Handbuch Bibeldidaktik. Группа авторов
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Dabei ist das vorliegende Psalmenbuch in seiner Endgestalt durch Aneinanderreihungen von Teilsammlungen entstanden, die chronologische Abfolge entspricht in etwa auch der Abfolge des Alters. Die Datierungshypothesen divergieren stark (5.–2. Jh. v. Chr.), heute datiert man die Endgestalt etwa zwischen 200–150 v. Chr.[6]
Hauptgattungen
In der Exegese steht der Begriff der Formgeschichte für den Durchbruch zu einer anderen Betrachtungsweise. Die formgeschichtlichen Forschungen im Gefolge H. Gunkels[7] versuchen, die einzelnen Psalmen in ihren unterschiedlichen Formen liturgischen Vollzügen zuzuordnen.
Dabei wird unterschieden zwischen folgenden Gattungen[8] in ihrem hier kurz skizzierten idealtypischen Aufbau:
Klagelieder des Volkes und des Einzelnen (Klage mit Bitte um Rettung; Bekenntnis des Vertrauens bzw. Lob[versprechen]),
Bittpsalmen (einleitende Bitte; Betonung der Unschuld; Schilderung der Not mit Bitte um Hilfe; abschließende Bitte mit Bezug zu Feinden/Freunden)
Hymnen/Lobpsalmen (Aufforderung zum Lob; Begründung und Durchführung des Lobes)
Dankpsalmen (Ankündigung des Dankes; Rettungserzählung; Einladung, sich dem Dank anzuschließen)
Man kann aber auch mit den Methoden der Formgeschichte wie in der Evangelienforschung hinter die vorliegende Form der Texte zurückfragen nach den elementaren Formen der mündlichen Überlieferung, und in dieser Zuspitzung ist die formgeschichtliche Frage ein Schlüssel auch für die didaktische Arbeit an den Psalmen.
Denn die literarische Kunstform der uns heute vorliegenden Psalmen ist das Endstadium; unsere Frage nach dem Elementaren verweist uns auf die Anfänge, |152|auf die Bausteine, aus denen die komplexe Endgestalt zusammengefügt ist, und da stoßen wir auf die einfachen Formen mündlicher Rede: emotional geladene, streng geformte Sätze, Klagen, Bitten oder Worte des Vertrauens – offenkundig Keimzellen, aus denen die Psalmen gewachsen sind – und eben dies sind die Sätze, zu denen Jugendliche und Kinder zuallererst Zugang finden.[9]
Didaktisch erster Zugang: die Klage
Als Impulse für das Gespräch haben wir diese Sätze ohne jeden Kommentar präsentiert – der Hinweis auf Alter und Herkunft hätte unweigerlich schon wieder Distanz geschaffen –, auf große Karten geschrieben und so in unterschiedlichen Anordnungen verwendet.[10] Diese Psalmensätze aber sind nicht beliebig einsetzbar; sie ordnen sich zu einer didaktisch bindenden Reihenfolge, die auch theologisch interessant ist:
Die Sätze, die allen Kindern und Jugendlichen unmittelbar zugänglich sind, ohne weitere Voraussetzungen, sind Worte der Klage. Offenbar sind sie die elementarsten Worte der Psalmen; jedenfalls sind es Worte, in denen schon Kinder sich unmittelbar wiederfinden:
Ich rufe, und du antwortest nicht (22,3Ps 22,3).
Ich bin wie ein zerbrochenes Gefäß (31,13Ps 31,13).
Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist (69,3Ps 69,3).
Warum hast du mich verlassen? (22,2Ps 22,2).
Folgen wir unserer didaktischen Analyse, so ist dies die erste Überraschung: Die erste Stufe des Psalmengebets ist nicht das Lob, sondern die Klage. Und die zweite überraschende Entdeckung ist: Dies ist keine religiöse Sprache, sondern eine ganz elementar menschliche Sprache, Kinder und Jugendliche ohne jede religiöse Sozialisation verstehen sie unmittelbar.
Und die dritte Überraschung: Die Gotteserfahrung müssen wir nicht mühsam an die Kinder herantragen, sie ist in dieser so ganz und gar menschlichen Sprache unmittelbar präsent, implizit, doch unüberhörbar. Sie braucht keine theologische Sprache, denn diese ganz einfach menschliche Sprache ist randvoll von Gotteserfahrung; ohne sie wären diese Sätze der Klage nie formuliert worden. Sie sind ja nicht einfach „Klage“, larmoyant und hilflos, es sind Hilferufe, die in der Verzweiflung nicht aufhören, auf Hilfe zu hoffen.
Und eben das ist die Stärke der biblischen Rede von Gott: dass sie nicht abhebt in eine „religiöse Dimension“,[11] nur denen zugänglich, die einen Sinn |153|fürs Übersinnliche mitbringen. Die biblische Sprache ist unter Menschen mit Migrations-, ja Deportationshintergrund geboren, nicht aus der religiösen Frage nach dem Übersinnlichen, sondern aus den elementarsten Bedürfnissen der Menschen, die in dem Würgegriff dieser Leiden und Ängste ihr Menschsein noch zu bewahren suchen. Und mitten in diesen Fragen trifft sie eine neue Sprache, die ihnen eine Ahnung von Freiheit bringt, die all die brennenden Fragen ihrer Sehnsucht aufnimmt, doch nicht mit dem Ziel, sie religiös zu lösen, sondern sie real herauszuführen aus diesem Elend.
Ohne diese Grunderfahrung, dass alles Schreien und Weinen nicht ins Leere geht, wäre kein Satz der Psalmen je ausgesprochen worden. Nur ist diese Erfahrung nicht wie eine denknotwendige Voraussetzung rational präsent, sondern emotional als Ahnung und Hoffnung. Hier sind nicht Dichter am Werk, die persönliche oder kollektive Erfahrungen in eine kunstvolle Form bringen, sondern emotionale Erfahrungen von unerhörter Intensität, auf der Suche nach einer Sprache, die ihnen angemessen ist und doch kommunikabel bleibt. Diese Sprache aber kann sich nicht als Monolog entfalten, das ist nur als ästhetische Attitüde so möglich; im Ernstfall braucht sie ein Gegenüber – die Ursprungssituation des Gebets.
Die Klage sucht Antwort
Die Klage wartet auf Antwort, und so fragen wir weiter nach Worten, die denen der Angst entgegenkommen. Es müssen Worte sein, die nicht weniger elementar sind; nur so können sie der Angst antworten. Sie dürfen nicht vorspiegeln, eine „Lösung“ zu haben, die es existenziell ja gar nicht gibt; sie müssen aber in der Lage sein, eine Gegenerfahrung zu mobilisieren:
Du bist mein Fels (31,4Ps 31,4).
Deine Hand hält mich fest (63,9Ps 63,9).
Du bist mein Lied (118,14Ps 118,14).
Du bist bei mir (23,4Ps 23,4).
Folgen wir den Psalmen, so erteilen sie uns eine didaktisch nachdrückliche Warnung: Sie bringen ihre Gegenerfahrung nicht wie eine Lösung ins Spiel, so als sei mit dem Hinweis auf „Gott“ alles gelöst. Die Bibel lebt aus einer Gotteserfahrung, die nicht mit einem einzigen Namen einzufangen ist, schon gar nicht |154|mit dem farblosen Wort „Gott“; aber mit der Frage nach dem Namen sind wir didaktisch auf der Spur zu dem theologischen Kern der Bibel.
Denn die geläufige Übersetzung „der Herr“ ist nicht wirklich ein Name, vielmehr nur eine Umschreibung des unaussprechlichen Namens, der sich hinter den Buchstaben JHWH verbirgt: Er offenbart sich dem Mose aus dem brennenden Dornstrauch mit einem hebräischen Wort, das die Zusage gibt: Ich bin da, ich will mit euch sein, das ist mein Name – der sich sogleich aber dem allzu direkten Zugriff wieder entzieht: Ich bin, der ich bin (Ex 3,14Ex 3,14).
Das Geheimnis dieses Namens ist: Er ist die Antwort, nach der die Klagen suchen, Inbegriff allen Trostes; in der reziproken Form als Anrede erscheint er im 23. Psalm: „Du bist bei mir“; und dies ist auch für Kinder das Vertrauenswort, das alle anderen in sich schließt. Es schließt auch ganz menschliche Erfahrungen ein, den Trost, der von der Gegenwart der Mutter ausgeht, vom Beistand der Freundin, von der Erfahrung, nicht allein zu sein in der Angst.
Dies ist eine Erfahrung, die immer neue Namen sucht, weil keiner sie ganz