Tübinger Fieberwahn. Maria Stich

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Tübinger Fieberwahn - Maria Stich

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ließ seinen schweißbedeckten Körper kurz erschaudern. Für Mai war es ungemütlich kalt, fuhr es ihm durch den Kopf.

      In sieben Minuten war er von der Linsenbergstraße 45, seiner alten Wohnung, bis hierher zu seiner neuen Adresse in dem Mehrfamilienhaus geradelt. Das war sein persönlicher Rekord. Er lächelte zufrieden, für seine 46 Jahre war er immer noch ganz gut in Form.

      Wotan Wilde fuhr kein E-Bike. Er setzte auf Muskelkraft und benutzte immer noch das alte Rennrad aus Studentenzeiten. Es war zwar schon etwas ramponiert, hatte ihn aber bis jetzt überall hingebracht.

      Wilde blickte auf die letzte Strecke des Weges zurück, den er gerade gekommen war. Der Radweg führte an dem neuen Wohnviertel entlang, das in den letzten Jahren neben der Bahnlinie Tübingen-Stuttgart entstanden war. Er verschwand in der Unterführung der Blauen Brücke, die über die Bahngleise führte.

      Auf der Brücke glaubte er den Umzugswagen mit der Aufschrift »Umzüge Federleicht – Ihr regionales Umzugsunternehmen in Tübingen« zu sehen. Er stand hinter einem Stadtbus im Stau. War das nicht Panagiotis Treggelidis, der Inhaber, mit seiner karierten Schirmmütze, der am Steuer saß?

      Der Fuhrunternehmer mit griechischen Wurzeln sprach reinstes Schwäbisch und wurde von seinem Bruder Aristos Treggelidis und einem Studenten mit Dreadlocks unterstützt.

      »Heilix Blechle, am 9. Mai wollet Se umziehe? Des isch aber scho in drei Wocha. Ob i da no a Terminle frei hab, wois i it. Warum habet Se si ned eher gmeldet?«, hatte der Umzugsunternehmer auf Wotans telefonische Anfrage gesagt.

      Der hat guad schwätze, der Panagiotis Treggelidingsda, hatte Wilde damals leicht verzweifelt gedacht. Wie hätte er denn ahnen können, dass seine Angetraute, die liebe Siegrun, ihn einfach so verlassen würde.

      Sie betrieb bei Instagram einen Reiseblog, während er sich die Nächte im Kommissariat um die Ohren schlug, und führte seiner Meinung nach ein ruhiges, sorgloses Leben.

      Er konnte es noch immer nicht glauben. Der Schmerz saß tief. Ihre »Handgschabten« und den »Ofenschlupfer« würde er vermissen. Sie weniger, wie er sich nach kurzer Trauerphase eingestehen musste.

      Siegrun wollte damals etwas Eigenes, etwas Schönes mit Stil, eine Eigentumswohnung. Das sei eine »sichere Geldanlage in Zeiten der Wohnungsnot und der steigenden Immobilienpreise in Tübingen«, betonte sie. Wotan unterschrieb schließlich mit ihr den Kaufvertrag für die Wohnung zwischen zwei Fällen im Kommissariat und ohne ihn richtig durchgelesen zu haben.

      Während der zweijährigen Planungs- und Bauzeit für das Objekt Am Alten Güterbahnhof fand sie in dem Innenarchitekten Gunter Sprühnagel einen Berater und Seelenverwandten.

      Hinter Wotans Rücken, wahrscheinlich in ihren unzähligen Meetings, waren sich die beiden nähergekommen und hatten ihre Auswanderung nach Südafrika geplant, um dort eine Lodge zu eröffnen. Seit wann wollte Sigrun nach Afrika? Davon hatte sie nie geredet. Er konnte das nicht nachvollziehen. Sollte er sich so in ihr getäuscht haben? Es war ihm schlichtweg schleierhaft.

      Wotan hatte sich unwohl und deplatziert gefühlt, als ihn die beiden nach einer Baubesprechung vor vollendete Tatsachen stellten.

      »Das wirst du doch sicher verstehen, Wotan! Aber so konnten wir nicht weitermachen. Du bist mit dem Kommissariat verheiratet. Da ist Gunter ganz anders. Der geht wenigstens auf mich ein!«, hatte Sigrun gesagt und Gunter hatte zustimmend genickt, der blöde Kerl. Er hätte ihn in diesem Moment umbringen können. Aber dann hätte er ja gegen sich ermitteln müssen, und das wollte er dann doch nicht. Erschöpft hatte er resigniert.

      Die Möbel waren schon aufgeteilt und im Container verstaut und Siegrun war bis zum Abflug nach Johannesburg zu Gunter nach Bebenhausen gezogen.

      Wilde war mit Leib und Seele Hauptkommissar bei der Mordkommission in Tübingen und versuchte, die knappe Personaldecke mit Überstunden auszugleichen.

      Die Wohnungsplanung hatte er nur am Rande wahrgenommen, was sich im Nachhinein als Fehler herausgestellt hatte. Ihm hatte ihre gemütliche Dreizimmerwohnung im Altbau mit Blick auf den Österberg gereicht.

      Die Schlüsselübergabe und Wohnungsabnahme der neuen Wohnung erledigte er mit Siegrun zusammen, da sie als Miteigentümerin eingetragen war.

      Siegrun hastete an diesem Tag von einem Raum in den anderen. Sie wollte die Veranstaltung so schnell wie möglich hinter sich bringen.

      »Reisende soll man nicht aufhalten.« Das waren seine letzten Worte gewesen, als die Tür hinter seiner Ex zufiel.

      Dass die Kloschüsseln im Bad und im Gästeklo wegen Lieferengpässen fehlten, nahm er nur am Rand wahr. Bad- und Sanitärhändler Bernd Kümmerle würde auf jeden Fall bis zum Einzug liefern, wurde ihm versichert.

      Als er mutterseelenallein in der leeren Wohnung stand, wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, ob seine Frau ein Umzugsunternehmen beauftragt hatte, geschweige denn, wer das sein konnte. Und sie zu fragen, dazu hatte er wirklich keine Lust mehr.

      Am selben Abend öffnete er in seiner alten Wohnung die Flasche Barolo, die ihnen die Schwiegereltern, jetzt Ex-Schwiegereltern, zur Hochzeit geschenkt hatten, und goss sich ein Glas ein. Es sollte nicht bei einem Glas bleiben.

      Dazu ließ er die Playlist aller alten Songs der »EAV«, der österreichischen Band »Erste Allgemeine Verunsicherung«, in Dauerschleife laufen. Er gehörte zur Fangemeinde der ersten Stunde und hatte sie schon mehrfach live gesehen.

      So gerüstet, durchforstete er das Internet nach Umzugsunternehmen in Tübingen. »Umzüge Federleicht« fiel ihm ins Auge. Nomen est omen, dachte er, schon leicht angeheitert. Vor seinem geistigen Auge sah er Sofas, Stühle, Tische und Betten durch magische Kräfte leicht wie Federn in seine neue Wohnung im 4. Stock schweben. Die würde er anfragen!

      Er wachte am nächsten Morgen mit einem dicken Kopf auf und rief trotzdem sofort bei der Firma an.

      »Was wollet Se, Herr Wilde, Standard- oder Komfortumzug?«, hatte ihn der schwäbische Grieche bei einem Ortstermin zwei Tage später in seiner alten Wohnung gefragt. Dabei hielt er ein Klemmbrett mit einem Formular in der Hand, auf dem er sich Notizen machte.

      Panagiotis glich mit seinem grau melierten Haar und dem dunklen Teint dem griechischen Reeder Aristoteles Onassis, bis er den Mund aufmachte und schwäbisch schwätzte. Vielleicht hörte Panagiotis die Panik in Wotan Wildes Stimme und hatte Mitleid oder er war geschmeichelt, weil ein echter Kommissar der Mordermittlung seine Firma ausgesucht hatte. Seine Visitenkarte hatte ihm Wotan gleich zu Anfang ihrer Begegnung in die Hand gedrückt. Wie auch immer.

      Die Firma Federleicht schob den Miniumzug zwischen zwei größere Aufträge. Der Kostenvoranschlag inklusive vier Stunden Auf- und Abbau, Wegpauschale und Arbeitslohn betrug 1.200,00 Euro. Wotan war einverstanden. Man vereinbarte einen Termin am nächsten Mittwoch.

      Wotan packte die Umzugskisten in schweißtreibender Nachtarbeit selbst und stapelte sie im Wohnzimmer. Jeder Karton war sorgfältig mit den neuen Zielräumen beschriftet. Auch auf den Möbeln klebte so ein knallgelbes Post-it. Es musste alles seine Ordnung haben, dachte er, als er sein Werk am Dienstagabend betrachtete.

      Panagiotis, Aristos und ein Student mit Rastalocken namens Ben arbeiteten an jenem Mittwochvormittag organisiert Hand in Hand, während die ganze Zeit griechische Musik und deutsche Schlager aus einem uralten Kofferradio dudelten. »Weiße Rosen aus Athen«, dieser Ohrwurm hatte sich bei Wilde hartnäckig festgesetzt.

      Die alte Wohnung war schneller leer als erwartet.

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