Sozialraumorientierung 4.0. Группа авторов

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Sozialraumorientierung 4.0 - Группа авторов

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des Vorrangs nicht aus dem Blick gerät. Denn selbstverständlich ist es einfacher, in Routinen zu verfallen, als immer aufs Neue zu aktivieren. Das jedoch ist der Auftrag.

      Zusammengefasst zeigen die Grauzonen dieses Satzteils an, dass „aktivierende Arbeit“ der Auftrag ist, indes die „betreuende Tätigkeit“ eine Option darstellt. Also ein Sowohl-als-auch und kein Entweder-oder. Der Fokus liegt jedoch auf dem Sowohl der „aktivierenden Arbeit“. Was das bedeutet, wird nachstehend genauer betrachtet.

      2.2.„Arbeite nie härter als Dein Klient“

      Der axiomatische Imperativ „Arbeite nie härter als Dein Klient“ kann, wie oben beschrieben, als eine Faustregel verstanden werden. Und zwar dafür, „aktivierende Arbeit“ zu realisieren.

      Doch zunächst ein Intermezzo.

      Das Diktum „Arbeite nie härter als Dein Klient“ weist die Stärke auf, ebenso eindringlich wie gut merkbar zu sein. Allerdings ist die Formulierung dahingehend etwas unglücklich gewählt, dass es sich bei dem Wort „Dein“ um ein sogenanntes Possessivpronomen, also ein besitzanzeigendes Fürwort handelt. Das ist zweifach problematisch. Zum einen geht damit der Klient in den Besitz der Fachkraft über, zum anderen bedeutet das Wort „für“ (Fürwort) auch „anstelle von“. Das wiederum konterkariert die eigentliche Idee einer grundsätzlichen Tendenz zur „aktivierenden Arbeit“ in Richtung „betreuende Tätigkeit“; bis hin zur stellvertretenden Übernahme auch von Aspekten, die die Person (hier der Klient) selbst kann. Im Extrem gedacht bedeutet dies, dass, wenn eine Fachkraft behauptet, für jemand anderes da zu sein, diese behauptet, anstelle des Klienten da zu sein. Und wenn das so ist, bedeutet das, dass der Klient selbst nicht mehr da ist (anstelle von!). Es ist keine sonderlich steile These, dass Klient/innen sich im Kontext professioneller Unterstützung zeitweise als überflüssig wahrnehmen. Denn genau das wird ausgelöst, wenn „betreuende Tätigkeit“ vor „aktivierende Arbeit“ gestellt wird und nicht umgekehrt. Somit: So „griffig“ die Formel ist, so wichtig ist es, darunter zu verstehen, dass es darum geht, die jeweiligen Arbeits- respektive Leistungspotentiale auszuloten, damit die beteiligten Parteien erkennen können, dass sie (in etwa) gleich viel arbeiten. Dann sind auch beide da. Intermezzo Ende.

      In abgewandelter Form kann also gesagt werden, dass es sich bei der Faustregel um die Handlungsanweisung handelt, „nicht härter als der/die Klient/ in zu arbeiten“. In all den Jahren, die wir nun schon mit den fünf Prinzipien arbeiten, ist dieser Lehrsatz immer wieder Auslöser für eines der größten Missverständnisse im Kontext der sozialraumorientierten Arbeit gewesen. Das Missverständnis besteht darin, dass Fachkräfte den Satz gelegentlich dahingehend fehlinterpretieren, sozusagen nichts tun zu müssen. An diesen Stellen wird die Tendenz zur „betreuenden Tätigkeit“ erkennbar, die dann mit der Erwartungshaltung einhergeht, der/die Klient/in müsse den ersten (aktiven) Schritt machen. Damit setzt die Arbeit, wenn überhaupt, jedoch einen Schritt zu spät an. Denn, wie im nachstehenden Unterkapitel gezeigt werden wird, der erste Schritt in der Arbeit mit dem zweiten Prinzip ist die Klärung der und die Verständigung über die aktuellen Aktivitäts-Potentiale.4 Nicht härter als der/die Klient/in zu arbeiten bedeutet somit zunächst, den Potentialen der Person nicht im Weg zu stehen. Das wiederum bedeutet, dem Gegenüber nicht „nur“ zu vertrauen, sondern ihm auch etwas zuzutrauen. Die Devise lautet schlicht „try and error“, wobei der Versuch (try) im Fokus steht. In Anlehnung an Theodor Mommsen prägte Heiner Müller (1993) den Ausspruch, dass es der Mut zum Irrtum sei, der zum Historiker qualifiziere. Diese „Qualifikation“ kann ohne Abzüge auf professionell Handelnde in der Sozialen Arbeit übertragen werden.

      2.3.„Aktivierende Arbeit hat grundsätzlich Vorrang vor betreuender Tätigkeit: ‚Arbeite nie härter als Dein Klient‘“

      Der Philosoph Jean-Paul Sartre meinte einmal: „Man liest eben schnell und ungenau und urteilt, bevor man etwas verstanden hat“ (Sartre, S. 11). Die Gefahr des zu schnellen Lesens, des Überlesens, besteht auch beim zweiten Prinzip. Denn es dauert (womöglich) einen Moment, bis verstanden werden kann, dass die Faustregel dazu gedacht ist, das „Grundsätzliche“ des ersten Satzteils zu verstehen. Kurzum: „Aktivierende Arbeit“ bedeutet grundsätzlich, nicht härter als der/die Klient/in zu arbeiten.

      Wenn wir unter 2.2 geschrieben haben, dass der erste Schritt die Klärung der und die Verständigung über die aktuellen Aktivitätspotentiale sei, dann bedeutet die Umsetzung des Grundsatzes, dass Aktivierung dadurch entsteht, dass auf der Grundlage gegenseitig geklärter Arbeits- und Leistungsfähigkeit Grenzen des Handelns für beide Seiten entstehen, die Orientierung bieten. Wenn auch in einem anderen Kontext, hat Paul Tillich geschrieben: „Die Grenze ist der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis“ (Tillich, S. 13). Und genau darum geht es im sozialraumorientierten Handlungskontext. Wenn es dem Klienten/der Klientin gelingt, die eigenen (sozialräumlichen) Grenzen zu erkennen und so mitteilen zu können, dass die Fachkraft diese zur Grundlage des professionellen Handelns machen kann, dann aktiviert die „Erkenntnis“ der eigenen Grenze dazu, eigene Handlungsoptionen wahrzunehmen. Im axiomatischen Imperativ resultiert daraus die Aufgabe der Fachkraft, bei Bedarf an die bereits erkannten Handlungsoptionen zu erinnern und darauf zu verzichten, in diese einzugreifen. Und wenn es in der Folge darum geht, die eigenen (sozialräumlichen) Grenzen zu überwinden, dann darf die Fachkraft sicherlich eine „Räuberleiter“ bereitstellen; über die Mauer klettern muss der/die Klient/in selbst.

      3.Das deutsche Bundesteilhabegesetz (BTHG) als Anlass zur Anwendung des zweiten Prinzips

      3.1.Zu Kontext und Inhalt des BTHG

      Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) gilt als wesentlichste Gesetzesänderung in der Sozialgesetzgebung der letzten Jahrzehnte in Deutschland. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des vorliegenden Buches sind erste (wesentliche) Teile der schrittweisen Einführung umgesetzt, die bis 2023 zur vollen Wirkung gelangen sollen. Der Kontext des Buches, in dem dieses Kapitel steht, ist nicht für eine Diskussion über das Für und Wider dieser Gesetzesänderung geeignet. Vielmehr wird an dieser Stelle festgehalten, dass gesetzliche Rahmenbedingungen, was ja auch mit ihnen bezweckt wird, auf alle davon betroffenen Personen und Organisationen Auswirkungen haben.

      In solchen Situationen wird in Organisationen dazu geneigt, sich auf die damit einhergehenden Veränderungen zu fokussieren. Bereiche werden angepasst, neue Formulare werden erstellt und den von diesen Veränderungen betroffenen Personen wird mitgeteilt, was von nun an wie (für sie) der Fall ist. Systemisch, also in der sogenannten System-Umwelt-Relation5 gesprochen, nimmt die Organisation als soziales System eine Veränderung in der Umwelt (hier: Änderung der Rechtsprechung) wahr. Diese Veränderung wird als bedeutend erkannt und deshalb aus der Umwelt in das eigene System hineingezogen. Der Grund für dieses Handeln kann am Beispiel des BTHG damit erklärt werden, dass alle (sozialen) Organisationen, die Angebote vorhalten, die durch das neue Gesetz geregelt werden (Eingliederungshilfe), sich auf die Veränderungen einstellen müssen, da sie sonst ihre Leistungen nicht mehr erbringen und somit „sterben“ würden. Daraus folgt, dass für Organisationen, wenn es ihnen gelingt, die Integration der neuen Gesetzgebung in die eigenen Abläufe zu vollziehen, die Welt im systemischen Sinn wieder in Ordnung ist.

      Aus dieser Analyse wird deutlich, dass die Wiederherstellung der organisationalen Ordnung im Kontext der Veränderung einer rechtlichen Rahmenbedingung (BTHG) für all das, was in diesem Kapitel bisher beschrieben wurde, zu kurz greift. Und es zeigt sich zudem, dass die Klient/innen lediglich sekundär Teil der Organisationen sind. Wenn indes die Mitarbeitenden einer (sozialen) Organisation zumindest theoretisch Einfluss auf Veränderungsprozesse nehmen können, stellen die Klient/innen gemeinhin den Personenkreis dar, der, wie oben beschrieben, über die Veränderungen lediglich informiert wird.6 Sozialräumliches Arbeiten, also ausgehend vom Willen der Klient/innen, verkehrt sich so ins Gegenteil. Zwar werden personale Ressourcen wie Angehörige und rechtliche Betreuer/innen sozusagen

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