Christentum im Kapitalismus. Rainer Bucher

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Christentum im Kapitalismus - Rainer Bucher

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existierende Kommunismus verschwunden ist und spätestens seit ein offen kapitalismuskritischer Lateinamerikaner Papst geworden ist, ist es auch damit wieder vorbei. Die traditionelle anti-kapitalistische Frontstellung der katholischen Kirche hat im Wesentlichen drei Gründe: einen kulturellen, einen ethischen und einen sozialen. Sie beziehen sich allesamt auf zentrale Strukturelemente des Kapitalismus.

      Kulturell bemerkte gerade die katholische Kirche natürlich sehr schnell, dass, wie das Kommunistische Manifest in einer schönen Metapher festhält, im Kapitalismus „alles Ständische und Stehende verdampft“ und „alles Heilige“ irgendwann „entweiht“17 wird. Als Trägerinnen von ihnen selbst als ewig und unwandelbar angesehener, von ihnen auch gesellschaftlich legitimierter und sanktionierter Traditionen, Bindungen und Ordnungen wurden die Kirchen durch den Kapitalismus bedroht. Dass der Kapitalismus nach und nach die alten vormodernen, religiös legitimierten ständischen Ordnungen erodierte, dass er die Jahrhunderte alten normativen und sozialen Schalen der Religion, der Nation, der Geburtsfamilie und zuletzt selbst jene des Geschlechts in einem zuerst langsamen, dann nach und nach sich beschleunigenden Liquidierungsprozess verflüssigte, dass ihm wörtlich „nichts heilig“ ist, außer er sich selbst, das hat gerade die katholische Kirche früh notiert und heftig kritisiert. Im Kapitalismus wuchs ein mächtiger und schließlich siegreicher Konkurrent heran, immer erfolgreicher bei der Prägung von Individuen und Sozialwesen, ebenbürtig an Kraft und Stärke und mindestens ebenso virtuos. Man erkennt diese Gegneridentifizierung nicht zuletzt daran, dass sich die Kirchen nicht scheuten, ihren eigenen Zentralbegriff in denunziatorischer Absicht auf die Zentralkategorie des Kapitalismus anzuwenden und das Geld als den „Gott Mammon“ zu geißeln: eine echte, wenn auch eher ungewollte Anerkennung von Gleichrangigkeit.

      Die ethische Kritik am Kapitalismus seitens der christlichen Kirchen entzündet sich bis heute am persönlichen Egoismus, am individuellen Streben nach Reichtum und Erfolg als Triebfeder kapitalistischer Dynamik. Was praktisch in allen Kulturen und Ethiken zurückgedrängt, eingedämmt, ja verurteilt wurde, die Orientierung zuerst und zuvorderst am eigenen, noch dazu ganz direkt materiell-quantitativ definierten Vorteil, wird im Kapitalismus zum Prinzip und zur Forderung an den Einzelnen, gerinnt schließlich in der Vorstellung vom Menschen als homo oeconomicus.

      Es dauerte lange und bedurfte diffiziler Argumentationen und mehrerer Anläufe, um diese neue egoistische Ethik in die bislang gültigen religiösen altruistischen Ethiken einzupassen. Die berühmteste und populärste Strategie bestand schließlich darin, den individuellen Egoismus über seine von ihm unbeabsichtigten, aber erhofften, manchmal auch tatsächlich eintretenden positiven Nebenfolgen für alle („Die Flut hebt alle Boote“; „Trickle-down-Effekt“) oder zumindest für einige („Schaffung von Arbeitsplätzen“) in einem utilitaristischen Kalkül ethisch zu rechtfertigen.

      Ein anderer argumentativer Weg balancierte das individuelle berufliche Vorteilsstreben im Ganzen des eigenen Handelns mit demonstrativem individuellen Altruismus aus: Der durch den Egoismus erarbeitete materielle Erfolg sollte dann Basis individueller Wohltätigkeit werden. Man weist dann darauf hin, dass nicht wenige Reiche Teile ihres Vermögens wieder gemeinnützig für wohltätige Zwecke ausgeben: Bill Gates, der reichste Mann der Welt, ist das berühmteste Exempel hierfür, angeblich hat er bereits 35 Milliarden Dollar gespendet. Dieser individuellen protestantischen Wohltätigkeitsethik steht auf katholischer Seite eine mehr der Institution als der Person vertrauende Variante gegenüber, etwa der „rheinische Kapitalismus“, der einen stattlichen Teil des Einkommens der Erfolgreichen über Steuern, Sozialabgaben und andere Mechanismen an als „bedürftig“ Definierte umverteilt.

      Die radikalste Variante einer Einpassung der Egoismusorientierung des Kapitalismus in die bestehenden altruistischen religiösen Ethiken besteht schließlich dann darin, letztere radikal zu drehen und den beruflichen und finanziellen Erfolg als direkten Ausweis göttlicher Erwählung und Gnade zu definieren und damit zu legitimieren. Dieses Konzept hat sich im Katholizismus nie wirklich durchgesetzt, auch nicht im deutschen lutherischen Protestantismus, wohl aber in gewissen süd- und nordamerikanischen Freikirchen.18 Vielleicht mit Ausnahme dieses radikalen „Wohlstandsevangeliums“ steckt in all diesen Einpassungsversuchen des neuen kapitalistischen Egoismus in die alte altruistische religiöse Ethik aber immer der Stachel der Rechtfertigung: Man spürt den Gegensatz von kapitalistischem Gewinnstreben und christlicher Ethik und erkennt an, dass man sich für das kapitalistische Streben nach Gewinn, Reichtum und Vorteilen rechtfertigen muss.

      Bleibt noch eine dritte Kritikschiene, der Verweis auf die manifesten Ungerechtigkeits- und Verelendungseffekte, die der Kapitalismus in seiner Geschichte immer wieder produziert hat und bis heute produziert. Spätestens als die beginnende Industrialisierung Europas im 19. Jahrhundert unübersehbar Massenelend bei gleichzeitigem exorbitantem Reichtumszuwachs einiger weniger schuf, wurde die strukturelle Ungerechtigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsweise aus christlicher Perspektive verurteilt, ganz besonders durch die katholische Kirche, hier verbunden mit kulturpessimistischer Kritik an der Auflösung alter Ordnungen und der religiösen Säkularisierungstendenz der sich entwickelnden kapitalistischen Gesellschaften.

      Es entstand eine ganze neue theologische Disziplin, die Christliche Soziallehre, die als ordnungsfixierte, tendenziell anti-liberale Sozialmetaphysik begann und sich nach dem II. Vatikanum zur menschenrechts- und gerechtigkeitsorientierten Sozialethik mit deutlich kapitalismuskritischer Grundtendenz auf regionaler wie globaler Ebene hin entwickelt hat. Es entstanden im europäischen Christentum beider großer Konfessionen zudem soziale Bewegungen, die sich für die Verarmten in konkreter Tat und schließlich auch politischem Engagement einsetzten. Auch forderte man, etwa in der Christdemokratie, die Einhegung des kapitalistischen Egoismus durch rechtliche Vorgaben und Rahmenregelungen seitens des Staates.

      Diese drei kirchlichen Kritikstränge am Kapitalismus – an seinen Auflösungseffekten traditioneller Bindungen, seinem inhärenten Egoismusstreben und seinen Verelendungsfolgen – sind einschlägig und sie bleiben höchst relevant. Sie bilden jedoch nicht das zentrale Thema dieses Buches.

      5.

      Dafür gibt es einen klassischen wissenschaftlichen Grund: Die Ströme dieser Kritik am Kapitalismus fließen mittlerweile wieder breit, ergänzt seit einiger Zeit durch die Analyse seiner lokalen, regionalen und globalen ökologischen Folgen.19

      Sie treffen auch reale Phänomene. Doch das ist nicht der Hauptgrund, warum die hier vorgelegten Analysen nicht unmittelbar an die bekannte christliche Kapitalismuskritik anschließen. Dieses Buch leitet vielmehr die Vermutung, dass es mit der herkömmlichen christlichen Kritik am Kapitalismus noch nicht getan ist, und dies vor allem deshalb, weil diese klassischen Kritiklinien zwar gute Argumente und einige empirische Plausibilitäten für sich haben, wahrscheinlich aber einen zentralen Durchbruch des Kapitalismus vernachlässigen.

      Zudem schließen theoretische und selbst politische Opposition noch lange nicht faktische Amalgamierung aus. Wenn der kulturell hegemoniale Kapitalismus der neue Souverän unserer Gesellschaft ist, dann schreibt er sich tief auch in die Religionen und Kirchen ein. Er ist dann viel weniger ein Außen, ein Gegenüber, das man als solches analysieren, kritisieren und bekämpfen kann, als es die theoretischen und institutionellen Kontroversen vermuten lassen. Solche Strategien der Distanzierung würden dann eher verdecken, was doch der Fall ist: Der kulturell hegemoniale Kapitalismus operiert in einem selbst. Ein Außen zu ihm ist diskursiv relativ leicht, aber faktisch nur sehr schwer möglich. Gerade die Oppositionsstellung übersieht leicht das Wichtigste: den realen Kapitalismus im Eigenen.

      Natürlich liegt es angesichts der beschriebenen Kritiklinien der Kirchen am Kapitalismus nahe, manichäisch zu urteilen und christliche und kapitalistische Existenz („Man kann nicht zugleich Gott dienen und dem Mammon“) strikt zu dichotomisieren. Man verortet sich dann diskursiv jenseits der kapitalistischen Realitäten und Versuchungen, hat in vielem Recht und doch nicht gesehen, was doch offenkundig der Fall ist: Man ist ziemlich unentrinnbar selbst Teil der kapitalistischen Kultur. Da ist dann jene andere Variante der Exterritorialisierung der Probleme christlicher

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