Wirtschaft im Kontext. Oliver Schlaudt
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Dieser subjektive Begriff des Nutzens, insbesondere des Grenznutzens, macht auch den Kern der neoklassischen Werttheorie aus (wie wir in Kürze genauer sehen werden). Wert, so könnte man sagen, wird nicht als etwas Objektives, vom Willen des Akteurs Unabhängiges betrachtet, sondern mit seiner ›Wertschätzung‹ in Zusammenhang gebracht.
Damit kommen wir zu der subtileren Seite der Nutzenmaximierung und des Wertbegriffs. Der subjektive Wertbegriff weist in der Tat eine Besonderheit auf, die sehr merkwürdig ist, weil man nicht so recht weiß, ob sie eine Stärke oder nicht vielmehr doch eine Schwäche darstellt. Es ist dies die Besonderheit, etliche Faktoren integrieren zu können. Die Stärke liegt darin, dass er auch suspektere Regungen des Akteurs wie Neid oder Zuneigung integrieren kann. Ganz gleich, wie kompliziert und kapriziös die Präferenzstruktur eines gegebenen Individuums geartet sein mag, die gesamte Palette seiner Einstellungen kann in den subjektiv gefassten Begriff des Werts integriert werden. Bietet er auf einer Auktion nur, weil er weiß, dass dies einen Nebenbuhler ärgern wird, so ist damit gleichwohl eine ökonomische Tat vollzogen, die den Preis beeinflussen wird und somit in den Wert eingeht, nicht aber in einer psychologischen Extratheorie behandelt werden muss. Wie wir allerdings schon sahen, werden dem homo œconomicus diese suspekten Neigungen untersagt. Seine Entscheidungen sind unabhängig vom Kontext, insbesondere von den konkurrierenden Akteuren und ihren Gütern.
Aus zwei Gründen, die beide für die Kritik der Neoklassik relevant sind, mag sich diese Stärke freilich als Schwäche entpuppen. Zum einen liegt in dieser integrativen Theorie die Gefahr einer Trivialisierung im Sinne einer empirischen Entleerung. Wir werden dies später in der Diskussion des Präferenzbegriffs genauer sehen (↓ 3.1.2, S. 54). Zum anderen unterbindet dieser Ansatz jede Möglichkeit, zwischen ökonomischem und anderem, nicht-ökonomischem Wert zu unterscheiden. Jede Form von Wert wird in der Mechanik des individualistischen Reduktionismus in eine subjektive Wertschätzung übersetzt, die – nach dem soeben dargelegten – in die subjektive Gesamteinstellung integriert wird, welche schließlich den ökonomischen Wert ausmacht. John Bellamy Foster vergleicht die Ökonomie mit der mythischen Gestalt des törichten Königs Midas, der sich vom Gott Dionysos ausbedang, dass alles, was er berühre, zu Gold würde – woraufhin er zu verhungern drohte. Ebenso könnten auch die Ökonomen nur schätzen, was ›zu Gold wird‹, nämlich in ökonomischen Wert übersetzt wird und sich in Geld messen lässt.22 Kritiker der Neoklassik zitieren an dieser Stelle gerne die Definition des Zynikers, welche Oscar Wilde 1892 der Figur des Lord Darlington in seinem Drama Lady Windermeres Fächer in den Mund legte:23
Cecil Graham: Was ist ein Zyniker?
Lord Darlington: Ein Mensch, der von allem und jedem nur den Preis kennt und nicht den Wert.
Leider vergessen es dieselben Kritiker, Cecils schlagfertige Antwort zu zitieren:
Cecil Graham: Und ein Romantiker, mein lieber Darlington, ist ein Mensch, der allem einen übertriebenen Wert beimißt, ohne sich je nach dem gängigen Preis für irgend etwas zu erkundigen.
Tatsächlich ist erst mit diesem Begriffspaar von Zyniker und Romantiker (cynic und sentimentalist) das Spannungsverhältnis hergestellt, in welchem sich die Diskussion um die Neoklassik in Wirklichkeit bewegt. Besonders deutlich wird sich dies in der Diskussion um die Bewertung von unbezahlter Arbeit und von Ökosystemen niederschlagen, wo die Gefahr des Sentimentalen in der Kritik des Zynischen überall mit den Händen zu greifen ist (↓ 4.3, S. 113, und 5.2, S. 138). Diese Spannung ist um so wichtiger zu registrieren, als wir sie nicht werden auflösen können.
2.2.4 Interaktion: der Markt
Spannend wird es eigentlich erst, wenn mindestens zwei der so bestimmten homines œconomici aufeinandertreffen und ein System wechselwirkender Teile bilden. Was wird nun passieren? Gemäß der methodologischen Prämisse muss dies allein aus den dürftigen Spezifizierungen des Rationalitätsaxioms vorhersagbar sein, wie sich auch die Gestalt des Sonnensystems aus den Eigenschaften der rotierenden Massen ableiten lässt.
Verfügen beide Akteure über eine gegebene Güterausstattung, so werden sie sehen, ob sie nicht ihr jeweiliges Wohlergehen durch entsprechend arrangierten Tausch verbessern können. Sie werden dies so lange verfolgen, bis eine Situation erreicht ist, in welcher sich keiner der Akteure mehr verbessern kann, ohne dass sich ein anderer verschlechtert. Denn so lange diese Situation nicht erreicht ist, gibt es Anreize für alle, zu tauschen, und sobald diese Situation erreicht ist, wird derjenige, der sich verschlechtern würde, den Tausch, der auf gegenseitigem Einverständnis beruhen muss, verweigern. Es ist eine Gleichgewichtssituation erreicht, so wie auch die Planeten schließlich stabile Umlaufbahnen erlangen. Das Gleichgewichtskriterium, dass sich niemand verbessern kann, ohne dass sich ein anderer verschlechtern würde, wird als Pareto-Optimum bezeichnet.
Gleichgewicht bedeutet in diesem Zusammenhang wohlgemerkt nur, dass bestimmte Variablen einen konstanten Wert angenommen haben, nicht aber, dass das System stillsteht. Die Güter werden in der Regel ja verzehrt und stetig durch neue ersetzt. Im beschriebenen Optimum ist die Distribution der Güterarten über die Individuen lediglich eine konstante, aber die Güter fließen, wenngleich in fixierter Proportion. Auch bedeutet Optimum nicht, dass die Akteure nun zufrieden sind – der homo œconomicus ist prinzipiell nie zufrieden. Er befindet sich im Optimum lediglich in einer Situation, in welcher er sich nicht mehr kraft freien Tauschs verbessern kann. Gleiches gilt auch für jedes mechanische System: Stabilität – und im Grenzfall Stillstand – bedeutet nicht Abwesenheit von Kräften, sondern lediglich Kräftegleichgewicht. Stellt man eine Tasse auf den Tisch, zieht die Schwerkraft weiter an ihr, wird aber durch die elastischen Kräfte der belasteten (und unmerklich deformierten) Tischplatte konterbalanciert. Auch sollte betont werden, dass man nicht allgemein von ›dem‹ Pareto-Optimum sprechen kann. Abgesehen davon, dass es im Allgemeinen immer mehrere Optima gibt, gilt zudem, dass der optimale Endzustand jeweils relativ zum gegebenen Ausgangszustand bestimmt ist. Ein Pareto-Optimum ist der Idealzustand unter gegebener Ausgangsverteilung der Güter.
Der Markt als Ort des Güterverkehrs, wie er hier zugrundegelegt wurde, entspricht freilich nicht ohne Weiteres dem realen Markt, sondern ist vielmehr durch einige idealisierende Hauptannahmen charakterisiert:
1 vollständige Konkurrenz (perfect competition) mit atomisierter Marktstruktur (keine Monopole);
2 Markttransparenz, d. h. vollständige Information (perfect information) der Marktteilnehmer über Angebot, Nachfrage, Qualität usw.;
3 vollständige Verträge (complete contracts), in welchen alle Bedingungen spezifiziert sind.
Diese Idealisierungen werden explizit und in vollem Bewusstsein als solche gesetzt. Auch sind Idealisierungen in allen empirischen Wissenschaften gang und gäbe. Diese Stelle der Theorie ist also weder für eine innerdisziplinäre noch eine philosophische Kritik sehr aufregend. Für unser Anliegen sind diese Idealisierungen interessant, sofern sie eine Grenzfläche verdecken. Unvollständige Information beispielsweise kann ein Ausdruck und Mittel von Machtungleichheiten sein. Der Begriff der Machtverhältnisse ist aber ein soziologischer, und in diesem Sinne verdeckt die Fiktion des perfekten Marktes eine Grenze zur Gegenstandssphäre der soziologischen Untersuchung (dazu später mehr, ↓ 3.4, S.