Hilde Domin. Ilka Scheidgen

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Hilde Domin - Ilka Scheidgen страница 6

Hilde Domin - Ilka Scheidgen

Скачать книгу

„Judesein ist, um es ganz deutlich zu sagen, keine Glaubensgemeinschaft für mich, keine Volkszugehörigkeit … und natürlich keine Rassenfrage. Es ist eine Schicksalsgemeinschaft. Ich habe sie nicht gewählt wie andere Gemeinschaften, die dann zu Schicksalsgemeinschaften werden. Ich bin hineingestoßen worden, ungefragt wie in das Leben selbst. In das Leben hier in Deutschland, in diesem Jahrhundert, und als Kind meiner Eltern. Von einer Schicksalsgemeinschaft aber, wie immer sie auch zustande gekommen sei, kann sich der emanzipierte Mensch, der ›befreite‹, nicht drücken, die menschliche Solidarität gehört unabdingbar zu seinem Credo, ohne sie wäre er nichts als ein Objekt der Umstände… Mit seiner Zwangs- und Schicksalslage solidarisch zu sein (ohne sie wegzulügen, was eine andere Möglichkeit wäre), darin besteht das, was andere Zeiten die Menschenwürde nannten und was auch ich so nenne: das Unverlierbare, ohne das Leben sinnlos ist.“

      Und obwohl dieses „Judesein“ sie ihrer Heimat beraubte, sie zur „permanenten Flucht“ in ein 22-jähriges Exil zwang, bejaht Hilde Domin dieses ihr aufgezwungene Schicksal. Denn sie verdankt ihm Erfahrungen, die ihr sonst fremd geblieben wären. Ohne die sie nicht zur Dichterin des „Dennoch“ geworden wäre.

      Studienjahre

      N

      ach dem Abitur schien für Hilde Domin ein ganz normales Studentenleben seinen Anfang zu nehmen. Ostern 1929 ging sie in die Universitätsstadt Heidelberg und nahm das Studium der Jurisprudenz auf. Der Vater hatte ihr Heidelberg für das Jurastudium empfohlen, weil dort der von ihm hochgeschätzte Professor Gustav Radbruch lehrte. Ihre Mutter begleitete sie und war ihr bei der Suche nach einer Unterkunft behilflich.

      Auch wenn die Eltern ihre Tochter schon in Köln an langer Leine ihre Erfahrungen hatten sammeln lassen, so war das eigenständige, selbstverantwortete Dasein, das nun fern der Obhut der Eltern begann, doch etwas anderes. So glaubte die Mutter, vor ihrer Rückkehr nach Köln Hilde der Fürsorge ihrer Kusine empfehlen zu müssen, was Hilde nicht wenig entsetzte. Die mütterliche Fürsorge versiegte natürlich auch während ihrer Studienzeit nicht. Regelmäßig konnte Hilde ihre Wäsche nach Hause schicken und erhielt die Pakete nicht nur mit sauberer Wäsche, sondern immer noch zusätzlichen Geschenken in Form von Essen, Geld oder Süßigkeiten zurückgesandt.

      Heidelberg wurde für die Studentin Hilde Löwenstein die „geistige“ Stadt im Gegensatz zur „mythischen“ Stadt Köln, der Stadt ihrer Geburt und Kindheit. Bei Professor Radbruch hörte sie die Vorlesungen zur Einführung in die Rechtswissenschaft. Bei ihm lernte sie, juristische Probleme von verschiedenen Seiten zu betrachten, Position und Gegenposition zu beziehen.

      Dieses dialektische Denken als Grundausstattung floss später, als aus der Soziologin und politischen Wissenschaftlerin die Dichterin Hilde Domin wurde, auch in ihre Dichtung ein. Als Stilmittel für Gedichte postulierte sie das Paradox. Oder anders gesagt: Im Reflektieren über die entstandenen Gedichte erkannte sie, dass das Paradox ihr Hauptstilmittel war. Im Gedicht formuliert sich das Gegenteil vom Erwarteten. Die allgemeine Ansicht wird ad absurdum geführt. Und auch der Dichter selbst befindet sich in einer paradoxen Lage, indem er Dinge zusammenfügt im Fluss der Worte, die scheinbar nicht zusammengehören. Kennzeichnend in der Lyrik Hilde Domins war schon die Wahl des Titels für ihren ersten Gedichtband, der 1959 erschien: „Nur eine Rose als Stütze“. Ebenso paradox ist das Motto in diesem Band: „Ich setzte den Fuß in die Luft / und sie trug.“ Es war eine Antwort auf die paradoxe Behauptung des Dichters Lope de Vega aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts: „Dando voy pasos perdidos / por tierra, que todo es aire“, was übersetzt heißt: „Verlorene Schritte tu ich / auf Erden denn alles ist Luft.“

      Um den Tatbestand der Verwendung von paradoxen Aussagen bzw. Bildern zu illustrieren, sei das ganze Gedicht zitiert:

       Nur eine Rose als Stütze

       Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft

       unter den Akrobaten und Vögeln

       Mein Bett auf dem Trapez des Gefühls

       wie ein Nest im Wind

       auf der äußersten Spitze des Zweigs.

       Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle

       der sanftgescheitelten Schafe die

       im Mondlicht

       wie schimmernde Wolken

       über die Erde ziehn.

       Ich schließe die Augen und hülle mich ein

       in das Vlies der verläßlichen Tiere.

       Ich will Sand unter den kleinen Hufen spüren

       und das Klicken des Riegels hören,

       der die Stalltür am Abend schließt.

       Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.

       Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.

       Meine Hand

       greift nach einem Halt und findet

       nur eine Rose als Stütze.

      Doch schon bald fand Hilde in der Jura nicht mehr das, was sie wollte. Sie wollte sich in Wissenschaften heranbilden, die die Gesellschaft verändern helfen. Das waren in ihren Augen Nationalökonomie, Soziologie und Philosophie. Hochgemut, wie es das Privileg der Jugend ist, kehrte sie aus dem 2. Semester nach Hause zurück und verkündete: „Familiensachen interessieren mich nicht mehr. Mich interessiert nur noch die Menschheit.“

      Als ersten Schritt zu diesem Programm war sie Mitglied einer sozialistischen Studentengruppe geworden. „Das Kapital“ von Karl Marx und andere Werke über ökonomische Theorie gehörten zur ihrer Lektüre. „Ich informierte mich gründlich.“

      Die Eltern reagierten auf diese erneute Extravaganz ihrer Tochter großzügig. Während der Semesterferien hielt Hilde im Wohnzimmer in der Riehler Straße eine Arbeitgemeinschaft ab mit anderen Studenten und Arbeitern. Es wurde gemeinsam gelesen und natürlich diskutiert. Um nicht zu stören, überließen die Eltern ihr die Wohnung einmal in der Woche für diese Versammlungen.

      Ein Unfall zwang Hilde, ihr Studium in Heidelberg zu unterbrechen: Sie hatte sich eine schwere Verbrennung am Kopf zugezogen, als ihre Lockenwickler aus Zelluloid in Brand gerieten. Bis zur völligen Genesung studierte sie deshalb in Köln. Eine weitere kurze Station im Studium war Berlin, Ende 1930, Anfang 1931.

      Als linke Sozialdemokratin nahm sie aktiv teil am politischen Leben der letzten Jahre der Weimarer Republik. Hier hörte sie in der Hasenheide auf einer nationalsozialistischen Versammlung erstmals Hitler reden und erkannte als politisch geschulter Mensch sofort, was sich da zusammenbraute. Damals entschloss sich Hilde Domin, Deutschland zu verlassen, falls Hitler an die Macht käme. Frühzeitig ahnte sie voraus, dass dieser machtbesessene Mensch all das, was er in „Mein Kampf“ geschrieben hatte, auch wirklich durchführen würde. Man bezeichnete sie deshalb als Schwarzseherin und nannte sie „Kassandra“.

      Doch erst einmal konnte sie zum Sommersemester 1931 zum Studium nach Heidelberg zurückkehren. Es begann für sie die „große

Скачать книгу