Agro-Food Studies. Ernst Langthaler
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Zusätzlich zu multilateralen Abkommen über die WTO verfolgte die EU – getrieben von europäischen Unternehmen, die Zugang für ihre Güter und Dienstleistungen auf internationalen Märkten suchten, und den ins Stocken geratenen WTO-Verhandlungen – auch bilaterale Handelsabkommen mit zahlreichen Ländern in der ganzen Welt (z. B. CETA mit Kanada). Standen bis in die 1970er Jahre der Abbau von Zöllen (englisch: tariffs) im Vordergrund, so ging es in den letzten Jahrzehnten vorwiegend um den Abbau nichttarifärer Handels- und Investitionshindernisse. Zu diesen zählen Importquoten und -lizenzen, Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften, Beeinflussung der KonsumentInnen zum Kauf einheimischer Produkte, unterschiedliche technische Normen, Sozial- und Umweltstandards, Ausschreibungsmodalitäten öffentlicher Aufträge, Zulassungen für ausländische Dienstleistungsanbieter oder andere marktbezogene Regulative. Insbesondere gerieten auch die Regeln für die öffentliche Beschaffung, wie etwa für Großküchen in Krankenhäusern, Altersheimen, Schulen und Kindergärten, für die Katastrophen-, Flüchtlings- und Entwicklungshilfe oder öffentliche Dienstleistungen wie die Trinkwasserversorgung ins Visier der Verhandlungspartner.
Diese von Freihandelsvertretern als nichttarifäre Handelshemmnisse qualifizierten Regeln sind jedoch nicht unbedingt auf die Beschränkung des Wettbewerbs ausgerichtet. Sie können auch primär zum Schutz von VerbraucherInnen vor schlechter Ware oder minderwertigen Dienstleistungen sowie von ArbeitnehmerInnen und der Umwelt dienen. Da es bei der Harmonisierung von Standards häufig um eine Nivellierung nach unten und nicht um eine Angleichung nach oben geht, bedeutet der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse in der Regel eine Beschneidung des Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzes. Dieses race to the bottom kann auch die öffentliche Ausschreibung von Großaufträgen und Dienstleistungen betreffen und damit die Qualität öffentlicher Dienstleistungen beeinträchtigen (Billigstbieter- versus Bestbieterprinzip).
Nachfrage einer wachsenden Bevölkerung
Der zunehmende Güter- und Leistungsaustausch im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr und die voranschreitende internationale Arbeitsteilung führten gemeinsam mit der Technisierung zu enormen Produktivitätszuwächsen. So konnten mehr und kostengünstigere Lebensmittel für eine in fast allen Teilen der Welt wachsende Bevölkerung produziert werden. Die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung ist daher ein wesentliches Argument der GlobalisierungsbefürworterInnen und zentrales Ziel der Vereinten Nationen. In den letzten Jahrzehnten, die durch starke Globalisierungsprozesse gekennzeichnet waren, konnte zwar der Anteil der unterernährten Menschen weltweit reduziert werden; in absoluten Zahlen hat sich aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung aber wenig an der Dramatik der Situation geändert (siehe Abb. 3.3).
Abb. 3.3: Anzahl und Anteil unterernährter Personen weltweit (basierend auf Daten der FAO 2015)
Fluktuierende Lebensmittelpreise, die in liberalisierten, deregulierten Lebensmittelmärkten von einzelnen Nationalstaaten kaum beeinflusst werden können, treffen Haushalte im → Globalen Süden weit stärker als im Globalen Norden, weil Erstere einen höheren Anteil des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufwenden (siehe Abb. 3.4).
Der Anteil der Haushaltsausgaben für Lebensmittel ist insbesondere in den Ländern des Globalen Nordens in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gefallen. In Mitteleuropa gab der durchschnittliche Haushalt in den 1970er Jahren noch etwa ein Viertel seines Einkommens für Lebensmittel aus, gegenwärtig ist es nur mehr etwa ein Zehntel. Im weltweiten Vergleich divergieren die Anteile der Lebensmittelausgaben am Haushaltsbudget stark; so liegen diese in den USA bei 7 % und in Ländern südlich der Sahara bei über 40 % (vgl. Abb. 3.4).
Abb. 3.4: Anteil des Haushaltseinkommens (in %), welcher 2014 für zu Hause konsumiertes Essen ausgegeben wurde (ERS 2017)
Während in vielen Teilen Europas immer weniger für Lebensmittel ausgegeben wird, die zu Hause konsumiert werden, steigt der Außer-Haus-Konsum. Dieses Phänomen wird u. a. mit Veränderungen in der Arbeitswelt und dem Wandel der Genderrollen erklärt. Der Anteil außer Haus konsumierter Lebensmittel ist tendenziell in nordeuropäischen Ländern höher als in jenen des Südens und beträgt zwischen 11 % und 28 % der nahrungsbezogenen Energie (Orfanos et al. 2007). Der steigende Anteil des Außer-Haus-Konsums verdrängt das Kochen daheim und trägt auch dazu bei, dass KonsumentInnen noch weniger nachvollziehen können, wer wo an der Produktion, Verarbeitung und Zubereitung ihrer Nahrung beteiligt war. Man denke an zentrale Großküchen, die gleich mehrere Krankenhäuser, Altersheime, Kindergärten, Gefängnisse, Flüchtlingsheime oder Schulen mit Essen beliefern.
In vielen Gastronomiebetrieben hat sich eine standardisierte ‚Weltküche‘ durchgesetzt. Global agierende Gastronomieunternehmen und fast-food-Ketten versuchen weltweit ähnliche Produkte unter vereinheitlichten Herstellungsbedingungen mit möglichst standardisierter Qualität und Präsentation zu vertreiben und tragen so zu einer Homogenisierung von Ernährungskulturen bei. Gleichzeitig profitieren westliche KonsumentInnen vom vielfältigen Angebot ganzjährig verfügbarer Waren, die sonst aufgrund klimatischer Bedingungen oder durch Ernteausfälle gar nicht oder nur saisonal erhältlich wären.
3.2.2 Standardisierung, Dokumentation und Kontrolle statt Vertrauen
Entlang globalisierter Wertschöpfungsketten gehen Lebensmittel durch die Hände zahlreicher den KonsumentInnen nicht persönlich bekannter ProduzentInnen, deren Standorte oft weit voneinander entfernt liegen. Langfristige, auf Vertrauen und auf Gegenseitigkeit im sozialen Austausch (Reziprozität) angelegte Beziehungen zwischen den Unternehmen sowie mit den KonsumentInnen treten in den Hintergrund. Aus der Perspektive des neoliberalen Paradigmas scheinen soziale Beziehungen jenseits reiner Marktbeziehungen mitunter sogar wettbewerbshinderlich (z. B. Preisabsprachen). Rationale, auf Eigennutz ausgerichtete und am Gewinn orientierte individuelle Unternehmensentscheidungen gelten als Voraussetzung für einen funktionierenden Markt (Granovetter 1985).
Unterschiedliche regional geprägte Wuchsformen, Größen, Geschmacksnoten, Qualitäten etc. erschweren die auf Effizienz und Flexibilität ausgerichteten Transaktionen entlang langer Warenketten mit zahlreichen einander und den KonsumentInnen nicht persönlich bekannten Marktteilnehmern. Entlang globalisierter Wertschöpfungsketten werden daher bevorzugt standardisierte Massenwaren (commodities) mit homogener Qualität gehandelt, die von regionalen Besonderheiten bereinigt ist. Nur so können Händler commodities auf Börsen handeln, ohne die Ware jemals persönlich zu sehen, anzugreifen oder zu prüfen.
In sozial weniger eingebetteten und langen Warenketten, die durch eine Vielzahl einmaliger Transaktionen charakterisiert sind, lässt sich Fehlverhalten kaum verorten und Konsumentenvertrauen schwer aufbauen. Damit der internationale Warenaustausch zwischen individuell und weitgehend isoliert agierenden MarktteilnehmerInnen dennoch funktionieren kann, sollen abstrakte Systeme der Lebensmittelsicherheit (→ Nahrungsmittelsicherheit) mit einheitlichen und klaren Standards, Aufzeichnungspflichten, Etikettierungsregeln und Rückverfolgbarkeitsmechanismen sowie staatliche Kontrolle die Qualität sichern und Fehlverhalten verhindern. Diese Regulative substituieren das Vertrauen, das viele KonsumentInnen – zu Recht oder Unrecht – ihnen persönlich bekannten LebensmittelproduzentInnen