erklärung für das plötzliche Verschwinden (in beiden Fällen verschwanden die Personen schnell und ohne zu packen). Sogar die Methode und der Zeitpunkt der Zustellung waren nahezu identisch. (Beide Male gab die unterzeichnende Person ihren vollständigen Namen an.) Einige Experten würden später die Meinung vertreten, dass sich auch die Handschriften in graphologischer Hinsicht ähnelten und wahrscheinlich von ein und derselben Person stammten, doch diese Ansicht war anfechtbar.

      David Khaïts Auffassung nach schien es die Handschrift seiner Frau zu sein, woraufhin er schlussfolgerte, dass sie die beiden Briefe geschrieben hatte. Der Hund der Familie, der immer anschlug, wenn sich ein Unbekannter der Wohnung näherte, war ruhig geblieben. Sogar der widerspenstige Riegel an der Tür zum Hof hatte offensichtlich keine Probleme bereitet. Folglich musste eine mit dem Gebäude vertraute Person die Briefe gebracht haben. Khaït erinnerte sich zudem an die Verbitterung seiner Frau wegen der Drogenabhängigkeit Raymondes und an einige Gespräche, in denen sie die Überlegung anstellte, für die Zeitdauer des Prozesses in die freie Zone zu fliehen. Doch gleichzeitig wusste er, dass sie niemals Drogen genommen hatte.

      Am selben Morgen wurden Raymondes Rechtsanwalt, Maître Pierre Véron, zwei Briefe zugestellt. Beide – einer an ihn gerichtet, der andere an Raymonde – enthielten nahezu identische Informationen, verglichen mit den Schreiben an die Familie. Drei 100-Francs-Scheine lagen als Bezahlung dem Schreiben an den Rechtsanwalt bei.

      Das Hausmädchen, das sie entgegennahm, meinte, sie seien von Marthe Khaït abgegeben worden. Sie war sich sicher, da sie die Frau von früheren Besuchen her kannte. Später änderte sie ihre Aussage und behauptete, die Briefe seien von einer Frau gebracht worden, die Madame Khaït zum Täuschen ähnlich gesehen habe. Wie auch bei den zwei anderen Schriftstücken war der Ton eher formal gehalten. Darüber hinaus sprach sie kein Familienmitglied mit dem Kosenamen an. Auch hier konnten die Graphologen kein eindeutiges Ergebnis vorlegen.

      Und warum hätte Madame Khaït eigentlich überhaupt Dr. Petiot aufsuchen sollen? Wollte sie ihm erklären, dass sie bei der Täuschung der Behörden nicht mitmachte? Wollte sie bei Petiot das versprochene Geld für den Rechtsanwalt abholen, oder gab es einen anderen, bislang unbekannten Grund?

      Madame Khaïts Mann David wusste zuerst nicht, wie er sich verhalten sollte, gab dann aber der im Brief geäußerten Bitte nach und vermied die Polizei. Fernand benachrichtigte die Ordnungshüter erst am 7. Mai 1942. David Khaït hatte als Jude gute Gründe, den Kontakt zu den Behörden zu meiden, und suchte zuerst Petiot auf, der Madame Khaït am Tag der Verschwindens angeblich nicht gesehen hatte. Er beteuerte, er habe sie zuletzt bei dem Besuch im Appartement der Khaïts gesehen. „Ich weiß lediglich“, erzählte ihm Petiot in seiner Praxis, „dass sie sich in die unbesetzte Zone absetzen wollte.“

      Petiot meinte, ihr schon früher einen Kontakt vermittelt zu haben, um fliehen zu können. Während David Khaït wartete, nahm Petiot eine Postkarte und adressierte sie an einen gewissen „Monsieur Gaston – Plage, nahe Loupiac, Cantal“ im südwestlichen Frankreich. Dann kritzelte er einen Satz darauf: „Hast du schon die Reisegruppe gesehen, die ich zu dir schickte?“ Der Arzt frankierte die Karte und überreichte sie Khaït, der sie einwarf.

      Im folgenden Monat suchte David Khaït Petiot ein zweites Mal auf. Angeblich hatte der Doktor noch nichts von dem Kontaktmann gehört. Bei einer dritten Begegnung – und zwar Anfang Mai

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