Tübinger Fieberwahn. Maria Stich
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![Tübinger Fieberwahn - Maria Stich Tübinger Fieberwahn - Maria Stich](/cover_pre1000348.jpg)
Die Halle lag in geheimnisvollem Dämmerlicht. Die grellen Neonröhren waren ausgeschaltet, nur wenige Deckenstrahler leuchteten. Die Unterwasserscheinwerfer tauchten das Becken in ein geradezu magisches türkisfarbenes Licht. In der Mitte, genau unterhalb der großen Kuppel, kräuselten sich die Wellen um eine pinkfarbene Badeinsel. Über die Lautsprecheranlage ertönte Celine Dions Stimme:
»Love can touch us one time,
and last for a lifetime,
and never let go till we’re gone!«
»My heart will go on« war ihr Lieblingssong aus dem Film »Titanic«. Jedes Mal hatte sie am Ende Rotz und Wasser geheult und sich in Markus’ Arme gekuschelt. Sie schluckte die aufsteigenden Tränen der Rührung hinunter.
Am Beckenrand hinter der Badeinsel erkannte sie ein Herz, das aus brennenden Teelichtern bestand und einen schweren, süßlichen Rosenduft verströmte. Aus dem Sektkühler daneben ragten eine Sektflasche und zwei Sektkelche.
Plötzlich stand Markus direkt vor ihr. Er hielt eine langstielige Baccara-Rose in der Hand.
»Happy Birthday!«, stammelte er mit belegter Stimme und strahlte sie an. Julia war überwältigt. In diesem dämmrigen Licht schienen die Drachen-Tattoos auf Markus’ Schultern zum Leben zu erwachen. Ansonsten war er nackt.
Sein durchtrainierter Körper vibrierte vor Verlangen. Er ließ die Rose fallen, löste den Knoten ihres Pareo und nahm Julia zärtlich in seine Arme. Julia spürte seine sanften Hände auf ihrem Körper. Sie konnte nicht mehr klar denken.
»Erst mal anstoßen!«, forderte sie etwas verlegen. Schließlich hatte sie Geburtstag. Dann entwand sie sich seinen Armen.
Sie schob ihn von sich und strich dabei wie zufällig über sein erigiertes Glied. Er lachte auf, drehte sich um und machte einen eleganten Kopfsprung ins Becken.
»Jetzt du!«, rief er, als er prustend auftauchte. Julia hielt sich die Nase zu und hüpfte mit einem Platscher hinterher.
Sie tauchte wieder auf und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht.
»Herrlich!«, rief Julia. Sie fühlte sich mit einem Mal unsäglich frei und glücklich. Markus schwamm lachend auf sie zu. Er griff sie an den Beinen und zog sie scherzhaft nach unten. Eng umschlungen und lachend tauchten sie wieder auf. Da schlug ein Gegenstand neben Julias Schulter im Wasser auf. Sie ruderte erstaunt zur Seite, als sie einen Deckenstrahler erkannte.
Im nächsten Augenblick brach ein Inferno an Geräuschen los. Unter lautem Knirschen lösten sich Teile der Decke und stürzten herunter. Das Wasser schwappte in großen Wellen aus dem Becken.
»Markus!«, brüllte Julia voller Entsetzen. Der junge Mann schwamm verzweifelt auf sie zu. Im gleichen Moment wurde er von einem herabfallenden Balken am Kopf getroffen. Julia konnte sehen, wie sich sein Mund zu einem Schrei öffnete. Dann versank er in den brodelnden Fluten. Das Deckenlicht flackerte und erlosch dann vollständig. Jetzt erhellte nur noch der diffuse Schein der Unterwasserbeleuchtung die riesige Halle.
Julia begann zu kreischen und bekam eine Ladung Wasser in den Mund. Die Stelle, an der Markus untergegangen war, färbte sich blutrot.
»Markus!«, keuchte Julia. Aber ihre Stimme ging in den Geräuschen der herabfallenden Putzteile und Holzbalken unter. Ein weiterer Strahler löste sich aus der Hallendecke und traf Julias Schulter. Ohne auf den Schmerz und die blutende Wunde zu achten, holte Julia tief Luft und tauchte unter. Verzweifelt versuchte sie, den Körper von Markus zu orten.
Aber Staub und Blut hatten das Wasser in eine trübe Brühe verwandelt. Julia tauchte, tastete, schrie, strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht, spuckte Wasser. Sie spürte ihren rechten Arm nicht mehr.
Steine, Gips, Schneebrocken und Holzteile flogen wie Geschosse durch den Raum. Wie durch ein Wunder bekam Julia schließlich den Arm ihres Freundes zu fassen. Sie schnappte keuchend nach Luft und versuchte, den leblosen Körper an die Wasseroberfläche zu ziehen.
Das rot leuchtende Display der Digitaluhr an der Wand war immer noch intakt und sprang auf 00.05 Uhr. Dann riss ein herabfallender Balken die Uhr von der Wand. Sie krachte auf einen Startblock und zersplitterte in unzählige Einzelteile, die in einem Funkenregen ins aufgewühlte Wasser prasselten.
Danach wurde es still. Zwischen den Trümmern trieben zwei leblose Körper im blutigen Wasser.
Wie in Zeitlupe löste sich die restliche Deckenverschalung und fiel fast lautlos herab. Dann brachen die Dachsparren. Das tonnenschwere Material krachte in einer Staublawine mit einem gewaltigen Getöse herunter und bedeckte schließlich wie ein Leichentuch das Becken und den Boden.
Celine Dion sang:
»Near, far, wherever you are,
I believe that the heart does go on,
once more you open the door,
and you’re here in my heart,
and my heart will go on and on!«
Die Soundanlage und einige Lautsprecher in den Wänden waren durch eine Laune des Schicksals von den Trümmermassen verschont geblieben. Gespenstisch tanzten die Schneeflocken zu den Klängen.
Die Unterwasserleuchten flackerten und erhellten das trübe Wasser noch für einen kurzen Moment, bevor sie endgültig erloschen.
Der Himmel mit den dunklen Schneewolken spannte sich über einem gigantischen Loch, wo bis vor einigen Minuten noch die Decke des Hallenbades gewesen war. Schnee wirbelte herab und bedeckte die Trümmerteile mit einem weißen Schleier. Ein Knistern lag in der Luft und immer noch fielen Mauerbrocken und Holzteile herab.
Erste Sirenen waren in der Ferne zu hören.
Der große Aufmacher im »Tübinger Tagblatt« am 16.2.2013 lautete:
Spaceshuttle abgestürzt
In der Nacht zum Samstag stürzte das Dach des neu errichteten Hallenbads Ost in sich zusammen.
Die Schülerin Julia O., gerade 18 Jahre, und der Facility-Manager Markus G., 22 Jahre, konnten bis jetzt als die einzigen Opfer geborgen werden. Sie wurden unter den Trümmern im Becken begraben. Nach Angaben des Einsatzleiters lagen sie sich, im Tod vereint wie durch eine tröstliche Fügung, in den Armen.
Genauere Ursachen des tragischen Unfalls sind noch nicht bekannt. Experten vermuten, dass die extreme Schneelast das Dach zum Einsturz brachte.
2. Der Einzug von Wotan Wilde
Schwer atmend, aber mit zufriedenem Gesichtsausdruck stieg Wotan Wilde vom Rad. Er trug eine rote Outdoorjacke über einem schwarzes Funktionshemd und schwarze Radlerhosen mit den drei Streifen auf der Seite.
Seine grünen Kniestrümpfe, die etwas altbacken wirkten, steckten in schwarzen Shimano Bikerschuhen. Der drahtige Mann lehnte sein Fahrrad gegen einen Laternenpfahl vor dem vierstöckigen blauen Gebäude Am Alten Güterbahnhof 17. Die schwarze Eingangstür stand offen und war mit einem Türkeil fixiert. Der Radfahrer nahm den neongelben Fahrradhelm ab und hängte ihn an