Demokratietheorien. Rieke Trimcev
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Auch die späteren Werke Platons beschäftigen sich mit den Problemen der Tugend/Tüchtigkeit. Seit den mittleren Dialogen verlagerte sich der Akzent jedoch von der individuellen Handlungsorientierung auf die politischen Institutionen. Da Weisheit und Tugendhaftigkeit seinerzeit längst keine Wesensmerkmale der athenischen Bürgerschaft mehr waren, da sich der Appell an die menschliche Einsichtsfähigkeit und Vernunft als vergeblich erwies, ging Platon auf die Suche nach stabileren Ordnungsformen, die dem individuellen Handeln einen Außenhalt und dem Zusammenleben Sicherheiten bieten konnten, die dabei aber allen menschlichen Anlagen und Neigungen Rechnung zu tragen hatten. Den Ausgangspunkt und den zentralen Gegenstand der Politeia bildet die Gerechtigkeit, die nun nicht länger als individuelle Tugend, sondern als unverzichtbares Konstitutionsprinzip einer wohlgeordneten Polis begriffen wird. Ihr Fehlen wird als Hauptgrund der allgemeinen Misere diagnostiziert. Sokrates hinterfragt und widerlegt zunächst die Auffassungen seiner Gesprächspartner und holt dann zu einer weitläufigen Betrachtung aus, um das Wesen der Gerechtigkeit zu erkennen. Besser als in den Handlungen der Einzelnen lasse sich diese Idee anhand der Polis studieren, die als ein großer Mensch vorgestellt wird.
Neben der sokratischen Ethik wurde die Ontologie des Parmenides zur zweiten Säule, auf der Platons Philosophie errichtet wurde, die Suche nach dem Sein des Seienden, nach dem Festen und Ruhenden hinter den Erscheinungen. Die Synthese beider Fragestellungen führte zur Ideenlehre, wie sie in der Politeia entwickelt ist (vgl. 502d ff.). Durch sie gewann Platon den Maßstab, mit dessen Hilfe sich Wahres von Falschem, gesichertes Wissen (epistéme) von bloßer Meinung (dóxa) sowie Gutes von Schlechtem unterscheiden ließ. Der letzte Grund der menschlichen wie natürlichen Dinge liegt demnach in den Ideen, die Platon als Urbilder aller empirischen Erscheinungen begreift. Sie vermitteln den einzelnen Erfahrungstatsachen Zusammenhalt und Struktur. Die ordnungsstiftenden Ideen sind keine bloßen Behelfskonstrukte des denkenden Kopfes, der sich mit ihrer Hilfe Orientierung verschafft und das Erfahrungsmaterial zurechtlegt, sie sind subsistierende Wesenheiten und für Platon das eigentlich Reale und Existierende. Die konkreten Phänomene dagegen gelten als bloße, mehr oder weniger gelungene oder missratene Verkörperungen oder Nachbildungen, die nur durch ihre Teilhabe an den Ideen existieren und nur verstanden werden können, wenn sie zurückgeführt werden auf diesen ihren Ursprung. Sollen die real existierenden Dinge erkannt werden, so müssen sie auf ihr Urbild (eidos, idéa) reduziert werden. Hinter den schönen Dingen ist die Idee der Schönheit (kállos), hinter den guten Taten und Institutionen die Idee des Guten (agathón) zu erkennen – und diese letztere ist für Platon die höchste Idee, die allen anderen zugrunde liegt. Sie zu erfassen ist folglich Aufgabe der Philosophie und das Ziel aller mittleren und späteren platonischen Dialoge.
Den Sinn und Zweck (télos) des menschlichen Lebens sieht Platon in der „Vervollkommnung der Seelen“, in der Entfaltung und Steigerung der ethischen und dianoetischen, das heißt verstandesmäßigen, Anlagen und Fertigkeiten. Aufgabe der Polis ist es, diese zu ermöglichen und zu fördern. Erkenntnisleitende Frage der Politeia ist demzufolge, welche Einrichtungen vonnöten sind, um dieses Ziel zu erreichen. Da alle Institutionen im Dienst der „Seelenpflege“ stehen sollen, werden sie aus dem Bild einer „vollkommenen Seele“ abgeleitet. Die menschliche Psyche setzt sich nach Platon aber aus drei Teilen zusammen: den Begierden und Leidenschaften, den Tugenden und der Vernunft. Diese müssen folglich ein organisches Ganzes bilden und sich gegenseitig stützen. In Analogie dazu sieht Platon in der Polis eine Arbeitsteilung vor. Die drei menschlichen Grundvermögen werden von drei Ständen realisiert: für die Vernunft sind die Regenten zuständig, tugendhaft oder tüchtig müssen vor allem die Wächter sein, die Begierden und Leidenschaften sind vornehmlich Sache des einfachen Volkes, der Handwerker und Bauern. Nicht die Gesamtheit der Bürger soll demnach befähigt werden, alle Fertigkeiten gleichermaßen zu entfalten, vielmehr soll jeder „das Seine tun“ und die seiner Stellung entsprechenden Pflichten erfüllen (431d ff.). Für das politische Geschehen sind neben oder nach den Regenten die Wächter ausschlaggebend, die für die Sicherheit der Gemeinschaft und für die innere Ordnung verantwortlich sind. Ihrem Amt und ihrer Erziehung widmet Platon deshalb ganz besondere Sorgfalt (374e ff.). Sie haben sich der Verwirklichung des Gemeinwohls und der Optimierung der Einheit zu widmen und dafür auf jegliches private Glück zu verzichten. Ihre Aufgabe ist die Selbstaufopferung für die durch Wissen erfolgreich gegründete und regierte Stadt. Bei der von ihnen geforderten Tugend oder Tüchtigkeit (areté) sollen wieder alle Einzeltugenden in Rechnung gestellt und Vorkehrungen getroffen werden, die ihre gleichmäßige Ausprägung ermöglichen. Da die vier Grundtugenden (Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit, Einsicht) – wie schon die Frühdialoge zeigten – ein untrennbares Ganzes bilden (427e), müsste die unverhältnismäßige Entwicklung einer Einzeltugend – etwa der Tapferkeit – ohne gleichzeitige Ausbildung aller anderen eine Dissonanz zur Folge haben (Verwegenheit, Tollkühnheit usw.). Nur dann, wenn sie sich wechselseitig balancieren, kann sich die Polis zu einem harmonischen Ganzen entfalten, das die Einzelnen zu einem gerechten und geglückten Leben befähigt, dessen Ziel und Zweck in der vollkommenen Gemeinschaft und in der Identifikation aller mit dem Ganzen besteht.
Die Polis entstehe, weil kein Mensch sich selbst genügen kann, schreibt Platon (369b ff.). Jeder hat viele andere nötig und ist auf seine Mitmenschen angewiesen. Dies gilt bereits für die Selbsterhaltung und die materielle Reproduktion. Noch deutlicher wird es hinsichtlich der Idee des richtigen und guten Lebens. Im Ausgang von der Idee des Guten, auf die nach Platon letztlich alle guten Dinge, Eigenschaften und Aktivitäten zurückgehen, kann Sokrates seine Gesprächspartner mit nur geringen Schwierigkeiten davon überzeugen, dass in der vollkommen eingerichteten Polis die Frauen und Kinder allen gemeinsam gehören, dass folglich nicht die Eltern über die Eheschließung entscheiden und dass die Erziehung der Kinder kollektiv zu erfolgen hat. Ferner kann er einsichtig machen, dass Privateigentum für das allgemeine Wohlergehen abträglich und die gemeinschaftliche Arbeit auf der Basis gemeinsamen Besitzes vorzuziehen ist – im Frieden wie im Krieg. Der Tausch und seine Medien, Geld und Vertrag, sollen abgeschafft und verboten werden, weil ihnen der Betrug substanziell innewohnt. Schließlich kann Sokrates zeigen, dass die Regenten wissbegierig oder weisheitsliebend, also Philosophen sein müssen, weil Ignoranten, Narren und Idioten nur selten richtige Entscheidungen im Interesse der ganzen Bürgerschaft treffen (vgl. 472d ff.).
Welche Regierungsform wollte Platon etablieren? – Als beste aller denkbaren Verfassungen zeichnet er die gemäßigte Aristokratie und die konstitutionelle Monarchie aus, d. h. Regierungen, die dem Gemeinwohl dienen und sich den Gesetzen der Stadt unterordnen, ohne an ihnen zu rütteln (445e). Nur in diesen Ordnungen herrsche Gerechtigkeit und Güte. Neben diesen gebe es vier weitere Grundtypen von Verfassungen, die Platon als verfehlt betrachtet (544b ff.): 1. die kretische und lakonische Verfassung, die ausschließlich auf den Krieg ausgerichtet ist; 2. die Oligarchie, die auf der Einschätzung des Vermögens beruht, in der die Reichen herrschen und die Armen keinen Anteil an der Regierung haben; 3. die Demokratie, in der die vielen Armen die wenigen Reichen unterdrücken; 4. „die edle Tyrannis, die vierte und letzte Krankheit einer Stadt“. Patriarchalische Herrschaft, korrupte Königsherrschaft und dergleichen lägen in der Mitte zwischen diesen Formen und seien bei Hellenen ebenso wie bei „Barbaren“ anzutreffen. Alle diese Verfassungen