Soziale Netzwerke. Jan Arendt Fuhse

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Soziale Netzwerke - Jan Arendt Fuhse

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aus dem Austausch zwischen ihnen. Die Netzwerkforschung erhebt den Anspruch, Netzwerke als reale soziale Strukturen zu untersuchen. Dem gegenüber liefern Verteilungen von Merkmalen in einer Population nur indirekte Anhaltspunkte, so der Vorwurf.Natürlich reduziert auch die Netzwerkforschung das Soziale auf bestimmte Aspekte – nämlich auf die sozialen Beziehungsnetze. Der Anspruch der Netzwerkforschung ist aber, damit näher an der sozialen Realität zu liegen als mit der Reduktion auf isolierte Individuen in der klassischen empirischen Sozialforschung. In gewisser Weise ist dieses Argument eine Variante des anti-kategorischen Imperativs. Denn man geht eben nicht davon aus, dass die in Umfragen abgefragten Kategorien die entscheidenden oder prägenden Strukturen des Sozialen abbilden – sondern setzt auf die Untersuchung tatsächlicher Austauschbeziehungen.[18](3)Drittens formuliert die Netzwerkforschung eine deutliche Absage an rein theoretisches Arbeiten. Solches finden wir etwa in den Systemtheorien von Talcott Parsons und Niklas Luhmann, aber auch in der Kritischen Theorie und in anderen Gesellschaftsdiagnosen. Im Gegensatz dazu will die Netzwerkforschung Aussagen prinzipiell empirisch unterfüttern. Auch die eingangs formulierte These einer sich formierenden »Netzwerkgesellschaft« gehört zu solchen nicht überprüfbaren Aussagen und liegt der empirisch orientierten Netzwerkforschung fern. Mit dem Verzicht auf alles nicht empirie-fähige kann sie prinzipiell keine Aussagen über gesellschaftliche Strukturen oder über langfristige Entwicklungen treffen – außer man könnte sie untersuchen wie zum Beispiel die Struktur und Entwicklung von internationalen Beziehungen (Maoz 2010).

      Damit betreibt die Netzwerkforschung die empirische Untersuchung von sozialen Strukturen auf der Meso-Ebene hinsichtlich der Muster sozialer Beziehungen. Diese liegen zwischen der Mikro-Ebene von Interaktionssituationen und der Makro-Ebene gesellschaftlicher Teilbereiche und Institutionen. Die Vorgehensweise ist prinzipiell strukturalistisch, weil die Strukturebene als zentral betrachtet wird. Der gesellschaftliche Kontext bleibt dabei genauso ausgeblendet (oder zumindest: nachgeordnet) wie die Verteilung individueller Attribute oder kulturelle Selbstverständnisse.

      (c) Vier Forschungsstränge und Überblick über das Buch

      Innerhalb des so umrissenen Grundansatzes können wir soziale Netzwerke unterschiedlich betrachten. Je nach eingenommener Perspektive werden unterschiedliche Methoden zur Untersuchung benutzt. Dadurch werden verschiedene Aspekte von Netzwerken sichtbar. Grob lassen sich vier Herangehensweisen und Stränge in der Netzwerkforschung unterscheiden (Fuhse/ Mützel 2011):

(1)Im Mittelpunkt steht die formale Analyse von Vollnetzwerken. Dafür braucht man Informationen über alle Sozialbeziehungen zwischen allen Akteuren in einem relativ abgegrenzten Kontext – etwa zwischen Schülern in einer Klasse oder den Mitarbeitern eines kleinen Unternehmens. Die Akteure können dann mit Blick auf ihre Zentralität oder ihre Rolle im Netzwerk miteinander verglichen werden. Oder man kann Aussagen über die Struktur des Gesamtnetzwerks treffen – etwa über die Dichte der Beziehungen oder über systematische Rollenbeziehungen. Im vorliegenden Buch beschäftigen sich die Kapitel 3 bis 7 mit unterschiedlichen Verfahren und Ansätze dieser ➔formalen Netzwerkanalyse.
[19](2)Auch die statistische Analyseego-zentrierter Netzwerke ist schon lang etabliert und anerkannt. Dabei werden meist zufällig ausgewählte Personen nach wichtigen sozialen Beziehungen gefragt. Aus den Antworten lässt sich etwa ablesen, ob die Befragten weitgehend Familie, Freunde und Bekannte mit ähnlichen Attributen (soziale Herkunft, Geschlecht, Alter, Bildung usw.) als Bezugspersonen nennen, wie viele Bezugspersonen sie nennen, und ob sich viele der Bezugspersonen untereinander kennen. Die Eigenschaften persönlicher Netzwerke werden dann mit statistischen Verfahren auf Zusammenhänge mit anderen individuellen Variablen untersucht. Damit lassen sich etwa folgende Fragen analysieren: Inwieweit pflegen Mitglieder ethnischer Gruppen vor allem Kontakte untereinander? Haben Frauen dichtere Beziehungsnetze? Werden Menschen im Alter sozial isoliert? Um die Erhebung und die Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke geht es in Kapitel 8.
(3)In den letzten Jahren werden verstärkt auch qualitative Methoden zur Untersuchung sozialer Netzwerken verwendet (Hollstein/Straus 2006; Crossley 2010; Bellotti 2015). Dabei geht es vor allem entweder um die Exploration von Netzwerkkontexten, die für quantitative Studien schwer zugänglich sind, oder um das Verstehen von Sinngehalten in Netzwerken: Welche Bedeutungen haben Beziehungen und Netzwerke für die Beteiligten? Wie werden diese in der Kommunikation ausgehandelt? Und sind unterschiedliche Stile oder Orientierungen an bestimmte Positionen im Netzwerk gebunden? Kapitel 9 behandelt die qualitative Untersuchung von sozialen Netzwerken.
(4)Auch die theoretische Reflexion blieb lange relativ randständig in der Netzwerkforschung. Seit etwa 1990 behandelt jedoch eine Reihe von Publikationen Fragen wie: Was sind soziale Netzwerke genau, und wie verändern sie sich? Warum zeigen sie die vielfältigen, empirisch beobachtbaren Effekte (White 1992; Crossley 2011; Fuhse 2015a)? Um diese theoretische Reflexion und Unterfütterung der Netzwerkforschung geht es in Kapitel 11. In diesen Bereich gehören auch schon die konzeptionellen Überlegungen zu Sozialbeziehungen aus der formalen Soziologie von Georg Simmel und Leopold von Wiese und der Figurationssoziologie von Norbert Elias (Kapitel 2).

      Diese vier Forschungsstränge sind immer wieder miteinander verwoben, etwa im Sozialkapitalkonzept (siehe 11.2) oder in der Identifikation von wieder kehrenden Netzwerkmechanismen (Kapitel 10). Es ist sinnvoll, das Phänomen Netzwerke von mehreren Seiten (mit unterschiedlichen Methoden) zu betrachten. Auch gehören empirische Forschung und theoretische Reflexion zusammen.

      [20]Das Buch gliedert sich wie folgt:

       Im zweiten Kapitel werden die Vorläufer der Netzwerkforschung beleuchtet. Dabei stehen die konzeptionelle Entwicklung in der formalen Soziologie, der britischen Sozialanthropologie und anderen Ansätzen im Vordergrund. Zusätzlich erläutere ich die Entwicklung von grundlegenden Ideen wie der Balance-Theorie und den Soziogrammen (2).

       Anschließend stelle ich Graphen und Matrizen als Basis der Netzwerkanalyse vor, sowie die in den Kapiteln 3 bis 6 verwendete Software UCI- NET. Daneben diskutiere ich kurz die Messung von Netzwerken und erste Maßzahlen mit der Dichte und der Reziprozität von Netzwerken (3).

       Das vierte Kapitel wendet sich der Untersuchung von individuellen Positionen im Netzwerk zu. Im Mittelpunkt stehen verschiedene Maße für Zentralität. Daneben werden die Stärke schwacher Beziehungen bzw. Brücken über strukturelle Löcher diskutiert (4).

       Es folgt die Untersuchung von lokalen Strukturen in Netzwerken. Können wir dicht vernetzte Subgruppen (Cliquen) identifizieren? Und welche Grundkonstellationen von je drei Akteuren (Triaden) dominieren (5)?

       Das sechste Kapitel stellt die Blockmodellanalyse als ein Verfahren für die Untersuchung der Gesamtstruktur von Netzwerken vor. Diese gruppiert Akteure induktiv zu Kategorien mit ähnlichen Rollenbeziehungen (6).

      Die Kapitel 3 bis 6 stellen die jeweiligen Verfahren anhand einer Beispielstudie vor – den Freundschafts- und Ratsuchebeziehungen in einem kalifornischen IT-Unternehmen (Krackhardt 1992; 1999). Die Analyseschritte und Ergebnisse werden in UCINET durchgeführt und hierfür knappe Anleitungen gegeben. In diesen Kapiteln formuliere ich auch kurze Übungsaufgaben, um sich mit dem Programm und den Analysen vertraut zu machen.

      Die restlichen Kapitel liefern eher Überblicke über die jeweilige Forschung:

       Das siebte Kapitel behandelt neuere Entwicklungen: zum einen die Forschung zu sogenannten Small World-Netzwerken, also zur universalen Erreichbarkeit aller Individuen in wenigen Schritten; zum anderen die Verfahren der Netzwerksimulation und die damit verwandten Exponential Random Graph Models (7).

       Anschließend geht es um die Untersuchung ego-zentrierter Netzwerke in standardisierten Befragungen. Hier stelle ich

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