Christentum im Kapitalismus. Rainer Bucher

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Christentum im Kapitalismus - Rainer Bucher

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Regelverletzung lassen sich in Programme gießen, die Wettbewerbsvorteile versprechen.“27

      Spezifische Schlüsselkonzepte sind notwendig, um das Ziel der permanenten Selbstverbesserung zu erreichen. „Kreativität“ und „Innovation“ gehören dazu, „das Erkennen und Ergreifen von Gewinnchancen und die schöpferische Zerstörung, die Platz macht für Neues“28. Hinzu kommen „Empowerment“ als Vertrauen in die eigene Kraft und eine Qualitätsorientierung, die als „Kundenorientierung“ agiert, denn das „unternehmerische Selbst“ muss „sein Humankapital so … vermarkten, dass es Abnehmer für die feilgebotenen Fähigkeiten und Produkte findet. (…) Qualität steht für Kundenorientierung“29.

      Das aber bedeutet: Das Leben wird zum Projekt, genauer: zu einer unabgeschlossenen und unabschließbaren Folge von Projekten. Diese höchst tiefgreifende und folgenreiche „Sequenzialisierung der Arbeit (und letztlich des gesamten Lebens) in zeitlich befristete Vorhaben“, diese fundamentale Projektorientierung verlangt „dem unternehmerischen Selbst ein Höchstmaß an Flexibilität“ ab, inklusive eines spezifischen „Modus der Kooperation“ in „Projektteams“30. Das reicht weit und schreibt sich tief ein.

      In Projekten zu denken beendet traditionelles, rollengesteuertes Handeln, gibt dem Handeln einen befristeten Zeithorizont und stellt es unter den Anspruch der (eigenen) Planung und Gestaltung. Die klassischen Projekt-Phasen „Projektdefinition“, „Projektplanung“, „Projektdurchführung“ und „Projektabschluss“ sind nichts anderes als die konzeptionelle Operationalisierung der typisch modernen Annahme, dass die Zukunft das Ergebnis des eigenen Handelns sein wird. Andererseits markieren Projekte aber auch die ausgesprochen anstrengende Verpflichtung, die Zukunft zum Problem zu machen, in ihr ein Ziel zu definieren und das eigene Handeln an den Schritten der Zielerreichung auszurichten.

      Das Denken in Projekten setzt voraus, das eigene Wollen als entscheidend für Zukünftiges zu bestimmen. Genau das hatte etwa vormodernes religiöses Denken nicht getan. Denn das Zukünftige wurde in ihm bestenfalls als die modifizierte Fortsetzung des immer schon Gültigen und auch ewig Bleibenden gedacht, war Verlängerung einer ursprungslegitimierten Vergangenheit, nicht Gegenstand zukunftsorientierten strategischen Handelns des Menschen. Die Zukunft stand unter der Herrschaft der Vergangenheit und ihres Ursprungs in Gott, zu dem sie zurückkehren würde. Die klassische Moderne kehrte dies um: Sie stellte die Gegenwart unter die Herrschaft der Zukunft, einer utopischen, besseren Zukunft. Sie wurde modellierbar und gestaltbar, wurde zur Aufgabe, zum Entwurf – zum Projekt. Alles wird zum Projekt: Es ist die Form, „die Wirklichkeit zu organisieren – ein Rationalitätsschema, ein Bündel von Technologien, schließlich ein Modus des Verhältnisses zu sich selbst“31. Das aber bedeutet: „Die Form ‚Projekt‘ ist ein historisches Apriori unseres Selbstverständnisses, eine Folie, auf die wir uns – im Guten wie im Schlechten – selbst begreifen und modellieren.“32

      Doch um die diversen Projekte des privaten (Partnerschaft, Kind, Urlaub) wie des beruflichen Lebens zu meistern, um also das Leben als Projekt zu gestalten, braucht es spezifische Schlüsselqualifikationen, zuallererst Kreativität und Empowerment. Während Genialität im romantischen Ideal noch wenigen vorbehalten war, ist Kreativität eine „Jedermannsressource“33: „Das Attribut ‚kreativ‘ adelt noch die banalsten Tätigkeiten.“34 Vor allem aber: Kreativität ist marktbezogen. „Kreativ ist das Neue, das sich durchsetzt.“35 Empowerment wiederum ist „gleichermaßen Ziel, Mittel, Prozess und Ergebnis persönlicher wie sozialer Veränderungen“36. Ziel ist es, durch Handeln die Selbstbestimmung und Mündigkeit der Adressaten sowie des Handelnden zu vergrößern. „Es gibt in dieser Perspektive keine Schwächen, sondern nur in die Latenz abgedrängte Stärken.“37 Das „positive Denken“ diverser Coaches vermarktet solches Empowerment zu Höchstpreisen.

      Und es gibt immer etwas zu verbessern. Es geht darum, in einem „panoptische(n) System wechselseitiger Beobachtung und Beurteilung“ eine „Dynamik permanenter Selbstoptimierung in Gang“38 zu setzen. Qualität kann stets verbessert werden: die Geburtsstunde des „Total Quality Management“ und des „360°-Feedback“. Bereits getroffene Entscheidungen müssen konsequent überdacht und wenn nötig revidiert werden. Das „unternehmerische Selbst“ hält, wie jeder Unternehmer, stets Ausschau nach neuen Möglichkeiten, eine zentrale Eigenschaft des Unternehmers ist die Findigkeit. Da jede Handlung eine Auswahl zwischen mehr oder minder attraktiven Optionen darstellt, ist das Nutzen von Gewinnchancen aber natürlich immer spekulativ und mit Risiken verbunden, da sich solches Kalkül auf eine Zukunft bezieht, die zwar abgeschätzt, aber nicht restlos erkannt werden kann.

      Das unternehmerische Selbst kann sich mithin nur sehr bedingt auf vorliegende Pläne stützen, es muss sich bewähren gerade in dem, was noch nicht erprobt ist. Wie jeder Unternehmer trägt es enorme Risiken. „Nur weil viele den Ausgang ungewisser Handlungen oder Ereignisse falsch einschätzen, können jene, die dabei eine glücklichere Hand haben, Gewinne realisieren.“39 Auch der Konsum muss dabei übrigens als unternehmerische Tätigkeit verstanden werden, als Einsatz der knappen Ressourcen Zeit und Geld mit dem Ziel optimaler Befriedigung. Der Mensch steht unter ständigem Entscheidungszwang. Genau das aber macht ihn regierbar: „Wenn der Einzelne seinen Nutzen zu maximieren sucht, kann man seine Handlungen steuern, indem man deren Kosten senkt oder steigert und so das Kalkül verändert.“40

      Die dunkle Seite des unternehmerischen Selbst wird deutlich: „die Unabschließbarkeit der Optimierungszwänge, die unerbittliche Auslese des Wettbewerbs, die nicht zu bannende Angst vor dem Scheitern“41. Wenn dann gar „Marktmechanismen gegenstrebige Impulse entweder absorbieren oder marginalisieren und das unternehmerische Selbst“ schließlich gar „mit der Norm konfrontieren, nicht konformistisch zu sein“42, wird es nur scheinbar tragikomisch, es treibt die Optimierungsspirale nur eine Windung höher. Depressive Erschöpfung, Ironisierung und passive Resistenz stellen nach Bröckling gängige Reaktionen darauf dar.

      Das unternehmerische Selbst kann die Ansprüche, gerade jene, die es an sich selbst stellt, nie einlösen, es lebt im ständigen Vergleich mit anderen und in der Gefahr, ausgesondert zu werden. „Das Gefühl der Unzulänglichkeit … ist chronisch, die einschlägigen Therapien versprechen nicht Heilung, sondern Krisenabfederung durch gute Wartung.“43 „Im pharmakologischen Befindlichkeitstuning“ schließlich „hält der Selbstoptimierungsimperativ noch jene in seinem Bann, die an ihm verzweifeln.“44 Wer ironisch auf die Situation reagiert, enttarnt ihre Absurdität, spitzt die Widersprüchlichkeiten zu „und zieht so ins Lächerliche, was er nicht ändern kann“45. Aber selbst der Müßiggang ist mittlerweile „marktgängig geworden“46: Auch für die Abkehr von Erfolg und Reichtum gibt es Ratgeber.

      3.

      Die Regierungstechnik des kulturell hegemonial gewordenen Kapitalismus appelliert nun aber nicht nur an das unternehmerische Kalkül im Selbst, so sehr es dem Individuum auch vorspiegelt, auf dieser Ebene souverän zu agieren, und seinen sujet-Status verschleiert. Die kapitalistische Regierungstechnik arbeitet noch auf einer verborgeneren und schwerer zu erhellenden Ebene: jener der Gefühle und Sehnsüchte der Regierten. Kulturell hegemonialer Kapitalismus meint also nicht nur, dass sich die Logik und die Mechanismen des Marktes in immer mehr gesellschaftliche Teilsysteme ausbreiten und deren Eigenlogiken unterwandern und überformen, was natürlich offenkundig der Fall ist und wofür die Universität mit ihrem akademischen Kapitalismus,47 die öffentliche Verwaltung mit dem new public management48 und der Spitzensport paradigmatisch stehen.

      Es geht vielmehr auch darum, „wie die Marktperspektive unsere Gefühlswelt beeinflusst“49. Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hatte bereits 1983 mit The Managed Heart. Commercialization of Human Feeling als eine der ersten eine empirisch basierte Studie dazu vorgelegt. Ihr Fazit: „Wir übertragen die Regeln und Muster unserer Gefühlsarbeit aus dem Leben auf dem Markt auf unsere nicht-marktförmigen

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