Christentum im Kapitalismus. Rainer Bucher

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Christentum im Kapitalismus - Rainer Bucher страница 3

Christentum im Kapitalismus - Rainer Bucher

Скачать книгу

nicht ist, ob die Kirchen und Religionsgemeinschaften das wollen, sondern wie sie sich darin und wie sie sich dazu verhalten?

      3.

      Souverän ist, wer sich nicht rechtfertigen muss, vor dem sich aber alle zu rechtfertigen haben.10 Absolute Souveränität kommt daher nur Gott zu. Denn auch der absolutistischste Herrscher hat seine eigene Rezeption nicht gänzlich in der Hand. Zu seinen Lebzeiten kann er nur den äußeren Gehorsam kontrollieren, nicht aber die innere Gefolgschaft, und stets muss er daher seinen Sturz fürchten. Nach seinem Tod aber kommt seine Herrschaft bei den nachfolgenden Generationen unter von ihm nicht mehr kontrollierbare Rechtfertigungshorizonte. In spätmodernen Zeiten mit ihren vielfältigen gesellschaftlichen Machtvektoren und Machtdispositiven gibt es absolute Souveränität sowieso nicht, wohl aber relative Souveränität. Irgendjemand steht, wie prekär und also vorläufig auch immer, an der Spitze der Rechtfertigungspyramide. Wer ist es aktuell?

      Souveräne Herrscher haben kein Interesse daran, besonders originell zu sein oder schwierig zu identifizieren. Sie müssen es auch nicht, sie wollen und müssen sich zeigen. Souveräne Herrschaft ist aufgespannt in der Polarität von alltäglicher Normalität einerseits, die sie bis an die Unsichtbarkeitsgrenze verschleiert, und ostentativer Sichtbarkeit andererseits, die sich demonstrativ inszeniert. Kommt souveräne Herrschaft unter Konkurrenzdruck, verschiebt sich das Gleichgewicht in der Regel in Richtung Sichtbarkeit. Die Kirchen, die katholische der Neuzeit ganz besonders, entwickelten – oder adaptierten – ausgefeilte Ikonographien, Orte, Strukturen der Sichtbarkeit ihrer Souveränität, das Papsttum in Rom etwa den Petersdom mit seiner Kuppelinschrift Mt 16,18 („Tu es Petrus …“) oder die Tiara, jene dreifache Papst-Krone als Symbol für den „Vater der Fürsten“, das „Haupt der Welt“ und den „Statthalter Jesu Christi“, oder, am anderen Ende der kirchlichen Pyramide, den innen dunklen, außen aber sehr sichtbar im Kirchenraum platzierten Beichtstuhl, der über das Seelenheil der Beichtenden entschied. Die modernen Staaten bedienten sich dann im entsprechenden Fundus der Religionen freizügig, die totalitären Staaten taten dies exzessiv – alle aber im Ganzen bis heute ausgesprochen erfolgreich.

      Auf weltpolitischer Ebene ist unschwer zu beobachten, wer die Nationalstaaten unter Druck setzt: die Macht der globalen Märkte und ihrer transnationalen Akteure. Es tobt ein veritabler Kampf. Die Staaten schließen sich denn auch in unterschiedlichsten Formationen zusammen, um in diesem Kampf überhaupt eine Chance zu haben. Dass der nationalistische Rechtspopulismus glaubt, dem globalisierten Finanz-Kapitalismus in einer Retro-Utopie11 entkommen zu können, ist nur einer seiner vielen Irrtümer. Der moderne Staat hatte die institutionalisierten Religionen ihrer Souveränität beraubt, der postmoderne Kapitalismus ist gegenwärtig dabei, nun seinerseits die Staaten ihrer Souveränität zu berauben. Das setzt die diversen älteren religionspolitischen Arrangements zwischen Staat und Kirchen nicht außer Kraft, aber untergräbt sie nach und nach und kontextualisiert sie neu.

      Der Kampf um die politische Macht zwischen den globalen Märkten und ihren globalen Akteuren einerseits und den Staaten und ihren Zusammenschlüssen andererseits mag – bei deutlichem Vorteil der Märkte – noch nicht definitiv entschieden sein. Es ist aber auch nicht so sehr dieser Kampf um die politische Vorherrschaft zwischen transnationalen Marktakteuren und den immer weniger souveränen Staaten, der die Stellung der Religionen untergräbt, es ist vielmehr der Kampf um die prägenden Prinzipien von Lebensführung und kultureller Formatierung der Gesellschaften. Dieser Kampf aber dürfte schon entschieden sein. Der Kampf um die Kultur, um die orientierenden Prinzipien der Lebensführung, um das, wonach sich alle richten und wogegen jene, die sich nicht danach richten wollen, opponieren müssen, diesen Kampf hat der globale Kapitalismus bereits gewonnen. Denn alle wollen, was er will, und sie wollen es unbedingt. Und wer etwas anderes will, muss sich gehörig rechtfertigen und wird unter diesem Rechtfertigungsdruck und angesichts der ziemlich aussichtslosen Position, in der er sich befindet, bisweilen gewalttätig.

      Bestimmt man den „Kultur“-Begriff nicht als emphatischen Begriff sich abgrenzender Selbstdefinition, sondern nüchterner als kritischen (Selbst-)Beobachtungsbegriff, mithin „als Kommunikation der Beobachtung der Form von Handlungen, Rollen und Systemen“12, und definiert man „Hegemonie“ als die weitreichende faktische Überlegenheit einer Größe gegenüber konkurrierenden, grundsätzlich gleichen gleichrangigen Größen im Feld, so dass diese anderen Akteure nur eingeschränkte Möglichkeiten besitzen, ihre eigenen Vorstellungen und Interessen durchzusetzen,13 dann kann dem Kapitalismus umfassende kulturelle Hegemonialität zugeschrieben werden.14 Kulturell imperial ist der Kapitalismus nach dieser Definition übrigens nicht. Er wäre es, wenn alternative Lebensentwürfe ihre Alternativ- und Gleichrangigkeitsansprüche mit den kapitalistischen Lebensführungsprinzipien nicht mehr länger aufrechterhalten könnten und ihre Chancenlosigkeit eingestehen müssten. Nicht zuletzt die meisten Religionen, aber etwa auch neomarxistische Konzepte sehen sich aber auf Augenhöhe mit der dominanten kulturellen Größe Kapitalismus. Ob sie es sind, mag hier erst einmal offenbleiben.

      Der Kapitalismus ist seit längerem mehr als nur eine spezifische Weise, die Ökonomie zu organisieren, weit mehr. Er soll hier, in Anschluss an eine Formulierung von Jean-Luc Nancy, als die „gewinnorientierte(.) Verwaltung der Welt“15 bestimmt werden. Klassische kapitalistische Prinzipien, wie etwa Ich-bezogene Wettbewerbsorientierung, umfassende Kommodifizierung und extrinsische Motivationsanreize, sind dabei aus dem schon länger kapitalistisch operierenden ökonomischen Sektor in die allgemeine Lebensführung und ihre gesellschaftlichen Manifestationen, also in die Kultur, gewandert. Man wird davon ausgehen müssen, dass der Kapitalismus zu einem hegemonialen kulturellen Muster menschlicher Existenz geworden ist.

      Er dominiert und determiniert mit seinen Mächten zunehmend nicht nur die Nationalstaaten, die sich ihm gegenüber verhalten müssen, er dominiert und determiniert zunehmend auch die Muster menschlicher Lebensführung und deren kulturelle Institutionalisierungen und innerpsychische Codierungen. Der Kapitalismus verwaltet tatsächlich die Welt: die innere wie die äußere. Erkennbar ist das nicht zuletzt gerade daran, dass er die religiösen Institutionen als heilsorientierte Verwalter der Welt dabei ist abzulösen, was wiederum daran erkennbar ist, dass zunehmend und beileibe nicht nur in Westeuropa gilt: Nicht der Kapitalismus muss sich vor den Religionen, sondern die Religionen müssen sich vor der kapitalistischen Kultur rechtfertigen. Diese Rechtfertigung, wie im religiösen Fundamentalismus, gewaltsam zu verweigern ist nur eine paradoxe Variante dieser Konstellation.

      So sehr die vom Kapitalismus produzierte Dynamik, Buntheit, Vielfalt den üblichen grauen Vorstellungen von Verwaltung zu widersprechen scheinen, so sehr ist diese bunte Außenseite doch genau dies: die Außenseite eines Innen, das auf keinen Fall sein zentrales Ziel, die Gewinnorientierung, verfehlen darf. Das zentrale Konzept des Kapitalismus ist die individuelle Gewinnorientierung, also die Frage: Was nutzt es mir? Diese Frage durchdringt alles und alle, vor ihr müssen sich alle und alles rechtfertigen. Es ist die Frage des neuen Souveräns. Verwaltung aber ist die Organisation des Bestehenden, über das hinaus es nichts anderes geben soll und darf, Verwaltung ist dadurch ausgezeichnet, nicht über sich hinaus denken zu dürfen und zu können. Kapitalismus ist die gewinnorientierte Verwaltung des Bestehenden, die verschleiert, wie statusfixiert sie ist, die im bunten Leerlauf des letztlich immer Gleichen doch auch nur eben selbstreferentielle Verwaltung ist. Wahrscheinlich ist der spätmoderne Kapitalismus jene Form der Phantasielosigkeit, die es geschafft hat, diese perfekt zu verschleiern. Dass die im Kapitalismus in Gang gesetzten kulturellen und technologischen Entwicklungen hinter dem Rücken der Akteure freilich seit einiger Zeit eine Eigendynamik produzieren, die vor ihnen als unvorhergesehenes, unvorhersehbares Ereignis wieder auftaucht, das ist dann eine ganz andere Frage. Manchmal kommen Verwaltungen eben auch nicht mehr zurecht.

      4.

      Seit es den Kapitalismus gibt und ganz besonders seit er nach langem Vorlauf in den italienischen Stadtstaaten des Spätmittelalters in der europäischen Neuzeit immer dominanter wurde, hatte die katholische Kirche etwas gegen ihn. Nur in den Zeiten des Kalten Krieges nach dem II. Weltkrieg, im Bündnis mit dem kapitalistischen „Westen“

Скачать книгу