Agro-Food Studies. Ernst Langthaler

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Agro-Food Studies - Ernst Langthaler

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der Weltwirtschaftskrise gepaart mit der katastrophalen Winderosion auf den Ackerflächen des Mittleren Westens (Worster 1982; Cunfer 2005) – durch staatliche Preisstützungen und Produktionsbeschränkungen zu bewältigen. Der Ausbau der Preisstützungen und der Wegfall der Produktionsbeschränkungen trieben den US-amerikanischen Agrarsektor während des Krieges zu Höchstleistungen; dabei galt es, zunächst die übrigen Alliierten, dann auch die US-Armee im Mehrfrontenkrieg zu versorgen (Winders 2012, 51 ff.). Die frei werdenden Rohstoffe – etwa die im Krieg für Sprengstoffe reservierten, nun als Mineraldünger verfügbaren Stickstoffverbindungen – regten den Übergang von einem Sonnenenergie und Fotosynthese nutzenden zu einem Fossilenergie verbrauchenden Agrarsystem an (siehe Kapitel 4). Das agroindustrielle Modell wurde nicht nur auf Europa und Japan, sondern im Zuge der → „Grünen Revolution“ auch auf Lateinamerika, Asien und – mit weitaus geringerem Erfolg – Afrika übertragen. Mittels intensiven Einsatzes arbeits- und landsparender Technologien (siehe Box 2.3), etwa von Hochleistungssaatgut, Mineraldünger und Pestiziden, wurde die Arbeits- und Landproduktivität nach oben katapultiert (Anderson 2009; Djurfeldt et al. 2005; Cullather 2010).

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      Pfade der Agrarentwicklung ausgewählter Staaten 1880–1980 (eigene Darstellung nach Langthaler 2010, 148)

      Wenn auch die Wege der Agrarentwicklung von Land zu Land unterschiedlich ausgeprägt waren – die Richtungen ähnelten einander: kapitalintensives Wachstum mittels wissenschaftlich-technischer Neuerungen. Technische Innovationen können in unterschiedlicher Weise Agrarwachstum auslösen: über die Steigerung der Arbeitsproduktivität mittels arbeitssparender Technologie (z. B. Mähdrescher) einerseits, der Flächenproduktivität mittels landsparender Technologie (z. B. Mineraldünger) andererseits. Beide Wege der Technisierung erfordern eine Reihe institutioneller Innovationen, die den Einsatz der jeweiligen Technologie regeln (z. B. Forschungs- und Bildungseinrichtungen). Auf welche Weise technische und institutionelle Innovationen in Gang gesetzt („induziert“) wurden, lässt sich am internationalen Vergleich der Agrarentwicklung 1880 bis 1980 ablesen. Auffällig ist zunächst, dass die nationalen Wachstumspfade auf unterschiedlichen Niveaus verliefen. Dafür waren die unterschiedlichen pro Arbeitskraft verfügbaren Flächen verantwortlich – mit dem Spitzenreiter USA. In den europäischen Staaten lagen die entsprechenden Werte erheblich niedriger. Japan wies die geringsten Pro-Kopf-Flächen auf. Zudem fällt auf, dass die Wachstumspfade zwar in etwa derselben Richtung – von links unten nach rechts oben –, jedoch mit unterschiedlicher Steigung fortschritten. Auf dieser Grundlage lässt sich die Frage, wie technischer und institutioneller Wandel induziert wurde, knapp beantworten: In Weltregionen mit geringer Arbeitskraftdichte und großer Fläche pro Landarbeitskraft wie den USA wurde der im Vergleich zu Boden teure Produktionsfaktor Arbeit primär durch mechanische, die Arbeitsproduktivität steigernde Technologie ersetzt. In Weltregionen mit hoher Arbeitskraftdichte mit kleiner Fläche pro Landarbeitskraft wie Japan und, mit einigem Abstand, Europa wurde der im Vergleich zu Arbeit teure Produktionsfaktor Boden in höherem Maß durch landsparende, die Bodenproduktivität steigernde Technologie ersetzt. Die Industrialisierung induzierte im Agrarsektor – je nach Ausstattung mit Arbeit und Boden – den Ersatz des jeweils knapperen, folglich teureren Produktionsfaktors durch Kapital, indem sie ein billiges Angebot an arbeits- und landsparenden Technologien sowie die Nachfrage nach Nahrungsmitteln steigerte. Umgekehrt erhöhte das landwirtschaftliche Produktivitätswachstum die Nachfrage nach industriellen Inputs sowie – im Fall von arbeitssparender Technologie – das Angebot an Industriearbeitskräften. Kurz, Agrar- und Industrieentwicklung trieben einander wechselseitig an (Hayami und Ruttan 1985).

      In der Nachkriegszeit suchten die USA ihre Agrarüberschüsse nicht abzubauen, sondern – in Vorwegnahme von Welternährungsplänen der Vereinten Nationen – in hungergefährdeten, der westlichen Hemisphäre zugerechneten Staaten mit kriegerischen oder kolonialen Erblasten abzusetzen. Nahrung diente angesichts von Entkolonialisierung und „Kaltem Krieg“ als Waffe zur Eindämmung von Welthunger und Weltkommunismus. Die ideologische Rechtfertigung dieser doppelten Eindämmungsstrategie lieferte die produktivistische Vision, jeglichen Mehrbedarf durch ein Mehrangebot decken zu können. Das entsprechende Regelwerk umfasste einerseits das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) von 1947, das entsprechend der im „Kalten Krieg“ aufgewerteten Ernährungssicherheit den Agrarbereich aus der Handelsliberalisierung ausklammerte und protektionistische Maßnahmen gestattete. Andererseits sicherte das Abkommen von Bretton Woods von 1944 stabile Wechselkurse mit dem US-Dollar als Ankerwährung.

      Zunächst forcierte das European Recovery Program („Marshallplan“) von 1947 den Wiederaufbau der westeuropäischen Landwirtschaft mittels Technologie- und Wissenstransfers nach produktivistischem Muster. Nahrungshilfen wurden dabei nur zum Ausgleich der kriegsbedingten Einbrüche gewährt. In dem Maß, in dem Westeuropa den Grad seiner Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln steigerte, verengte sich der Absatzmarkt für die US-amerikanischen Agrarüberschüsse. Umgekehrte Akzente setzte das Food for Peace Program von 1954, das die US-Regierung zur Entwicklungshilfe für bedürftige Länder – einschließlich Japans, das bereits seit 1946 US-Nahrungshilfe erhalten hatte – ermächtigte. Damit erschlossen die USA auf Betreiben heimischer Farmerverbände staatssubventionierte Absatzmärkte für die Agrarüberschüsse – vor allem für Weizen, aber auch für Baumwolle, Ölfrüchte und Milchprodukte (Winders 2012, 146 ff.).

      Dieses Hilfsprogramm konzentrierte sich auf Nahrungslieferungen an hungergefährdete und militärstrategisch wichtige Entwicklungsländer; doch ein breit angelegter (Wieder-)Aufbau der Landwirtschaft in diesen Staaten war nicht beabsichtigt. Auch die „Grüne Revolution“ – als Gegengift zur ‚roten‘, kommunistischen Revolution – kam beim Transfer westlicher Hochleistungstechnologie und der damit verbundenen Abhängigkeit von Expertenwissen und Bankkrediten vor allem den herrschenden und kapitalistisch orientierten Klassen im jeweiligen Land zugute (Cullather 2010). Dies erzeugte neokoloniale Abhängigkeiten: Einerseits forcierten Nahrungshilfen zu billigen Preisen den Wandel der bäuerlichen → Landwirtschaftsstile von der Subsistenz- und Binnenmarktproduktion zur Weltmarktproduktion. Andererseits trieben sie den Wandel der → Ernährungsstile von regional angepassten zu am westlichen Standard orientierten voran. Nutznießer beider Entwicklungen waren transnational operierende Unternehmen mit Sitz in Nordamerika oder Westeuropa, die den Fernhandel mit tropischen Rohprodukten und die industrielle Lebensmittelverarbeitung kontrollierten (McMichael 2013, 32 ff.).

      Während die USA überschüssiges Brotgetreide vor allem als Nahrungsmittelhilfen in die ‚Dritte Welt‘ lenkten, exportierten sie die im Rahmen des GATT zollbefreiten Mais- und Sojabohnenüberschüsse nach Westeuropa und Japan als Futtermittel für den wachsenden Viehmastkomplex (siehe Box 2.4). Das Angebot an industriell hergestellten Fleisch- und Wurstwaren stieß auf die Nachfrage einer kaufkräftigen und am American way of life orientierten Konsumgesellschaft (Levenstein 2003; Hirschfelder 2005, 234 ff.; Langthaler 2016a, 2016b). Was in den 1950er Jahren als nachholende „Fresswelle“ einsetzte, mündete in den Folgejahrzehnten im grundlegenden Wandel der westlichen Ernährungsstile von getreide- und kartoffel- zu fleisch- und zuckerreicher Kost. Der Speisezettel der westlichen Wohlstandsgesellschaft verband sich mit rassen-, klassen- und geschlechterspezifischen Deutungen; er signalisierte ‚weiße‘, ‚mittelständische‘ und ‚männliche‘ Kost als Ausweis gesellschaftlichen Aufstiegs (siehe Kapitel 8). Schauplätze dieses standardisierten Lebensstils bildeten neben dem Familientisch in den eigenen vier Wänden neue Formen des Einzelhandels (z. B. Supermärkte) und des Essens außer Haus (z. B. → fast food; Schlosser 2002; Ritzer 2006). Der Landwirtschaft vor- und nachgelagerte Industrien an den Flaschenhälsen der Wertschöpfungskette steigerten ihre Profite, jedoch unter Ausklammerung erheblicher sozialer und ökologischer Kosten (Weir 2014; Weis 2013; Smil 2013; Langthaler 2016a, 2016b).

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