Soziale Netzwerke. Jan Arendt Fuhse
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Solche Two-Mode-Netzwerke werden in der Netzwerkforschung häufig analysiert. Sie zeigen gegenüber den üblichen Netzwerken mit nur einer Art von Knoten ganz bestimmte Eigenschaften. Two-Mode-Netzwerke lassen sich einfach in zwei getrennte Netzwerke überführen. Zum Beispiel könnten wir das Netzwerk der Frauen in Old City rekonstruieren, indem wir die Beziehung zwischen zwei Frauen immer dann als Beziehung codieren, wenn beide gemeinsam an mindestens einem (zwei, drei …) Ereignissen teilgenommen haben.
[32]Definition: In einem ➔Two-Mode-Netzwerk sind zwei verschiedene Arten von Knoten (z. B. Akteure und Ereignisse) wechselseitig verbunden (also nur Ereignisse mit Akteuren). Knoten der gleichen Art sind nur indirekt über die Knoten der zweiten Art verknüpft
Tab. 2: Akteure und Ereignisse in »Old City«
Quelle: Davis et al. 1941: 148
[33]Eine wichtige theoretische Synthese legte ein junger Kollege von Warner und Mayo in Harvard, George Caspar Homans, in seinem Buch The Human Group vor ([1950] 1992). Homans kam aus der Literaturwissenschaft und wurde später vor allem durch seine Verhaltenstheorie bekannt.
Schon in The Human Group entwickelt er eine ganz eigene These auf soziale Konstellationen. Diese baut auf empirisch beobachteten »Ereignissen« oder »Verhalten« auf – nicht auf mit Fragebögen erhobenen Daten. Bei Ereignissen handelt es sich meist um »Interaktion« mit anderen (ohne Referenz auf den symbolischen Interaktionismus). Diese sind mit individuellen Empfindungen oder Emotionen (»sentiments«) unterlegt. Interaktionen verdichten sich in Gruppen, die durch eigene Normen und eine Gruppenkultur stabilisiert werden. Zudem findet sich in Gruppen eine interne Struktur mit Anführern und Rangunterschieden.
Sowohl die Abgrenzung zwischen Gruppen als auch die internen Strukturen von Gruppen sollen nach Homans mit soziometrischen Verfahren – also mit ➔Netzwerkgraphen und -matrizen analysiert werden. So nimmt Homans etwa die Soziogramme aus dem Bank Wiring Room der Hawthorne-Studie wieder auf ([1950] 1992: 48ff). Homans präsentiert in seinem Buch eine ganze Reihe der verfügbaren Daten zu informalen Gruppenstrukturen und interpretiert sie vor seinem theoretischen Hintergrund. Allerdings fehlen bei ihm – wie bei den anderen diskutierten Beispielen für Human Relations-Studien – formale mathematische Analysen.
2.7 Frühe Gemeindestudien und Surveys
Einen etwas anderen Blickwinkel auf Sozialbeziehungen und Netzwerke verfolgten die frühen Gemeindestudien um W. Lloyd Warner und Survey-Untersuchungen um Paul Lazarsfeld. Hier geht es weniger um die Struktur von Netzwerken als um die Verteilung von Sozialbeziehungen innerhalb von Populationen. Sie bilden direkte Vorläufer der heutigen Studien zu ➔ego-zentrierten Netzwerken (Kapitel 8).
W. Lloyd Warner war wie Mayo aus Australien an die Harvard University gekommen. In den USA führte er mit Kollegen die ersten großformatigen Gemeindestudien durch. Sie untersuchten mit unterschiedlichen Methoden die soziale Struktur von Newburyport, einer industriellen Kleinstadt im Nordosten der USA. Dabei fanden sie unter anderem eine starke Rolle von informalen Gruppierungen oder ➔Cliquen. In den daraus entstandenen Yankee City-Studien analysieren Warner und Paul Lunt unter anderem, inwiefern diese Cliquen nach Schichten getrennt sind (1941: 110ff; 350ff).
[34]Auch wenn Warner und seine Kollegen hier und an anderen Stellen ein Interesse an der Struktur sozialer Beziehungen zeigen, geht es hier in erster Linie um deren Verteilung: Zwischen welchen Kategorien von Personen (hier: Schichten) bestehen in welchem Umfang Sozialbeziehungen? Auf diese Weise erfährt man etwas über das systematische Muster an Beziehungen zwischen den Kategorien in einer relativ großen Population – aber nichts über die tatsächliche Struktur von Beziehungen zwischen Einzelpersonen.
Eine etwas andere Herangehensweise finden wir in den Studien von Paul Lazarsfeld, einem österreichischen Emigranten. Lazarsfeld gilt heute als Begründer der modernen Survey-Forschung. In einer der ersten breit angelegten Umfragen zeigte er mit Kollegen die große Bedeutung des persönlichen Austauschs mit anderen in der politischen Meinungsbildung (Lazarsfeld et al. [1944] 1968). Lazarsfeld und seine Mitstreiter wiesen nach: Politische Einstellungen und dann auch die Wahlentscheidung hängen viel mehr vom persönlichen Umfeld ab als etwa von den rezipierten Massenmedien (siehe auch Schenk 1995).
In einem späteren Artikel wendet sich Lazarsfeld gemeinsam mit Robert Merton dem Phänomen der ➔Homophilie zu (1954: 23ff):
Erstens bilden sich Freundschaften vor allem zwischen Personen mit ähnlichen Werten und Einstellungen. Denn hier erhalten die Beteiligten wechselseitige Zustimmung für ihre Sichtweisen, was als belohnend empfunden wird. Dies ist das Prinzip der Werte- oder Einstellungs-Homophilie.
Zweitens führt der enge und wiederholte Austausch in Freundschaften zu einer Angleichung von Werten und Einstellungen (Anpassung; siehe 10.4) oder auch zum Abbruch der Beziehung bei zu viel beharrlichem Widerspruch.
Definition: Werte- oder Einstellungs-Homophilie steht für die Tendenz, Sozialbeziehungen vor allem mit Gleichgesinnten zu bilden (und enge Beziehungen mit Andersdenkenden aufzulösen). Davon zu trennen ist der Mechanismus der Anpassung: Innerhalb von engen Sozialbeziehungen ergibt sich eine Angleichung von Werten und Einstellungen.
Diese Zusammenhänge zwischen Beziehungen und Einstellungen entsprechen recht genau Heiders Balance-Theorie. Methodisch lassen sich die Ergebnisse von Homophilie und Anpassung im Querschnitt nachweisen, wenn in einer Population mehr Sozialbeziehungen zwischen Personen mit gleichen Werten und Einstellungen bestehen, als bei einer zufälligen Verteilung zu erwarten wäre. Um diese ➔Mechanismen voneinander zu trennen, braucht[35] es aber Daten über die Veränderungen von Beziehungen und Einstellungen über die Zeit (Lazarsfeld/Merton 1954: 37ff).
Wie in den Arbeiten um Warner wird bei Lazarsfeld in statistischen Verfahren der Zusammenhang zwischen persönlichen Beziehungen und Individualvariablen untersucht. Dabei geht es aber nicht darum, zwischen welchen Kategorien sich Beziehungen bilden. Sondern der Einfluss von persönlichen Beziehungen auf individuelle Einstellungen und Verhalten (die politische Wahl) wird untersucht. Dafür müssen Netzwerke mit anderen Variablen in Beziehung gesetzt werden. Die Studien von Warner und Lazarsfeld weisen damit in eine ganz andere Richtung als die Soziometrie und die Balance-Theorie: hin zur Untersuchung und statistischen Analyse von ➔ego-zentrierten Netzwerken in Umfragen (Kapitel 8).
2.8 Britische Sozialanthropologie
Der Begriff des sozialen Netzwerks wurde allerdings erst in einem weiteren, weitgehend unabhängigen Ansatz entwickelt: der britischen Sozialanthropologie. Diese war vor allem an der University of Manchester beheimatet.
(a) Soziale Struktur bei Radcliffe-Brown
Impulse dafür gab wiederum der Ethnologe A. R. Radcliffe-Brown. Er formulierte in seiner Präsidentschaftsrede an das britische Royal Anthropological Institute:
»human beings are connected by a complex network of social relations. I use the term ›social structure‹ to denote this network of actually existing relations.« (1940: 2)
Radcliffe-Brown spricht eher nebenbei von Netzwerken, bestimmt sie aber recht genau. Zwei Aspekte sind hier wichtig:
(1) | Mit der Bestimmung von »sozialer Struktur« als »Netzwerk
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