Das Gesetz des Ausgleichs. Johannes Huber
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Schon im Epheserbrief, einem Buch des Neuen Testaments, gibt Paulus, ein erfolgreicher Missionar des Urchristentums, seinen Lesern den Rat: »Zürnet, und sündiget nicht. Lasset die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.«
Schon am Abend soll der Mensch demnach den Entschluss fassen, schlechte Gedanken und böse Emotionen zu schubladisieren. Dann soll er darüber schlafen. Am nächsten Tag finden die negativen Gedanken dann besonders leicht fast von selbst in diese »Schublade«, ohne Schaden anrichten zu können. Das »gereinigte« Gehirn des Morgens hilft dabei mit.
Die Endokrinologie beschäftigt sich mit Schlafproblemen, die bei Frauen oft in der Lebensmitte auftreten und die Betroffenen stark belasten. Eine interessante Studie unterstreicht dies mit einem neuen Detail: Schlafstörungen können Verkalkungen begünstigen, die wiederum möglichweise jene Hirnareale beeinträchtigen, die für Geduld und Entspannung mitverantwortlich sind. Konkret unterdrückt oftmaliges Aufwachen das Hormon Hypocretin, wodurch mehr Stammzellen aus dem Knochenmark ausgeschwemmt werden, die sich dann in den Blutgefäßen niederlassen und eine Verkalkung bewirken.18
Die australischen Forscher Drew Dawson von der Central Queensland University und Kathryn Reid von der Northwestern University maßen die Reaktionszeit von Probanden nach 28 Stunden Schlafentzug. Am Computer mussten sie Linien nachfahren, um ihre Motorik zu testen. Ergebnis: 28 Stunden Schlafentzug entsprechen etwa 0,9 Promille Alkohol im Blut.19 Auch hier zeigte sich deutlich, dass wir wichtige Entscheidungen tunlichst erst am nächsten Tag treffen sollten. Wir können sonst zum Beispiel aggressiver sein, und aggressiv ist nie »gut«.
Ein anderer Nachweis für die Vorteile des glymphatischen Lebens schon vor der Entdeckung des glymphatischen Systems glückte mit einer Gruppe elfjähriger Kinder und der Vergleichsgruppe ihrer Eltern. Bei einem Kasten mit mehreren Knöpfen mussten sie möglichst schnell immer jene drücken, die gerade aufleuchteten. Blink und push! Blink und push!
Was nicht gesagt wurde, war, dass es eine bestimmte Regelmäßigkeit in der Abfolge des Aufleuchtens gab. Nach der ersten Übungsphase und einer Wiederholung hatte keines der Kinder und auch kein Erwachsener diese rhythmische Systematik bemerkt. Als das Experiment mit anderen Versuchspersonen wiederholt wurde und diesmal zwischen Übung und Wiederholung eine Schlafphase lag, war manchen Erwachsenen und fast allen Kindern die Regelmäßigkeit klar. Das veröffentlichten die Forschergruppe Wilhelm, Rose & Konsorten in einem Artikel in Nat Neurosci.20
Unbewusste Denkprozesse
Der niederländische Sozialpsychologe Ap Dijksterhuis fand anhand mehrerer Studien heraus, dass intensives, bewusstes Nachdenken nicht automatisch zu den besten Entscheidungen führt. Entspannt zu sein dagegen hilft sehr wohl.21
Sogar wenn wir mit aller Kraft versuchen, eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, klappt es oft nicht, meint Dijksterhuis. Denn das Gehirn kann die Informationen zwar sammeln, aber nicht gleichzeitig verarbeiten. Anders ausgedrückt: Grübeln bring nichts. Je komplexer das Problem ist, desto eher sollten wir es deshalb unbewussten Denkprozessen anvertrauen, rät er. Was begründet, warum manche Menschen ihre besten Ideen morgens unter der Dusche haben.
Wir sollten also bei unserem Versuch, gut zu sein und gute Entscheidungen zu treffen, auch die Hintergrundaktivitäten unseres Gehirns zulassen, seine Eigeninitiativen sozusagen, zu denen es immer dann fähig ist, wenn wir es nicht gerade selbst beschäftigen. Die Religionen sprechen in diesem Zusammenhang von Medita tion und Gebet.
Die Wissenschaft bezeichnet die für die Hintergrundaktivitäten des Gehirns zuständigen Regionen als Default Mode Network. Dieses Netzwerk ist sozusagen unsere körpereigene Kreativagentur. Und unsere Kreativität ist gefragt, wenn wir uns verändern wollen. Denn dieses Vorhaben konfrontiert uns ständig mit neuen Situationen oder zwingt uns, mit vertrauten Situationen neu umzugehen.
Glymphatisch zu leben bedeutet, bis zum Ende durchgedacht, auch einen positiven Kreislauf in Gang zu setzen, der uns irgendwann von selbst vorwärtsbringt. Wer es schafft, den ersten Impuls systematisch verstreichen zu lassen und wichtige sowie emotional besonders stark aufgeladene Entscheidungen erst am nächsten Vormittag zu treffen, wird mit seinen Mitmenschen besser im Einklang stehen und deshalb insgesamt weniger Gedankenmüll aufbauen.
Er wird weniger Stress und Ängste haben und damit auch unaufschiebbare, sofort nötige Entscheidungen besser treffen. Letztendlich ist die Kunst, den ersten Impuls möglichst verstreichen zu lassen und die Sache erst einmal zu überschlafen, die wichtigste Vorstufe für die Kunst der Gelassenheit.
Charakterfitness-Trainingsstufe zwei:
Entgifte deine Emotionen
Die regelmäßige Beichte ist mehr als eine von der Kirche auferlegte Pflicht im Sinne christlicher Traditionen. Im Grunde versucht sie, etwas zu systematisieren, das uns tatsächlich hilft, bessere Menschen zu werden: Die Entgiftung unseres Gehirns durch Reden über die Dinge, die wir uns selbst vorwerfen. Das wir uns damit befreien und bereit für gutes Neues machen, wissen längst auch die Gehirn- und Verhaltensforschung.
Jeder Mensch macht Fehler. Kleine oder gravierende, unbedeutende oder unbedachte. Ein falsches Wort hier, eine Notlüge da. Die Patzer summieren sich und bilden einen Schmierfilm rund um unsere Seele. Falsche Entscheidungen, vielleicht verbunden mit weitreichenden Konsequenzen, lasten auf unserer Seele. Einmal falsch abgebogen, und schon scheint es kein Zurück mehr zu geben. Der Weg scheint verbaut, die Türen scheinen zugeschlagen zu sein, die Aussichten wirken trüb. Wie ein riesiger Stein liegt die Vergangenheit auf unserem Gemüt. Ein schwarzer Monolith, der ein unangenehmes Grundrauschen erzeugt, negative Wellen aussendet und nach und nach unsere Gefühle, unsere Gedanken und am Ende unsere Taten vergiftet.
Um diesen Monolithen loszuwerden und unsere Gedanken damit zu entgiften, gibt es eine bewehrte Methode. Sie besteht darin, uns mitzuteilen. Die Regelung, die das Christentum dafür anbietet, ist die Beichte. Den Erfindern ging es wahrscheinlich weniger um ein paar Gebete, die der Beichtende zur Vergebung seiner Sünden zu beten hatte, sondern vielmehr um die Entgiftung des Geistes, auch wenn sie es so kaum genannt hätten.
Der Mensch benennt dabei seine Fehler. Er spricht sie aus. Das Gespräch mit einem Menschen, dem er vertraut, befreit ihn und nimmt den Krampf von seiner Seele. Diese Vertrauensperson muss jeder für sich selbst auswählen, und es macht dabei jedenfalls Sinn, dass sie an ein Schweigegelübde gebunden ist. Schließlich wollen wir nicht jedermann in unsere Abgründe blicken lassen.
Dass eine andere Berufsgruppe, die ebenfalls schweigen muss, das ebenso gut und mitunter auch besser kann als Geistliche, das sieht sogar der Wiener Dompfarrer Anton Faber so. Seit 2018 bietet der Wiener Stephansdom Beichten von 7 bis 22 Uhr an, und zwar in fünfzig Sprachen. Der heftige Ansturm veranlasste ihn, »schwere Fälle«, wie er es nannte, an Psychotherapeuten weiterzuleiten.
Ein Geistlicher, ein Psychotherapeut oder ein vertrauter Freund – wen immer wir auswählen, um uns mitzuteilen und unsere Gedanken dabei zu entgiften, muss wertfrei zuhören können. Er darf nicht urteilen. Er muss in diesem Gespräch über den Dingen stehen. Auf diese Art nimmt er uns am ehesten eine Last ab, sodass wir danach wieder flexibler, beweglicher und leichtfüßiger sind, und uns frei von Dunklem in unserem Kopf leichter tun, gut im Sinne des von uns gewollten Gutseins zu sein. Es ist eine Übung, der wir uns regelmäßig widmen sollten, und nicht erst, wenn der Druck