Hilde Domin. Ilka Scheidgen

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Hilde Domin - Ilka Scheidgen

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und ich durfte studieren, was ich wollte. Jura, wie mein Vater, natürlich. Und dann durfte ich die Jura aufgeben und Volkswirtschaft und Soziologie studieren, Wissenschaften, die die Welt ›verändern‹.“

      So beschreibt Hilde Domin die vom Vater gewährte Freiheit in ihrem Aufsatz „Mein Vater. Wie ich ihn erinnere“.

      Sie hat sich in ihrer Kindheit und Jugend nicht verbiegen müssen. Das natürliche Bedürfnis jeden Kindes nach Zuwendung und Bestätigung, nach Erprobung eigener Erfahrungen und Grenzen und nach Ausleben eigenständiger Gefühle wurde von den Eltern in ausreichendem Maße gewährleistet. Die Grundsteine für eine seelische Gesundheit wie Vertrauen, Dankbarkeit, Mut, Ehrlichkeit, die im Leben von Hilde Domin noch ganz entscheidende Schlüsselfunktionen einnehmen sollten, sind in ihrem Elternhaus gelegt worden.

      „In meinem Elternhaus habe ich das Urvertrauen bekommen“, sagt sie in unserem Gespräch, „das man als Kind bekommt oder nie. Und außerdem eine durch und durch demokratische Erziehung.“

      Das Temperament eines „enfant terrible“, das gewesen zu sein sie behauptet, hat sie anscheinend von der Mutter geerbt. Jedenfalls sagt sie einmal, dass die Mutter „des Bombenwerfens fähig“ gewesen sei und auch schon mal – im Gegensatz zum Vater – zu Ungerechtigkeit. Dennoch vermittelte sie sowohl ihrer Tochter als auch dem Sohn das Gefühl, jeder von ihnen sei ihr Lieblingskind.

      Hilde Domin erinnert sich, dass sie ein zartes, von den Eltern behütetes, wenn nicht gar verzärteltes Kind gewesen ist. Als sie begann, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, fuhr die Mutter anfänglich mit der Straßenbahn neben ihrer Tochter her, aus lauter Sorge, dass ihr etwas passieren könne.

      Eugen Löwenstein unterstützte seine Frau in allem, was sie tat. Er bewunderte sie und sagte das auch ganz offen.

      So hat Hilde Domin ein harmonisches Elternhaus erfahren, ein gutes, tragfähiges und vertrauensvolles Zusammenleben der Eheleute, was sicher nicht unwesentlich zu ihrem eigenen Lebensmodell der Zweisamkeit mit ihrem Ehemann Erwin Walter Palm beigetragen hat, mit dem sie 56 Jahre lang glücklich verheiratet war.

      „Sie waren untrennbar“, sagt sie in der Erinnerung. „Alles haben sie gemeinsam getan und entschieden, wobei es oft die Mutter war, die mit ihrer Fantasie und ihrem Temperament die Impulse gab.“

      Die großbürgerliche, großräumige Wohnung in der Riehlerstraße 23 in Köln war und blieb für Hilde Domin das einzige wirkliche Zuhause. Alle späteren Wohnungen bezeichnet sie als „Fluchtwohnungen“.

      So passt es ins Bild, dass sie in ihrem einzigen Roman „Das zweite Paradies“, den sie kurz nach der Rückkehr nach Deutschland nach über 22-jährigem Exil schrieb und den sie als „Rückkehrerroman“ bezeichnet, auf den Zusammenhang von Zuhause und Kindheit hinweist. Sie verwendet als Motto ein Zitat von Ernst Bloch: „Was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

      Über das Zuhause, das fraglose, in der Kindheit, schreibt Hilde Domin in „Das zweite Paradies“:

      „Das Zuhause hat einem nicht weh zu tun wie ein hohler Zahn. Das Zuhause ist da, und man fühlt es nicht. Wenn man es erst fühlt und betastet, wenn man es erst in die Hand nimmt wie eine zerbrechliche Kostbarkeit, die gleich hinfallen kann – die auch vielleicht schon einmal geleimt wurde –, ist es mit dem Zuhause vorbei. Es ist etwas, was man abgenommen bekommt. Wenn man Glück hat, bekommt man es wieder, aber es ist zu viel Erstaunen dabei, als dass es ganz wirklich wäre. Als müsse man dauernd ›ich atme‹ denken. Das Atmen wäre dann kein Genuss. Das Trauma macht überempfindlich für die Freude.“

      Hilde Domin hat diesen Roman ihrer Mutter gewidmet mit den Versen:

       Mein Julilaub,

       mein Windschutz,

       meine Mutter.

      Ihrem Andenken

      Es mag erstaunen, dass es außer dieser einen Widmung für die Mutter, der Widmung ihres Essaybandes für beide Eltern und einem einzigen Widmungsgedicht für den Vater nur wenige Gedichte von Hilde Domin gibt, die sich mit diesen unvergessenen liebsten Menschen befassen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass, solange die Selbstverständlichkeit ihrer Präsenz, ihres Für-sie-Daseins gegeben war, Hilde Domin noch gar nicht die Dichterin Hilde Domin war, sondern noch Hilde Löwenstein und später, nach ihrer Heirat, Hilde Palm.

      Der Tod ihrer Mutter stürzte Hilde Palm in eine tiefe Krise, die sie an den Rand eines Selbstmords brachte. Über die näheren Umstände berichtet sie mir Folgendes: „Meine Mutter war 1947 aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt zu meinem Bruder, der in Oberammergau lebte. Sie war amerikanische Staatsbürgerin geworden. Damals gab es ein Gesetz in Deutschland, dass Ex-Exilanten, die wieder in ihrer Heimat leben, der Pass nach fünf Jahren abgenommen wurde. Das hatte meine Mutter nicht gewusst und auch mein Bruder nicht bedacht. Der Verlust des amerikanischen Passes versetzte meiner Mutter einen schweren Schock. Sie wurde zuckerkrank. Ich erfuhr, dass meine Mutter sehr krank war und wollte ihr helfen, mit ihr in die Schweiz fahren, um sie zu beruhigen. Ich besorgte mir einen Ersatzpass für die Überfahrt. Aber ich hatte nicht genug Geld für die Reise, so dass ich Freunde um Geld bitten musste.“

      Als das Geld endlich kam, war es zu spät. Die Todesnachricht und das nötige Geld für die Reise kamen am selben Tag. „Meine Mutter starb, ohne dass ich sie noch einmal wieder sah. Aus Aufregung über den Verlust des Passes ist sie gestorben.“

      Die Lebenskrise, in die Hilde Palm dadurch geriet, war die Geburtsstunde der Dichterin Hilde Domin. Das Schreiben rettete ihr das Leben. Die Eltern waren beide tot, als Hilde Domin Gedichte zu schreiben begann. Ein Gedicht über die Mutter spricht in einer scheinbar grausamen Sprache, aus der man die Verzweiflung über die Sinnlosigkeit von Geborenwerden und Sterben herauszuhören meint.

       Geburtstage

       Sie ist tot

       heute ist ihr Geburtstag

       das ist der Tag an dem sie

       in diesem Dreieck

       zwischen den Beinen ihrer Mutter

       herausgewürgt wurde

       sie

       die mich herausgewürgt hat

       zwischen ihren Beinen

       *

       sie ist Asche

       *

       Immer denke ich

       an die Geburt eines Rehs

       wie es die Beine auf den Boden setzte

       Ich habe niemand ins Licht gezwängt

       nur Worte

       Worte drehen nicht den Kopf

       sie stehen auf

       sofort

      

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