Ausgewählte Briefe. Gregor der Große

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Ausgewählte Briefe - Gregor der Große Die Schriften der Kirchenväter

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des Priesters zugleich mit dem Schall seiner Stimme den Weg des Lebens verkündigen sollen.

      Aber auch Dieß ist in Erwägung zu ziehen, wenn der Seelenhirte zu reden sich anschickt, mit welch sorgsamer Vorschrift er zu reden habe, damit er nicht, wenn er vom ungeordneten Redestrom sich fortreissen läßt, die Herzen der Hörer in schädlichen Irrthum führe und das Band der Einheit unweise zerrisse, während er vielleicht als Weiser erscheinen möchte. Mit Bezug hierauf sagt ja die ewige Wahrheit: „Habet Salz in euch und Frieden unter einander!“50Das Salz bezeichnet nämlich die Weisheit des Wortes. Wer daher mit Weisheit reden will, muß sich sehr in Acht nehmen, daß er nicht durch seine Rede bie Einigkeit unter seinen Zuhörern störe. Aus diesem Grund mahnt Paulus: „nicht höher zu denken, als sich geziemt, sondern bescheiden zu denken.”51Deßhalb wechselten nach göttlichem Befehl an dem hohepriesterlichen Gewande Granatäpfel mit den Glöckchen ab. Denn die Granatapfel bedeuten die Einheit im Glauben. Wie bei dem Granatapfel eine äussere Rinde viele Kerne im Innern umschließt, so umfaßt die Einheit im Glauben der hl. Kirche die unzähligen Völker, die innerlich durch ihre verschiedenartigen Verdienste mit einander verbrüdert sind. Dann also lassen wir die Glöckchen mit Granatäpfeln abwechseln, wenn wir bei Allem, was wir sagen, die Einheit im Glauben behüten.

      Wenn ich dann zu erwägen suche, wie der Seelenhirte beschaffen sein müsse in Bezug auf das Mitleid gegen den Nächsten und in Bezug auf die Betrachtung, so finde ich, daß er Allen ber Nächste sein müsse durch mitIeidige Liebe und mehr als Alle der Betrachtung ergeben. Denn mit einem Herzen voll Liebe muß er die Schwachheit der Andern auf sich nehmen und durch erhabene Beschauung sich im Verlangen nach der unsichtbaren Welt über sich selbst erheben, damit er nicht Hohes erstrebend die Schwachheit des Nächsten verachte oder bei der Herablassung zu dem Elend des Nächsten das höhere Streben aufgebe. So wurde Paulus in das Paradies geführt und erforschte des dritten Himmels Geheimnisse, und doch gibt er diese Betrachtung himmlischer Dinge auf und richtet sein Augenmerk auf das Ehebett fleischlicher Menschen. Und obwohl die Ehe nur heilig ist im Hinblick auf die Kindererzeugung, so läßt er doch auch der Fleischeslust einigen Spielraum, indem er spricht: „Um die Unzucht zu meiden, habe Jeder sein Weib, und eine Jede habe ihren Mann.“52 Siehe, schon war er in die himmlischen Geheimnisse eingeweiht, und doch beschäftigt er sich aus herablassender Liebe mit dem Ehebette fleischlicher Menschen, und dasselbe Geistes-Auge, das er entzückt zu den unsichtbaren Dingen erhebt, senkt er herab zu den Geheimnissen der Ehe. Bis über den Himmel erschwingt er sich in der Betrachtung, aber seine Sorgfalt ist nicht unbekümmert wegen des Ruhelagers der fleischlichen Menschen. Denn durch das Band der Liebe ist ihm das Höchste wie das Niedrigste nahe, und während er durch die Kraft des Geistes für sich selbst mächtig nach oben gezogen wird, läßt er sich gleichmüthig von der Liebe gegen Andere zum Niedrigsten herabführen. Gemäß dieser mitleidigen Liebe sagt er auch: „Wer ist schwach und ich bin es nicht mit ihm? Wer wird geärgert und ich entbrenne nicht darüber?”53 Ebenso: „Den Juden bin ich wie ein Jude geworden."54 Dieß behauptet er nicht, als wollte er den Glauben aufgeben, sondern indem er seine Liebe ausdehnte und die Ungläubigen gleichsam in seine eigene Person verwandelte, damit er an sich selbst erkenne, wie er Anderer sich erbarmen müsse, um ihnen leisten zu können, was er selbst in gleicher Lage wünschen würde, daß ihm geleistet würde. Darum sagt er auch: „Sei es, daß wir im Geiste entrückt sind, so ist es für Gott, oder sei es, daß wir nüchternen Sinnes sind, so ist es für Euch. 55 Denn er verstand es, sowohl durch die Betrachtung sich über sich selbst zu erheben, als auch herablassend sich seinen Zuhörern anzupassen. Deßhalb sah auch Jakob, als oben der Herr erschien und unten der Stein gesalbet wurde, die Engel auf- und niedersteigen, weil nämlich die ächten Prediger nicht nur in ihrer Betrachtung das heilige Haupt der Kirche, den Herrn selbst suchen, sondern auch zu seinen Gliedern in Barmherzigkeit sich herablassen. Deßhalb geht auch Moses im hl. Zelte öfters ein und aus und während er in demselben in Betrachtung versenkt ist, bedrängen ibn ausserhalb desselben die Angelegenheiten der Schwachen. Im hl. Zelte betrachtet er die Geheimnisse Gottes, ausserhalb desselben trägt er die Lasten fleischlich gesinnter Menschen. Auch nahm er in zweifelhaften Fällen immer zur Stiftshütte seine Zuflucht und berieth den Herrn vor der Bundeslade. Ohne Zweifel gab er hiedurch den Seelenführern ein Beispiel, wie sie bei jedem Zweifel hinsichtlich ihrer äussern Anordnungen sich im Innern wie in einem hl. Zelte sammeln und gleichsam wie vor der Bundeslade den Herrn berathen sollen, indem sie in innerer Sammlung über ihre Zweifel die Blätter des göttlichen Wortes befragen. Auch die Wahrheit selbst, die sich uns durch Annahme unsrer Natur offenbarte, vertiefte sich auf dem Berge in’s Gebet und wirkte Wunder in den Städten. Sie wollte dadurch den guten Seelenhirten den Weg zur Nachfolge bahnen, auf daß sie zwar in der Betrachtung das erhabenste Ziel anstreben, aber voll Mitleid die Bedürfnisse der Schwachen wahrnehmen sollen. Denn dann erbebt sich die Liebe wunderbar zur Höhe, wenn sie barmherzig sich an das Elend des Nächsten kettet, und durch dieselbe Kraft schwingt sie sich mächtig zur hochsten Höhe, durch die sie auch zur tiefsten Tiefe liebreich herniedersteigt.

      Aber bei dieser mitleidsvollen Liebe muß sich der Hirte so betragen, daß seine Untergebenen kein Bedenken tragen, ihm auch ihre geheimen Fehler anzuvertrauen, sondern wie zum Mutterherzen sollen die noch Schwachen, wenn sie den Sturm der Versuchung erleiden, zu seinem Herzen eilen und durch seine Ermahnung aufgerichtet mit Gebetsthränen hinwegwaschen, womit sie sich in Folge des Reizes der Sünde befleckt fühlen. Deßhalb befand sich vor der Tempelpforte das eherne Meer, d. h. das Waschbecken zur Handwaschung für die Eintretenden, von zwölf Rindern getragen, deren Kopf nach aussen sichtbar war, ihr Rücktheil aber verborgen. Denn was bedeuten diese zwölf Rinder als die Gesammtheit der Hirten? Von diesen sagt das Gesetz, wie Paulus anführt: „Du sollst dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbinden." 56Wir sehen von ihnen ihre äusseren Werke, aber es ist uns verborgen, was sie im geheimen Gerichte vor dem strengen Richter später erwartet. Wenn sie nun ihre herablassende Geduld den Bekenntnissen und der Tilgung der Sünden ihrer Mitmenschen zuwenden, — dann tragen sie gleichsam das Waschbecken vor der Tempelpforte, damit Jeder, der zur Pforte des ewigen Lebens eingehen will, dem Herzen des Hirten seine Versuchungen offenbaren und gleichsam in dem von Rindern getragenen Waschbecken von den Sünden in Gedanken oder Werken sich reinigen könne. Dabei kommt es nicht selten vor, daß auch des Hirten Seele durch dieselben Versuchungen belästigt wird, die er von Andern, um ihnen zu helfen, gehört hat; denn natürlich wird das Wasser des Beckens durch denselben Schmutz verunreinigt, den es an der Volksmenge getilgt hat, indem es den Schmutz Aller, die sich waschen, in sich aufnimmt, verliert es den Glanz der eigenen Reinheit. Aber davor darf der Hirte keine Scheu haben, — denn vor Gott, der Alles genau abwägt, entgeht er um so leichter der eigenen Versuchung, mit je größerer Barmherzigkeit er sich wegen einer fremden Versuchung abgemüht hat.57

      Wenn ich sodann erwäge, wie beschaffen der Seelenführrer sein müsse in Bezug auf Demuth und Strenge, so finde ich, daß er für die Rechtschaffenen ein demüthiger Bundesgenosse sein, den Lastern der Gottlosen aber mit eifernder Gerechtigkeit gegenüber stehen müsse. Den Guten soll er sich in Nichts vorziehen; wenn es aber die Sünde der Bösen erfordert, soll er sich der Gewalt seines Vorsteheramtes erinnern. Gegen die gut gesinnten Untergebenen zeige er sich ohne Rücksicht auf seine Würde als gleichgestellt, gegen die Fehler der Bösen erhebe er sich mit dem Eifer der Gerechtigkeit. Darum wollte Petrus, der nach Gottes Anordnung den obersten Rang in der hl. Kirche einnimmt, von dem rechtschaffenen Cornelius, der sich demüthig vor ihm niederwarf, keine übertriebene Ehrenbezeugung und erkannte ihn als Bruder an, indem er sprach: „Stehe auf, thue das nicht, auch ich bin ein Mensch.“58Als er aber den Ananias und die Saphira schuldig sah, zeigte er sogleich, wie weit er an Macht alle Andern überrage. Mit einem Worte raubte er ihnen das Leben, welches er durch Erleuchtung des hl. Geistes als schuldbar erkannt hatte; er erinnerte sich, daß er in der Kirche oberster Richter der Sünder sei, wovon er bei den rechtschaffenen Mitbrüdern Nichts zu wissen schien, obgleich ihm überreichlich Ehre erwiesen wurde. Hier verdiente die Heiligkeit der Handlungsweise gleichheitliche Betheiligung, dort erforderte der Eifer für die Gerechtigkeit Ausübung der Amtsgewalt. Deßhalb wußte Paulus Nichts von einem Vorzug vor wohlgesinnten Brüdern, da er sprach: „Wir wollen nicht Herrschaft ausüben über euern Glauben, sondern Mitbeförderer eurer Freude sein.”59Er fügt bei: „Denn ihr stehet

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