Wirtschaft im Kontext. Oliver Schlaudt
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2.2.5 Werte und Preise: Das Marginalprinzip
Die Vorstellung vom Gütertausch zur wechselseitigen Nutzenmaximierung enthält implizit eine ökonomische Werttheorie. Die ältere Politische Ökonomie von David Ricardo bis Marx ging von einem (in bestimmtem Sinne) objektiven und den Gütern intrinsischen, nämlich durch die in der Produktion verausgabte Arbeit bestimmten Wert aus, der die Tauschproportionen und somit insbesondere die Preise bestimmte. In dem Bild des Tausches, wie wir es eben nachzeichneten, fehlt allerdings eine solche äußere Zwangsbedingung. Die Individuen tauschen in Proportionen, die sich allein aus dem Streben nach Nutzenmaximierung unter gegebenen Gütermengen und Präferenzordnungen ergeben. Man könnte sagen, an die Stelle des objektiven Werts sei die subjektive Wertschätzung getreten.
Erinnern wir uns daran, dass der Nutzen eines Gutes von der bereits im Besitz befindlichen Menge solcher Güter abhängt, nämlich jedes weiter hinzutretende Gut von geringerem Nutzen ist. Dieses Prinzip des Grenznutzens ist grundlegend für die neoklassische Ökonomie, auf ihm basiert insbesondere auch die neoklassische Theorie der Produktion und des Lohns (↓ 2.2.6, S. 31). Seine Stärke wird meist anhand des sogenannten Wertparadoxes aufgezeigt, welches in der merkwürdigen Tatsache besteht, dass ziemlich nutzlose Diamanten viel teurer sind als überlebenswichtiges Wasser. Das Paradox lässt sich durch das Marginalprinzip leicht auflösen: entscheidend für den Preis ist nicht der Nutzen, sondern der Grenznutzen, das heißt der Nutzen einer zusätzlichen Wareneinheit über den Bestand hinaus. Wasser ist (vielerorts, angeblich) in Hülle und Fülle vorhanden, Diamanten hingegen sind rar. Eine jeweilige zusätzliche Einheit wird daher anders bewertet, als es die praktische Bedeutung der Güterart erwarten ließ. Es ist freilich nicht so, dass die älteren Ökonomen diesem Paradox hilflos ausgesetzt waren. Das Paradox tritt im Gegenteil nur auf, wenn der ökonomische Wert durch den Gebrauchswert determiniert werden soll. Bei Ricardo oder Marx waren dies aber strikt unterschiedene Dimensionen. Gebrauchswert wurde zwar als Bedingung dafür betrachtet, dass sich ein Gut überhaupt verkaufen lässt, der Preis wurde aber als durch andere Größen bestimmt vorgestellt, nämlich durch die zur Herstellung notwendige Arbeitszeit.
Bleibt darzulegen, wie sich aus dem Marginalprinzip über die Marktpreise das konkrete Konsumverhalten ableiten lässt. Verfügt ein Marktakteur über eine gegebene Menge Geld und kann dafür in frei zu wählendem Verhältnis zwei verschiedene Produkte erstehen, wird er das Verhältnis so wählen, dass die beiden Gütermengen x und y zu identischen Grenznutzen für jede weitere ausgegebene Geldeinheit führen. Denn solange die Grenznutzen nicht dieselben sind, könnte der Akteur seinen Nutzen maximieren, indem er seinen Warenkorb zugunsten des Produkts mit höherem Grenznutzen umschichtet. Es stellt sich mithin mechanisch ein Gleichgewicht ein, in welchem das Verhältnis der Gütermengen x/y schließlich so bestimmt ist, dass das Verhältnis ihrer relativen Preise P (x)/P (y) für diesen Akteur gleich dem Verhältnis ihrer beider Grenznutzen MU (für marginal utility) ist:
MU(x)/P(x) = MU(y)/P(y) bzw. P(x)/P(y) = MU(x)/MU(y). (2 - 1)
So ergibt sich für das jeweilige Individuum der relative Preis zweier Güter genauer als das Verhältnis ihrer beider Grenznutzen. Diese subjektive Wertlehre macht die sogenannte Grenznutzenlehre aus, die in den 1870ern entstand und mit den Namen William Stanley Jevons, Léon Walras und Carl Menger verbunden ist. Die Attraktivität, die dieser Ansatz für die Ökonomen hat, beruht nicht zuletzt darin, dass das Marginalprinzip eine direkte Entsprechung in der mathematischen Ableitung hat, was es erlaubt, allen Sätzen dieser Theorie einen eleganten mathematischen Ausdruck zu geben.
2.2.6 Produktion und Löhne
Was auf dem Markt gekauft oder getauscht wird, muss freilich zuerst produziert werden. Hinter der neoklassischen Theorie der Produktion steht die Überlegung, dass sich der Produzent oder das Unternehmen im Grunde genau so verhält wie der Konsument auf dem Markt: er muss die sogenannten Produktionsfaktoren, welche er zur Produktion benötigt, (in der Regel auf Kredit) einkaufen – vor allem Maschinen (= Kapital, K) und Arbeit (L) – und diese sodann so ins Werk setzen, dass er seinen Profit maximiert. An die Stelle des Grenznutzens tritt die Grenzproduktivität. Die Grenzproduktivität ist der durch eine zusätzliche Einheit des Produktionsfaktors erzielte zusätzliche Output. Wie der Grenznutzen wird auch die Grenzproduktivität als eine fallende Funktion betrachtet: Bei konstanter Menge von Maschinen und Werkzeug nimmt der zusätzliche Output pro weiterem Arbeiter ab. Halten wir sogleich fest, dass die neoklassische Produktionstheorie im Grunde nichts über die Produktion verrät, beispielsweise was in der Produktion geschieht und wie der Wert entsteht. Sie ist eine reine Theorie der Ressourcenallokation.
Zwei Szenarien können nun diskutiert werden: (1.) Es steht eine gegebene Menge a einer Ressource zur Verfügung, und es ist zu bestimmen, wie diese zwischen verschiedenen Produktionszweigen, also verschiedenen Warenarten verteilt wird. (2.) Es steht in einem Produktionszweig eine Geldmenge zur Verfügung – die Investitionssumme –, und es ist zu bestimmen, wie diese optimal auf die verschiedenen, notwendigen Produktionsfaktoren verteilt wird. Ziel ist jeweils die Profitmaximierung. Das Ergebnis ist in beiden Szenarien im Grunde dasselbe. Bringt ein zusätzlicher Input von Faktor a im Produktionszweig x mehr als in y, wird er dorthin umgeschichtet, bis Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendeter Geldeinheit erreicht ist. Bringt im Produktionszweig x ein zusätzlicher Input von Faktor a mehr als einer von Faktor b, wird sich das Verhältnis zugunsten von a verschieben. Der erste Fall führt auf Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendete Geldeinheit desselben Faktors für verschiedene Waren, der zweite Fall umgekehrt auf Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendete Geldeinheit verschiedener Faktoren in der Produktion derselben Ware. Wie schon in der Markttheorie wird jeweils ein Pareto-Optimum erreicht und somit ein Gleichgewichtszustand, in welchem Rahmengrößen des Geschehens einen statischen Wert annehmen.
Wir werden nicht weiter in die technischen Details eindringen. Notieren wir als wichtigstes Ergebnis, dass, wie der zweite Fall zeigt, im Gleichgewicht die Preise der Produktionsfaktoren schließlich ihrer jeweiligen Grenzproduktivität proportional sein werden. Dieses Ergebnis hat eine unmittelbare und konkrete Bedeutung, da sich die Ökonomen vor allem für die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit interessieren. Der Preis der Arbeit ist aber nichts anderes als der Lohn, und der Preis des Kapitals entsprechend der Lohn des Investors, also die Rendite. Die neoklassische Produktionstheorie erlaubt es also, die Aufteilung des erwirtschafteten Profits zwischen dem Kapitalisten und den Arbeitern abzuleiten. Die Abhängigkeit des Outputs von den Faktoren Kapital und Arbeit wird als Produktionsfunktion bezeichnet: