Ausgewählte Briefe. Gregor der Große
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Briefe - Gregor der Große страница 6
Deßhalb bekam auch der Priester beim Opfer das losgetrennte rechte Schulterstück des Opferthieres, 35auf daß seine Handlungsweise nicht bloß nutzbringend sei, sondern vor der Anderer Etwas voraus habe und er nicht bloß im Gegensatze zu den Bösen das Gute thue, sondern an die rechtschaffenen Untergebenen so sehr durch tugendhaften Wandel übertreffe, wie er sie an Würde und Weihe überragt. Auch wird ihm mit dem Schulterstück die Brust des Opferthieres zur Mahlzeit gegeben, damit er an sich selbst das seinem Schöpfer opfere, was er nach dem Gesetz von dem Opfer zu nehmen hat. Nicht nur gute Gedanken sollen seine Brust bewegen, sondern er soll auch Alle, die ihn sehen, durch die Werke feiner Hände, die durch das Schulterstück angedeutet werden, nach oben lenken. Er verlange und fürchte Nichts, was nur auf das vergängliche Leben Bezug hat; er verachte die Schmeicheleien der Welt im Hinblick auf den innern Richter, ihre Schrecken aber im Hinblick auf die Süßigkeit des innern Trostes. Und auf beiden Schultern wird nach Gottes Befehl36dem Priester das Schulterkleid angeheftet, damit er bei Glück und Unglück den Schmuck der Tugend als Schild gebrauche und so nach dem Worte des Apostels Paulus „nach rechts und links mit den Waffen der Gerechtigkeit"37gerüstet einherschreite, allein nach dem strebend, was vor ihm liegt, und in keiner Weise niedriger Lust sich zuneigend. Das Glück soll ihn nicht stolz machen, das Unglück nicht in Verwirrung bringen, Angenehmes soll ihn nicht verweichlichen, ein hartes Loos nicht zur Verzweiflung führen, und so, keine Leidenschaft die Seele beugend, soll er die Schönheit des Schulterkleides auf beiden Schultern den Menschen zu schauen geben.
Nicht ohne Grund war befohlen, daß das Schulterkleid aus Gold, Hyacinth, Purpur, zweimal gefärbtem Carmosin und gezwirntem Byssus verfertigt werde,38um nämlich dadurch anzuzeigen, mit wie mannigfachen Tugenden der Priester geschmückt sein müsse. Im hohenpriesterlichen Gewande erglänzt vor Allem das Gold, weil der Priester durch Verstand und Weisheit hervorragen muß. Hyacinth, dessen Farbe himmelblau, findet sich daran, weil der Priester durch Alles, was er im Verstande erfaßt, sich zur Gottesliebe erheben, aber nicht nach Menschengunst trachten soll, damit er nicht, indem er unvorsichtig sich vom Lobe einnehmen läßt, sogar das Verständniß der Wahrheit verliere. Dem Gold und Hyacinth ist Purpur beigemischt, weil im Herzen des Priesters, der die höchsten Wahrheiten zu verkündigen hat, keine lasterhaften Einflüsterungen Gehör finden dürfen, sondern gleichsam mit königlicher Macht sogleich zum Schweigen gebracht werden müssen, damit er den Adel seiner geistigen Wiedergeburt immer im Auge habe und sein Erbrecht zum Himmelreiche durch seine Tugenden sich wahre. Von diesem Geistesadel sagt Petrus: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priesterthum." 39Welche Kraft zur Unterdrückung böser Neigungen wir aber besitzen,versichert uns Johannes, indem er spricht: „Denjenigen aber,die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden.“40 Zum Golde, dem Hyacinth und dem Purpur kommt zweimal gefärbter Carmosin, weil vor den Augen des innern Richters alle Tugendwerke erst durch die Liebe ihren Werth bekommen und Alles, was vor den Menschen ein schönes Aussehen hat, vor dem Angesichte jenes verborgenen Richters mit der Flamme herzlicher Liebe brennen muß. Weil die Liebe in ihrer Beziehung auf Gott und den Nächsten eine doppelte ist, so erglüht auch der Carmosin in doppelter Färbung. Wer also über der Gottesliebe die Sorge für den Nächsten vernachlässigt oder mit dieser letzteren sich so zu thun macht, daß er dadurch in der Liebe Gottes lau wird, der versteht es nicht, weil er Eines von Beiden vernachlässigt, als Schmuck des Schulterkleides den doppelt gefärbten Carmosin zu tragen. Wenn aber die Seele sich bestrebt, das Gebot der Liebe zu erfüllen, so erübrigt noch ohne Zweifel, daß auch das Fleisch durch Enthaltsamkeit abgetödtet werde. Deßhalb kommt zum zweimal gefärbten Carmosin der gezwirnte Byssus, der sehr schön aus der Erde hervorsproßt.41Was bedeutet er anders als die Keuschheit, den blendend weissen Schmuck körperlicher Unversehrtheit? Gezwirnt ist er in den Schmuck des Schulterkleides verwoben, weil nur dann die Keuschheit zum vollen Glanze der Reinheit gelangt, wenn das Fleisch durch Enthaltsamkeit gezügelt wird. Wenn nun zu den übrigen Tugenden auch das Verdienst leiblicher Abtödtung kommt, so erglänzt gleichsam der gezwirnte Byssus am Schulterkleide in verschiedenen Farben. Wenn ich ferner die Pflicht des Hirten, da zu reden, dort zu schweigen, erwäge, so bemerke ich mit Furcht, wie nothwendig es sei, daß er vorsichtig im Schweigen und nutzbringend im Reben sei, damit er nicht schweige, wo er reden, und rede, wo er schweigen soll. Denn wie unvorsichtiges Reden zu Irrthum führt, so überläßt unzeitiges Stillschweigen Jene beim Irrthum, die man hätte belehren können. Oft scheuen sich ja sorglose Seelenhirten, die Wahrheit freimüthig auszusprechen, weil sie sonst die Gunst der Menschen einbüßen könnten, und bewachen so die Heerde, wie die ewige Wahrheit selbst sagt, nicht mit Hirtensorgfalt, sondern nach Art der Miethlinge, weil sie den Wolf kommen seben und fliehen, indem sie sich in Stillschweigen hüllen. Deßhalb tadelt sie der Herr durch den Propheten als „stumme Hunde, die nicht bellen können.”42Darum klagt er an einer ändern Stelle: „Ihr erhebet euch nicht zum Widerstand und setzet euch nicht zur Mauer für das Haus Israel, um fest zu stehen im Streite am Tage des Herrn.“43 „Sich zum Widerstand erheben” heißt, zur Vertheidigung ber anvertrauten Heerde mit freimüthigem Worte der weltlichen Macht entgegentreten. „Am Tage des Herrn aber im Streite fest stehen heißt, aus Liebe zur Gerechtigkeit ungerechten Gegnern Widerstand leisten. Wenn ein Hirte sich fürchtet, die Wahrheit zu sagen, was ist das Anderes, als die Flucht ergreifen durch eben dieses Stillschweigen? Wer aber für seine Heerde sich der Gefahr aussetzt, der setzt sich als Mauer für das Haus Israel den Feinden gegenüber. Darum wird dem sündhaften Volke gesagt: „Deine Propheten erschauten Dir Lüge und Thorheit und enthüllten Deine Missethaten nicht, Dich zur Buße zu bewegen.“44 Die Lehrer werden nemlich in der hl. Schrift bisweilen Propheten genannt, weil sie auf die Vergänglichkeit der gegenwärtigen Dinge hinzuweisen und die Zukunft zu enthüllen haben. Sie wirft ihnen vor, daß sie Lüge erschauen, weil sie sich fürchten, die Sünden zu strafen und mit eitler Beruhigung dem Lasterhaften schmeicheln. Sie decken die Ungerechtigkeit der Sünder nicht auf, weil sie jedes Wort des Tadels unterlassen. Die Strafrede ist der Schlüssel, der die Einsicht in eine Sünde erschließt, die oft Derjenige selbst nicht erkannte, der sie beging. Darum sagt Paulus: „Er soll im Stande sein, in der gesunden Lehre zu unterrichten und die Widersprecher zu widerlegen.” 45Und Malachias: „Die Lippen des Priesters sollen die Wissenschaft bewahren, und das Gesetz soll man holen aus seinem Munde; denn ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist er.“46 Und der Herr ermahnt durch Isaias: „Rufe ohne Aufhören, wie eine Posaune erhebe deine Stimme!”47Ein Heroldsamt hat nämlich übernommen, wer immer zum Priesterthum emporgestiegen ist; denn rufend geht er der Ankunft des Richters vorher, der vom Schrecken begleitet ihm nachfolgt. Wenn der Priester aber nicht zu predigen weiß, welche Stimme wird er als stummer Herold von sich geben? Darum ließ sich der hl. Geist in Zungengestalt auf die ersten Hirten nieder; augenblicklich machte er beredt, die er erfüllt hatte. Aus demselben Grunde würde dem Moses empfohlen, daß der Hohepriester bei seinem Eintritt in das hl. Zelt von Glöckchen umgeben sei. Dieß bedeutete, daß der Priester zu predigen verstehen müsse, damit er nicht den vom Himmel blickenden Richter durch sein Stillschweigen beleidige. Denn es steht geschrieben: „Sein Schall werde gehört, wenn er aus- und eingeht im Heiligthume, damit er nicht sterbe.“48 Der Priester stirbt bei seinem Eintritt oder Austritt, wenn man keinen Schall von ihm hört, weil er den Zorn des verborgenen Richters sich zuzieht, wenn er ohne den Schall der Predigt einhergeht. Bedeutungsvoll wird beschrieben, daß die Glöckchen an seinen Kleidern befestigt waren. Denn was Anderes als die guten Werke haben wir unter den Kleidern des Priesters