Wirtschaft im Kontext. Oliver Schlaudt

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solchen, die vom Willen der anderen Akteure abhängen, von »Motiven, die ihrer Natur nach den seinigen identisch sind«. Diese Unterscheidung ändert sein Verhalten tiefgreifend, da er eine Erwartung über das Verhalten anderer ausbilden wird und weiß, dass dieses umgekehrt ihre Erwartungen über sein Verhalten widerspiegelt.40 Mit einem Wort: sein Verhalten wird strategisch.

      Die mathematische Theorie, die hier beispringt, ist die Spieltheorie oder Theorie der Strategiespiele, welche von Neumann schon in den 1920er Jahren ausgearbeitet hatte.41 Das Marktgeschehen stellt dabei das ›Spiel‹ dar, nämlich einfach ein regelgeleitetes Geschehen. Wo die Akteure Wahlmöglichkeiten haben, machen sie ›Spielzüge‹. Die festen Muster und Prinzipien ihrer Züge bilden ihre ›Strategie‹. Wie auch schon für den Begriff des rationalen Verhaltens gilt für den Begriff der Strategie, dass seine Anwendung nicht auf bewusst geplante Handlungen eingeschränkt ist. Auch das Verhalten eines seinem Instinkt oder seinen Affekten folgenden Akteurs wird als Strategie beschrieben. Dies ist insbesondere für die Anwendung spieltheoretischer Methoden in der evolutionären Forschung von Bedeutung.

      Das bekannteste Fallbeispiel einer spieltheoretischen Analyse stellt sicherlich das sogenannte Gefangenendilemma dar. Es ist zugleich aber auch ein problematischer Fall, der die Grenzen des individualistischen Ansatzes spürbar werden lässt, weshalb er von besonderem Interesse für uns ist. Das Gefangenendilemma wird uns insbesondere in der Frage des Umgangs mit öffentlichen Gütern wieder begegnen. Betrachten wir es hier schon näher.

      Das Gefangenendilemma handelt von zwei Verbrechern A und B, die sich von der Polizei haben schnappen lassen und nun – getrennt voneinander – verhört werden. Ihr Verhalten – Gestehen oder Leugnen – wird Konsequenzen für die zu erwartende Länge der Haftstrafe haben. Allerdings hängt der Urteilsspruch von beider Verhalten ab, womit die von von Neumann und Morgenstern beschriebene Situation prototypisch realisiert ist: jeder einzelne hat es mit einem Maximierungsproblem zu tun, über dessen Variablen er nur partiell Kontrolle ausübt, partiell aber auch andere Akteure (Maximierung des Nutzens heißt hier natürlich Minimierung der Haftzeit). Das konkrete Szenario ist folgendes: Es drohen jedem sechs Jahre Haft. ›Kooperieren‹ sie und schweigen beide, werden sie aufgrund der dünnen Beweislage jeweils zu drei Jahren Haft verurteilt. ›Defektiert‹ einer von beiden und gesteht, kommt er mit einem Jahr davon, während der andere die vollen sechs Jahre absitzen muss. Gestehen beide, müssen sie infolge immerhin nur vier Jahre einsitzen.

Das Gefangenendilemma:
A
gesteht schweigt
B gesteht je 4 Jahre 6 Jahre für A 1 Jahr für B
schweigt 1 Jahr für A 6 Jahre für B je 3 Jahre

      Die eigentliche Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die beiden Verbrecher ihr Verhalten nicht abstimmen können. So empfiehlt sich jedem, zu gestehen, weil man nur so unabhängig vom Verhalten des anderen die Höchststrafe vermeidet. Gesteht der andere ebenfalls, hat man die 4 Jahre abzusitzen, schweigt der andere, sogar nur ein Jahr. Da sich für beide die Situation gleich darstellt, sollten sie auch beide diese Option wählen und defektieren. Man spricht von einem (starken) Nash-Gleichgewicht: in diesem Zustand kann sich jeder der Spieler durch einseitige Strategieänderungen nur verschlechtern.42 Freilich gelangen die Spieler mit dieser rationalen Strategie zu einem pareto-inferioren Resultat, denn im Falle der Kooperation hätten sie beide besser dagestanden! Dies ist der Kern des Dilemmas: die aus je individueller Perspektive rationale Strategie führt zu einem für alle dürftigen Ergebnis. Hier trifft man auf ein ernsthaftes Problem individualistischer Rationalität.

      Entwickelt wurde die Spieltheorie übrigens als Analyseinstrument im Kalten Krieg. Erst vor diesem Hintergrund erhellt die Bedeutung der absoluten Nichtkommunikation zwischen den Gefangenen, die für die nuklearen Großmächte stehen. Das Nash-Gleichgewicht ist insbesondere also die theoretische Grundlage für das »Gleichgewicht des Schreckens«. Es ist interessant zu notieren, dass Nash in seiner Arbeit die Modellannahmen noch einmal gegenüber dem Ansatz von Neumanns und Morgensterns verschärfte. Während diese sich auch intensiv mit der Rolle von Koalitionsbildungen in Spielen mit mehr als zwei Spielern auseinandersetzen, schloss Nash diese ausdrücklich aus. Seine Spieler agieren vollkommen unabhängig, sie kennen weder Kommunikation noch Koalition. Dieses düstere Bild wurde tatsächlich erst in einem zweiten Schritt auf die Analyse der Wirtschafts- und schließlich auch anderer sozialer Prozesse übertragen, die mithin als eine Art verallgemeinerter Kalter Krieg verstanden wurden.

      Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, wie sich das Bild ändert, wenn das Spiel des Gefangenendilemmas über mehrere Runden gespielt wird, so dass die Spieler die Möglichkeit erhalten, auf das Verhalten des Mitspielers in der Vorrunde zu reagieren. Die optimale Strategie besteht darin, im ersten Zug Kooperationsbereitschaft zu signalisieren und sodann immer den Zug des anderen nachzuahmen, so dass seine Kooperation mit selbiger belohnt, die Defektion aber mit selbiger bestraft wird. Diese Strategie wird als TIT FOR TAT bezeichnet (etwa: »wie du mir, so ich dir«). Treffen zwei TIT FOR TAT Spieler aufeinander, erreichen sie tatsächlich das Paretooptimum. Aber selbst wenn der Mitspieler einer anderen Strategie folgt, bleibt der TIT FOR TAT Spieler nahe am optimalen Ergebnis. Er ist kein ›naiver‹ Kooperationspartner, dessen Strategie sich ausnutzen ließe.43 Es lässt sich zeigen, dass diese Strategie es zumindest im Ansatz erlaubt, die Entstehung kooperativen Verhaltens in einer rein egoistischen Umwelt zu verstehen. Dringt nur ein kleiner cluster von TIT FOR TAT Strategen in einer Population konsequenter Defektierer ein, kann er sich dort halten und entwickeln.44 Die Frage nach der evolutionären Entstehung von Kooperation und Institutionen ist heute ein zentrales Problem alternativer Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften. Wir werden darauf zurückkommen.

      Wir haben nun die Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften in ihren elementarsten Zügen kennengelernt. Es sticht in die Augen, dass sie das Marktgeschehen nach dem Vorbild eines physikalischen Geschehens konzeptualisieren. Diese Analogie wurde auch nicht erst im Rückblick von den Historikern der Ökonomie entdeckt. Vielmehr beriefen sich die Autoren der Grenznutzenschule in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausdrücklich auf die Physik ihrer Zeit, welche mit dem Energiebegriff gerade einen ihrer ergiebigsten Begriffe aus der Taufe gehoben hatte. Aus dieser Physik konnte sie insbesondere das Extremalprinzip übernehmen, wie es dem Pareto-Prinzip zugrundeliegt: sich selbst überlassene Systeme tendieren dazu, einen Zustand einzunehmen, in welchem eine charakteristische Größe einen Extremwert annimmt. Das Marginalprinzip schlägt die Brücke zur Mathematik, da es die Anwendung analytischer Methoden erlaubt. Damit können wir das Programm der Neoklassik endlich vollständig durch folgende drei Elemente beschreiben:

      1 Methodologischer Individualismus;

      2 Utilitarismus;

      3 Paradigma der energetischen, mathematischen Physik.

      Aus diesen drei Säulen ergeben sich auch die Züge, die die moderne Volkswirtschaftslehre charakterisieren und zunehmend infrage gestellt werden: mathematischer Formalismus, der Anspruch der Wissenschaftlichkeit gegen alle alternativen Ansätze, der zentrale Begriff des Nutzens, das Programm der Mikrofundierung, die Annahme exogener Variablen, insbesondere exogener Präferenzordnungen.45

      Wichtiger für unsere Fragestellung ist aber, welche Eigenschaften des Untersuchungsgegenstands,

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