Sozialraumorientierung 4.0. Группа авторов

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Sozialraumorientierung 4.0 - Группа авторов

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      Am konkreten Beispiel des BTHG wurde und wird in der evangelischen Stiftung Ludwig-Steil-Hof in Espelkamp ein anderer, nämlich sozialraumorientierter Weg gegangen. Um diesen zu beschreiben, folgen nun einige Bemerkungen zum BTHG.

      Von Böhnisch, Schröer und Thiersch (2005) stammt der Satz: „Indem sich sozialpädagogische Arbeit […] auf Menschen in ihren Verhältnissen und in ihrer Biographie einlässt – also auf die Komplexität von Lebenswelten, auf Lebensthemen, individuelle Prägung, Situationen und Gelegenheiten – arbeitet sie im Rahmen ihrer unterschiedlichen institutionell geprägten Zugänge im Offenen“ (S. 123).

      Bezogen auf das zweite Prinzip, besonders in der Differenz zwischen „aktivierender Arbeit“ und „betreuender Tätigkeit“, kann behauptet werden, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen zur Eingliederungshilfe (SGB XII) eher eine Tendenz zur „betreuenden Tätigkeit“ aufweisen. Dies deshalb, weil die sogenannte Personenzentrierung letztlich darin mündet, Menschen nach ihren Defiziten zu clustern und sie dann einer Betreuungs- und Wohnform (ambulant oder stationär) zuzuordnen. Mit dieser Herangehensweise werden Lebenswelten eher konstruiert denn berücksichtigt, Lebensthemen werden auf Krankheits- und Behinderungsbilder reduziert und individuelle Prägungen letztlich lediglich als das angenommen, was zur Kategorisierung führt. Kurzum: Letztlich steht die organisationale Logik sowohl von Leistungsträgern als auch von Leistungserbringern über der personenzentrierten Herangehensweise. Im Grunde der Versuch, der Unerträglichkeit, im Offenen (aktivierend) zu arbeiten, eine zumindest in Teilen geschlossene Ordnung entgegenzusetzen.7 Aus fachlicher Sicht ist es daher zu begrüßen, dass mit dem BTHG der (wenn auch bedingt gelungene) Versuch unternommen wird, die Personenzentrierung zu stärken.

      Das Bundesteilhabegesetz zieht seine Legitimation aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (kurz: UN-BRK8), die im Jahr 2009 in Deutschland ratifiziert und somit geltendes Recht wurde. Ziel der Konvention ist es, die Rechte von Personen mit Behinderungen zu stärken und Inklusion zu fördern. Diese beiden Aspekte sollen nun mit dem BTHG realisiert werden.

       Die nachstehende Tabelle9 zeigt eine Übersicht über die einzelnen Einführungsschritte.

      Die sich aus dieser Gesetzänderung ergebenden Konsequenzen sind für alle Beteiligten im sogenannten Leistungsdreieck, also Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger, erheblich. Organisationsabläufe verändern sich aufgrund mehrerer Leistungsträger. Die leistungserbringende Organisation ist deutlich weniger (bis gar nicht) in den Prozess der Hilfeplanung involviert. Und Klient/innen erfahren, was es bedeutet, wenn aktivierende Arbeit konsequent umgesetzt wird.

      Im folgenden Beispiel zeigen wir einige Möglichkeiten auf, die sich hinsichtlich der Umsetzung der Sozialraumorientierung, speziell des zweiten Prinzips, ergeben.

      3.2.Sozialräumliche Erzählung zum BTHG am Beispiel Ludwig-Steil-Hof

      Der Ludwig-Steil-Hof ist ein Komplexträger mit ca. 600 Mitarbeitenden, der im Bereich der Jugendhilfe, der Psychosozialen Rehabilitation, Schulen, Berufliche Bildung und Altenhilfe tätig ist. Im Bereich der Psychosozialen Rehabilitation, auf den sich dieses Beispiel bezieht, arbeiten ca. 90 Mitarbeitende verschiedener Professionen, die 92 Personen in „besonderen Wohnformen“10 (inklusive Tagesstrukturangebot) und 60 Personen ambulant unterstützen. Dieser Bereich wird von der Autorin des vorliegenden Textes geleitet.

      Auf der organisational-systemischen Ebene war und ist natürlich auch der Ludwig-Steil-Hof gezwungen, die mit dem BTHG einhergehende veränderte Gesetzeslage auf die eigenen Strukturen anzupassen. Doch statt eine Stabsabteilung damit zu beauftragen, sich möglichst viel Expertise „drauf zu schaffen“, um dieses Wissen dann im Widerspruch zum dritten Prinzip der Sozialraumorientierung bedarfsgerecht auf unterschiedliche Personenkreise wie Mitarbeitende, Klient/innen, Angehörige und rechtliche Betreuer/innen zu verteilen, wurde und wird im Ludwig-Steil-Hof ein anderer Weg gegangen: nämlich der Weg des Narratives der sozialräumlichen Erzählung, wie er zum Anfang dieses Beitrags beschrieben wurde und der nun, wie oben angekündigt, am Beispiel geschärft wird.

      Die Geschichte beginnt mit einem abstrakten Schock. Dieser trat ein, als die Autorin dieses Kapitels zum ersten Mal darauf hinwies, dass das BTHG kommen und im Grunde alles Bisherige verändern, zumindest jedoch in Frage stellen werde. Abstrakt war dieser Schock, weil zu diesem Zeitpunkt noch niemand wirklich wusste, was das genau bedeuten würde. Der Schock wurde nicht kleiner, als (zunächst) den Mitarbeitenden klar wurde, worin die Veränderungen im Einzelnen bestehen (z. B. das Ende der „Vollpension“ mit Essensanlieferungen aus der Großküche und für die Klient/innen zubereitete Brotplatten zum Frühstück und Abendbrot – hin zu gemeinschaftlichem Kochen in den Wohngruppen). Und dies, so mussten die Klient/innen und die Mitarbeitenden lernen, auf der Basis von ca. 133 € im Monat, die im Rahmen der getrennten Leistungen, nach Abzug von Strom, Kleidung, Teilhabe, Bildung (ca. 91 Cent/Monat) etc. ab dem 01.01.2020 auf der Basis der Grundsicherung (Regelbedarfsgruppe 2, derzeit 382 €/Monat) jeder und jedem zur Verfügung stehen.11 In diesem Zusammenhang kamen immer mehr Fragen auf, die es zu klären galt. Wir konzentrieren uns hier auf die Relevanz für die sozialräumliche Erzählung. Diese bestand zunächst darin, dass Klient/innen und Mitarbeitende in unterschiedlichen Konstellationen gemeinsame Teams bildeten, um sich zum einen die Inhalte des Gesetzestextes zu erarbeiten und zum anderen Konsequenzen daraus zu ziehen. Da nun in der Zusammenarbeit keine Trennung mehr zwischen Mitarbeitenden und Klient/innen bestand, wurden auch die Prinzipien der Sozialraumorientierung für alle gleichermaßen bedeutsam. Im Sinn des ersten Prinzips wurde unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Arbeitsverteilung zwischen Klient/innen und Mitarbeitenden eine Klärung der gegenseitigen Erwartungen12 herbeigeführt. Genau genommen haben sich beide Parteien gegenseitig aktiviert.

      Diese Aktivität wirkte und wirkt sich in der Erzählung auf die drei folgenden Prinzipien dahingehend aus, dass die „gemischten“ Teams in der Folge Veranstaltungen durchgeführt haben, in den Klient/innen rechtlichen Betreuer/innen und ihren Angehörigen „beigebracht“ haben, welche Auswirkungen das BTHG auf diese und sich selbst haben. Die Tatsache, dass sich die Klient/innen dies getraut haben, löste ein gesteigertes Selbstbewusstsein aus. Zudem haben Mitarbeitende, rechtliche Betreuer/innen und Angehörige die Klient/innen auf eine Weise kennen gelernt, die dafür sorgte, dass Beziehungen neu gestaltet und intensiviert wurden und werden.

      Neben der Tatsache, dass sich Beziehungen und dadurch sozialräumliche Bezüge der Klient/innen durch die konsequente Anwendung der Prinzipien verändert haben, sind diese zum Teil inzwischen an einer Fachhochschule als Lehrbeauftragte für das Thema BTHG tätig. Studierende lernen von denen, die sie unterstützen sollen, somit unmittelbar, dass sie nicht lediglich nicht härter arbeiten sollen als die Klient/innen, sondern zugleich, dass dies gar nicht nötig ist.

      Dies zeigt exemplarisch, wie die Umsetzung des zweiten Prinzips der Sozialraumorientierung möglich ist. Doch ein spürbarer Erfolg kann für alle Beteiligten nur dann entstehen, wenn dauerhaft und somit nachhaltig die Prinzipien auch in der Lehre so vermittelt werden, dass sie in der sogenannten Praxis ankommen. Das Projekt, dass Klient/innen Lehre übernehmen, ist dafür eine geeignete Möglichkeit. Um das zu verdeutlichen, wird hier abschließend von diesem Ereignis sozusagen aus dem Nähkästchen berichtet.

      Zunächst gilt es festzustellen, dass der Übernahme der Lehre eine ganze Reihe von Prozessen im Ludwig-Steil-Hof vorausgegangen war. Über Tandems von Mitarbeitenden und Klient/innen wurden einzelne Themen erarbeitet, in verschiedenen Kleingruppen wurden Vorträge vorbereitet, bis zu Generalproben geübt usw. Die Veranstaltungen mit den rechtlichen Betreuer/innen und den Angehörigen fanden in vertrauten Umgebungen statt. Erst mit diesen Erfahrungen war es möglich,

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