Agro-Food Studies. Ernst Langthaler
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Das US-zentrierte Regime war durch hohes Wachstum sowohl von Agrarproduktion als auch von Handelsflüssen gekennzeichnet. Dieses Wachstum hielt bis etwa 1980 an; dann begannen insbesondere die globalen Exporte und Importe zu stagnieren. Zwischen 1950 und 1980 verdoppelte sich die globale Getreideproduktion von 0,5 auf 1,1 Gigatonnen/Jahr, die Exporte stiegen um einen Faktor 6 auf 200 Mio. Tonnen/Jahr, wobei sich hier der Schwerpunkt von Brot- auf Futtergetreide verschob. In dieser Phase dominierten die USA den globalen Agrarhandel. Die US-Getreideexporte stiegen auf über 100 Mio. Tonnen; damit kamen in den 1970er Jahren knapp 50 % der globalen Getreideexporte und 65 % der Ölsaatenexporte aus den USA. In der UdSSR konnte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Getreideproduktion mit dem schnell steigenden Verbrauch, vor allem durch die expandierende Fleischproduktion, nicht Schritt halten und erlangte in diesem Regime keine Bedeutung mehr. Die UdSSR wurde in der Folge in den 1970er Jahren sogar zu einem großen Getreideimporteur. Die nordamerikanischen Exporte gingen bis in die 1950er Jahre noch überwiegend nach Europa. Erst danach entwickelte sich Asien zur wichtigsten Importregion, trotz der gleichzeitigen Steigerung der Produktion als Folge der „Grünen Revolution“. Ab den 1970er Jahren nahm auch die Bedeutung von Afrika als Importregion zu, während die Exporte der USA nach Europa zurückgingen. In diesem Regime nahm vor allem der Handel mit Sojabohnen, insbesondere als Eiweißfuttermittel in der industriellen Tierproduktion, und mit Fleisch stark zu. Diese Agrarprodukte wurden neben Getreide zu mengenmäßig bedeutenden Handelsgütern. In den zwei Jahrzehnten von 1961 bis 1980 stiegen der globale Handel von Ölsaaten von 15 auf 60 Mio. Tonnen und jener von Fleisch von 3,5 auf 9,5 Mio. Tonnen an. Während die Handelsrichtung bei den Ölsaaten vor allem von Nordamerika und ab 1975 zunehmend auch von Südamerika nach Europa ging, kamen die Fleischexporte vor allem aus Australien und Neuseeland (Ozeanien) sowie Südamerika. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich dann auch Europa zu einer Nettoexportregion von Fleisch (Krausmann und Langthaler 2016).
Anmerkung: Das Diagramm zeigt die physische Handelsbilanz (Importe minus Exporte). Positive Werte bedeuten Nettoimport, negative Werte Nettoexport.
In der Welternährungskrise 1972 bis 1975 ließen massive Getreideverkäufe der USA an die Sowjetunion, großflächige Missernten und der „Ölschock“ von 1973 die Agrarpreise hochschnellen (siehe Kapitel 7; Gerlach 2005). Dabei offenbarten sich die Widersprüche des US-zentrierten Nahrungsregimes an mehreren Punkten: Erstens belasteten die staatssubventionierten Agrarüberschüsse zunehmend die öffentlichen Haushalte, so etwa der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit ihrer auf bäuerliche Einkommens- und nationale Ernährungssicherheit ausgerichteten → Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP; Knudsen 2009; Patel 2009). Zweitens verschärften die Versuche, die wachsenden Produktionsüberschüsse mittels Preissubventionen auf dem Weltmarkt abzusetzen, den internationalen Wettbewerb. Drittens sahen die aufstrebenden transnationalen Unternehmen den nationalstaatlichen Protektionismus (→ Liberalismus) im Agrar- und Ernährungsbereich zunehmend als Hemmschuh für ihre Geschäftsstrategien. Diese Widersprüche befeuerten die Versuche der GATT-Reform ab 1986, ein neues Regelwerk im Zeichen des Neoliberalismus zu schaffen (siehe Abb. 2.2; Winders 2012, 153).
Abb. 2.2: Übersicht zum US-zentrierten Nahrungsregime (eigene Darstellung)
2.6 WTO-zentriertes Nahrungsregime (1990er–2010er Jahre)
Vom US-zentrierten Nahrungsregime hob sich das neoliberal ausgerichtete vor allem durch die veränderte Rolle des Staates ab: Verstanden sich Nationalstaaten zuvor als Beherrscher des Marktes, definierte sie der Neoliberalismus nunmehr als dessen Dienstleister. Dementsprechend galt Ernährungssicherheit nicht mehr als unveräußerliches Menschenrecht – so die FAO noch in der Welternährungskrise der 1970er Jahre –, sondern war nach der Lesart der Weltbank in den 1980er Jahren eine Leistung des Weltmarkts. Gemäß dem Grundsatz vom → „komparativen Kostenvorteil“ solle sich jedes Land auf die Güter spezialisieren, die es relativ günstiger herstellen kann, und den restlichen Bedarf über Freihandel decken. Die dafür erforderliche Liberalisierung der Märkte, die exportorientierte New Agricultural Countries (Brasilien, Argentinien, Neuseeland usw.) und transnationale Unternehmen in der Uruguay-Runde des GATT ab 1986 vorantrieben, wurde 1995 im Agreement on Agriculture der neu gegründeten Welthandelsorganisation (WTO) festgeschrieben. Angesichts des Gewichts transnationaler Unternehmen, die sich immer mehr auf den entfesselten Finanzmärkten engagierten (siehe Box 2.5), wird das WTO-zentrierte Nahrungsregime auch als corporate oder flexible food regime bezeichnet (Vorley 2003; McMichael 2013, 47 ff.).
Box 2.5: Parmalat und die „Finanzialisierung“ der Agrarindustrie
Parmalat als Drei-Ebenen-Netzwerk ‚flexibler‘ Kapitalakkumulation (eigene Darstellung nach Langthaler 2010, 160)
Innerhalb des neoliberalen Regelwerks gewannen agroindustrielle Unternehmen zusätzlichen Spielraum. Sie stehen nicht nur im Wettbewerb untereinander, sondern auch mit Nationalstaaten und nichtstaatlichen Organisationen (Non-Governmental Organisations, NGOs). Ein Beispiel stellt die Firma Parmalat dar, die zu einem transnationalen Lebensmittelkonzern aufgestiegen war. Ihre Drei-Ebenen-Netzwerkarchitektur war charakteristisch für die ‚flexibel‘ regulierte Kapitalakkumulation der Globalisierungsära seit den 1990er Jahren: Auf der ersten Ebene generierten ProduzentInnen und KonsumentInnen in verschiedenen Ländern, die über das weitgespannte Verarbeitungs- und Verteilungsnetz auf der zweiten Ebene verknüpft waren, Wertschöpfung. Das parteipolitisch und finanzökonomisch eng verflochtene Kontrollzentrum auf der dritten Ebene (Parmalat Finanziaria) saugte die ‚realen‘ Werte auf und suchte sie im globalen Finanzsystem in ‚virtuelle‘ (Mehr-)Werte zu verwandeln – eine Strategie, die 2003 in einen desaströsen Finanzcrash mündete (van der Ploeg 2008, 87 ff.).
Obwohl die WTO im Agreement on Agriculture die Entfesselung der Weltagrarmärkte auf ihre Agenda setzte (siehe Box 2.6), schlossen protektionistische Regulierung und neoliberale Deregulierung einander nicht aus. So etwa gelang es den USA, der EU und Japan, durch Umschichtungen ihre erheblichen Agrarsubventionen beizubehalten – zum Nutzen von Großfarmern und Agroindustrie. Demgemäß ging die EU in der GAP-Reform von 1992 von mengengebundenen Preissubventionen (amber box) zu von der Produktionsmenge entkoppelten Flächen- und Tierprämien (blue box) und zur Förderung der → Multifunktionalität (siehe Abschnitt 4.2.2) im Rahmen des Programms zur ländlichen Entwicklung (green box) über. Auch die USA, Japan und andere Industriestaaten betrieben reges boxing (Buckland 2004, 97 ff.). Folglich verfehlte der WTO-Zugang zur Ernährungssicherheit das Ziel der Handelsgerechtigkeit mittels Liberalisierung nicht nur, sondern beförderte dessen Gegenteil – die Verfestigung der Benachteiligung der Länder des Globalen Südens gegenüber den Agrarprotektionisten des Globalen Nordens (→ Globaler Süden) (McMichael 2013, 53).
Box 2.6: Handelsströme für Getreide, Ölsaaten und Fleisch 1990–2012 (eigene Darstellung nach www.fao.org/faostat)
Die Wachstumsphase des US-zentrierten Nahrungsregimes mündete in den 1980er Jahren in eine Phase der Stagnation. In diesem Jahrzehnt wuchs