Hilde Domin. Ilka Scheidgen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hilde Domin - Ilka Scheidgen страница 8
Natürlich begann damals auch dies andere Gefühl, das die beiden Studenten fortan begleiten sollte, das des Nicht-Heimisch-Seins.
Gewöhn dich nicht.
Du darfst dich nicht gewöhnen.
Eine Rose ist eine Rose.
Aber ein Heim
ist kein Heim.
Sag dem Schoßhund Gegenstand ab,
der dich anwedelt
aus den Schaufenstern.
Er irrt. Du
riechst nicht nach Bleiben…
Das wird aus der Rückschau gesagt. Aber sicher war es auch schon damals da, dieses Gefühl, wenn auch vielleicht noch sehr irrational. Denn sie waren ja jung, hatten ihre Zukunft vor sich liegen. Und die lag zunächst in der Fortsetzung ihrer Studien. Rom war für den Studenten der Archäologie der ideale Arbeitsplatz. Erwin Walter Palm liebte die Stadt, und natürlich liebte seine Lebensgefährtin Hilde sie auch.
In Italien zu leben war trotzdem nicht unproblematisch. Denn Mussolini war bereits an der Macht. Aber wenn man sich nicht um Politik kümmerte, hatte man in den ersten Jahren ihres Italienaufenthaltes nicht viel zu befürchten. Um diese Situation nicht zu gefährden, wandte sich Hilde Domin in ihren Studien von der Gegenwart ab und der Vergangenheit zu: Sie arbeitete über die Staatstheorie der Renaissance und promovierte über das Thema „Pontanus als Vorläufer von Machiavelli“.
Bereits ein halbes Jahr nach ihrer Abreise nach Italien erwies sich die Richtigkeit von Hilde Domins Ahnungen: Hitler hatte die Macht übernommen. Zu diesem Zeitpunkt erwogen sie und Erwin Palm, nach Spanien weiterzuziehen, da es sie intellektuell sehr verlockte. Dass daraus nichts wurde, weil man in Spanien ihre Abiturzeugnisse nicht anerkannte, erwies sich im Nachhinein als Glück. Sie wären sonst in den Bürgerkrieg geraten.
Eine Sorge ließ Hilde Domin nicht ruhen: die Sorge um ihre noch immer in Köln lebenden Eltern. In Briefen flehte sie sie so lange an („Ich kann nicht schlafen, solange Ihr in Deutschland seid“), bis sie sich tatsächlich zur Flucht entschlossen. Es war an ihrem 25. Hochzeitstag, als die Eltern über die Grenze nach Belgien gingen und dann nach England auswanderten, wo zwei Schwestern der Mutter, beide verheiratet mit Engländern, lebten.
1935 promovierte Hilde Domin bei Armando Sapori an der Universität von Florenz und hatte damit ihr Studium beendet. Ihr wurde von der Universität eine Dozentenstelle angeboten, die sie aber ausschlug, weil Erwin Walter Palm – nach seiner eigenen Promotion ebenfalls in Florenz (er promovierte über Ovid) – lieber in Rom seine Studien über römische Kunst und römische Mythologie fortsetzen wollte. Also kehrten sie gemeinsam nach Rom zurück.
Hilde stellte erst einmal ihre eigenen beruflichen Wünsche einer wissenschaftlichen Laufbahn hintan, um durch Sprachunterricht für ihrer beider Lebensunterhalt zu sorgen. Sie dachte damals, dass es nur eine kurze Übergangssituation wäre. Sie glaubte, dass Erwin sehr schnell berühmt werden würde, und wollte ihm gerne auf dem Weg dahin helfen und anschließend ihre eigenen Pläne verwirklichen.
1936 heirateten Hilde Löwenstein und Erwin Walter Palm in Rom. Im Konservatorenpalast auf dem Kapitol wurden sie nach römischem Recht getraut. „Das war schon eine besondere Sache“, erzählt sie, „der Standesbeamte hatte die italienische Trikolore um den Bauch gewickelt und weihte mich, nachdem er die Trauungsformel aufgesagt hatte, in meine Pflichten als Ehefrau ein. Das war doch sehr viel anders, als man es sich in Deutschland hätte vorstellen können. Denn er schloss seinen Pflichtenkatalog mit der Bemerkung: ›e i bambini si vaccinano‹, was so viel heißt wie: ›Und die Kinder werden geimpft‹.“
Nach der Heirat bezogen die Palms ihre erste eigene Wohnung. Bisher hatten sie stets zur Untermiete gewohnt. Gemeinsam. Was damals nicht üblich war für ein unverheiratetes Paar. Aber um Konventionen scherten sie sich nicht, wenn es auch bedeutete, dass sie in die so genannten besseren Kreise nicht eingeladen wurden. Aber für sie zählte nur, dass sie zusammen waren.
Sie bezogen eine außergewöhnliche Wohnung auf dem Kapitol. In ihr hatte die berühmte Eleonora Duse gewohnt. Und entsprechend war die Wohnung noch ausgestattet: mit vielen Spiegeln in raffinierter Anordnung. Die Möbel kauften sie auf dem Campo dei Fiori, dem römischen Flohmarkt, und bei Trödlern, denn viel Geld hatten sie nicht. Von den Eltern bekamen sie Silber, Porzellan und Perserteppiche, die sie bei ihrer Flucht aus Deutschland gerettet hatten. Bald auch ließen sie sich ihre Bücher aus Köln, Heidelberg und Frankfurt nachschicken.
Es muss eine sehr hübsche Wohnung gewesen sein, in der sich das junge Paar einrichtete. Einen schöneren Ausblick kann man sich kaum vorstellen als den auf Forum und Palatin und einen hundertjährigen Glyzinienbaum, der sich bis zur Terrasse ihrer Wohnung im vierten Stock empor rankte. Sie verlebten dort eine glückliche Zeit und wären freiwillig aus Rom wohl nie weggegangen.
Erwin schrieb wissenschaftliche und zunehmend auch literarische Arbeiten. Er schrieb sie in italienischer Sprache, die sie beide inzwischen gut beherrschten. Und Hilde redigierte sie zusammen mit einem italienischen antifaschistischen Lehrer, der aus dem Schuldienst entlassen worden war. Mit einem Franzosen überarbeitete sie Erwins auf Französisch geschriebene religionswissenschaftlichen Aufsätze. Und zusätzlich gab sie Deutschunterricht.
„Wir lebten damals buchstäblich von der Sprache“, erzählt Hilde Domin. Und es begann damals, was sie später ihre „Sprachodyssee“ nennen sollte.
Zu jener Zeit wollten viele Italiener die deutsche Sprache erlernen, wodurch sie glücklicherweise keinen Mangel an Schülern hatte. Aber der Unterricht wurde sehr schlecht bezahlt. Von morgens acht bis abends acht mit einer nur kurzen Mittagspause gab sie stundenweise Sprachunterricht. Um das geringe Einkommen aufzubessern, vermieteten sie zwei Zimmer ihrer Wohnung an einen Junggesellen, der tagsüber in einem Büro arbeitete, so dass Hilde Domin diese Zimmer während seiner Abwesenheit für ihre Deutschstunden mitbenutzen konnte.
Im Parterre wohnte der russische Dichter Iwanow mit seiner Familie. Man nannte ihn den russischen Mallarmé. Und es war kein Wunder, dass sie sofort mit ihm Freundschaft schlossen. Auch mit seiner Frau, „Flamingo“ genannt, einer Art lebendem Lexikon, denn sie wusste auf alle Fragen der Philosophie – sie war Doktorin der Philosophie – Antwort zu geben. Gemeinsam tranken sie Tee, lasen Gedichte und diskutierten.
Doch ab 1936 wurde es fortschreitend schwieriger. Mussolini band sich immer enger an Hitler. Die Lage verschlechterte sich sichtlich nach dem Besuch Hitlers in Rom und der Bildung der „Achse Rom–Berlin“. Politisch einschneidende Ereignisse wie die Annektierung Österreichs und der Tschechoslowakei, der Abessinische Krieg und auch der Spanienkrieg hatten für die deutschen Emigranten spürbare Folgen. Erwins Arbeiten wurden nicht mehr in Italien gedruckt. Immer öfter stand die Polizei vor der Tür und kontrollierte die Papiere. Und sie bemerkten, dass ihre Wohnung beobachtet wurde. Um den Polizeikontrollen, die meistens am frühen Morgen stattfanden und einer möglichen Verhaftung zu entgehen, verließen Erwin und Hilde eine Zeit lang schon vor fünf Uhr die Wohnung, fuhren mit der Straßenbahn rund um Rom und frühstückten auswärts in einer Bar, um dann zurückzukehren und ihren Arbeiten nachzugehen. Natürlich war die Lage alles andere als gemütlich. Es wurde damit begonnen, deutsche Flüchtlinge auszuweisen und Hitlergegner, aber auch Hitleropfer, ins Gefängnis zu werfen.
Die Unsicherheit und Ungewissheit wurden immer größer. Lange war dieser