Agro-Food Studies. Ernst Langthaler
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3.2 Globalisierung – Lebensmittel mit loser Einbettung
Die Globalisierung ist eine vielschichtige Entwicklung, die – je nach Standpunkt und Begriffsverständnis – einige Jahrzehnte, eineinhalb Jahrhunderte oder ein halbes Jahrtausend zurückreicht; eine ihrer Facetten sind die zunehmenden internationalen Verflechtungen entlang der Wertschöpfungskette. In funktionaler Hinsicht besteht die Lebensmittelwertschöpfungskette aus den Stufen der landwirtschaftlichen Produktion, der Verarbeitung, des Handels und des Konsums, welcher in den Haushalten selbst oder außer Haus erfolgen kann. Zur erweiterten Wertschöpfungskette zählen zudem noch Inputs wie Saatgut, Energie oder Mineralstoffdünger sowie Outputs wie Abwässer, Abfälle und Abgase (siehe Abb. 3.1).
Globalisierte Warenketten (→ Wertschöpfungskette) verbinden Wertschöpfungsstufen in verschiedenen Ländern, häufig auch auf unterschiedlichen Kontinenten. Der Warenaustausch entlang globalisierter Ketten erfolgt in der Regel über anonymisierte Austauschbeziehungen; soziale Beziehungen zwischen den AkteurInnen der Wertschöpfungskette treten in den Hintergrund bzw. führen aus der Perspektive der Ökonomie höchstens zu verpönten Preisabsprachen oder anderen Wettbewerbsverzerrungen (Granovetter 1985). Die ökologischen und sozialen Produktionsbedingungen global gehandelter Lebensmittel sind für die KonsumentInnen, wenn überhaupt, nur über Labels oder die von Unternehmen selektiv bereitgestellten Informationen nachvollziehbar.
Abb. 3.1: Lebensmittelwertschöpfungskette (eigene Darstellung in Anlehnung an Strecker et al. 1996)
Die folgenden Abschnitte gehen auf drei wesentliche Triebfedern der Globalisierung ein: technische Innovationen, Liberalisierung des Welthandels und die Nachfrage einer wachsenden Bevölkerung nach ganzjährig verfügbaren, günstigen und vielfältigen Produkten. Im Anschluss widmen wir uns den Voraussetzungen und Folgen globalisierter Lebensmittelsysteme.
3.2.1 Triebkräfte der Globalisierung
Technische Innovationen
Seit Tausenden von Jahren gibt es transkontinentale Handelswege für den Austausch wertvoller Gewürze. Der zunächst mit Zugtieren betriebene Transport über Land und Kanäle wurde im 19. Jahrhundert durch dampfbetriebene Lokomotiven und Hochseeschiffe ergänzt und schließlich weitgehend durch den motorisierten Massentransport auf der Straße, den Weltmeeren und in der Luft abgelöst. Erst diese technischen Innovationen und die damit in Verbindung stehende Verbilligung des Transports haben den Handel großer Mengen und vielfältiger Lebensmittel ermöglicht.
Abb. 3.2: Handel ermöglicht die Spezialisierung von Regionen auf spezifische Produkte (erste Phase der Globalisierung)
Durch den Austausch von Massengütern konnten sich in der ersten Phase der Globalisierung (etwa von den 1870er Jahren bis in die 1920er Jahre, vgl. Kapitel 2) Betriebe spezifischer Regionen auf jene Produkte spezialisieren, die sie am besten und billigsten bereitstellen konnten (Weizenregion, Zuckerregion; siehe auch Abb. 3.2). Agrarbörsen und große Warenumschlagsplätze unterstützten diesen Spezialisierungsprozess, der auf der Nutzung von Standortvorteilen beruht, wie etwa für ein bestimmtes Produkt besonders günstige Kostenstrukturen, besonders geeignete Böden oder klimatische Bedingungen. Zudem erlaubte diese Spezialisierung die Nutzung von Skalenvorteilen. Je größer die produzierte Menge eines spezifischen Produktes, desto billiger wird die einzelne Einheit aufgrund der anteilsmäßig abnehmenden Fixkosten und desto eher können Betriebe in spezialisiertes Personal und neue Technologien investieren und ihren Wettbewerbsvorsprung ausbauen.
In der zweiten Phase der Globalisierung (etwa seit den 1950er Jahren) haben Entwicklungen in der EDV-gestützten Logistik und noch effizientere Transportsysteme die optimierte Erzielung von Kostenvorteilen in den einzelnen Schritten der Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Paketierung ermöglicht. So können regionale Wettbewerbsvorteile – absolute oder auch relative (komparative) – für einzelne Schritte der Wertschöpfungskette genutzt werden, sodass eine Wertschöpfungskette Betriebe verschiedener Länder oder unterschiedlicher Kontinente verbinden kann. Regionen und ihre Betriebe spezialisieren sich auf bestimmte Funktionen und nicht mehr auf bestimmte Produkte (vgl. Box 3.1).
Box 3.1: Rind- und Kalbfleischproduktion als Beispiel für arbeitsteilige Wertschöpfungsketten in der zweiten Phase der Globalisierung
Ein Stierkalb einer bayerischen Milchkuh hat u. U. einen amerikanischen oder niederländischen Vater. Besamungszucht-Unternehmen in diesen Ländern sind spezialisiert auf den Export von Stiersamen, der die Aufzucht von Kühen mit einer hohen Milchleistung verspricht. Dieses männliche Kalb findet im spezialisierten bayerischen Milchbetrieb keine Verwendung und wird daher z. B. nach Frankreich exportiert, dort mit nährstoffreichem Milchaustauscher gemästet und schließlich als Kalbfleisch vermarktet. Dasselbe Kalb könnte aber auch nach Spanien exportiert und dort mit aus Südamerika importiertem, gentechnisch verändertem Sojaschrot gemästet, geschlachtet und zu Rindfleisch verarbeitet werden. Während die Edelteile in Spanien oder Frankreich bleiben, kommen weniger begehrte Teile nach Afrika, Osteuropa oder Asien, von wo allenfalls wieder Verarbeitungsprodukte wie Gelatine, Collagen oder Fleischextrakte nach Europa exportiert werden.
Außer durch neue Transporttechnologien wurde der Warenaustausch auch durch Innovationen der Lebensmitteltechnologie unterstützt. Neue Konservierungstechniken und Zusatzstoffe wie Stabilisatoren, Antioxidantien, Emulgatoren, Feuchthaltemittel oder Säureregulatoren ermöglichten den Austausch verderblicher Waren auch über längere Distanzen und Zeiträume unter weitgehender Beibehaltung der Konsistenz, des Geschmacks und Geruchs des Lebensmittels.
Van der Ploeg (2010) weist darauf hin, dass multinational agierende Agrarunternehmen über einen bevorzugten Zugang zu technologischen Innovationen verfügen, was einer Industrialisierung und Standardisierung der Lebensmittelproduktion sowie einer weiteren Machtverschiebung Vorschub leistet. Der Handlungsspielraum der bäuerlichen Betriebe verengt sich, da sie von beiden Seiten, durch mächtige und transkontinental agierende Zulieferunternehmen von Vorleistungen für die landwirtschaftliche Produktion (Saatgut, Dünger, Medikamente etc.) und durch den hoch konzentrierten Handel, unter Druck geraten. Kontextspezifisches, informelles Wissen der Bäuerinnen und Bauern wird entwertet und durch standardisierte Praktiken der Landnutzung und Tierhaltung ersetzt. Bäuerliche Betriebe finden sich in einem „technologischen Hamsterrad“ wieder (Levins und Cochrane 1996). Neue Technologien führen zu Überproduktion und fallenden Preisen. Landwirtschaftliche Betriebe müssen kontinuierlich investieren, um ihre Produktion weiter zu steigern, ohne je selbst ausreichend vom Produktivitätszuwachs zu profitieren (Morgan und Murdoch 2000). Der Anteil des Endverbraucherpreises, der der Landwirtschaft zufällt, sinkt so zugunsten der konzentrierten Zuliefer- und Handelsunternehmen (Foresight 2011).
Liberalisierung des Handels
Multinational agierende Unternehmen der Agrar- und Lebensmittelindustrie und Verfechter des Freihandels haben über international